Hinterher denkt er sich jedes Mal: Gott sei Dank, wieder Glück gehabt! Aber was ist, wenn ich mal nicht Glück habe?
Was, wenn ein Köter mal nicht auf sein "Herrchen" hört?! Oder, wenn kein Besitzer in der Nähe ist und der Köter allein draußen herumläuft!
Seine Mutter versucht immer wieder, ihn von diesen Gedanken abzubringen: »Es wird dich schon keiner beißen. Du musst die Hunde einfach nicht beachten. Gar nicht hingucken! Dann lassen sie einen in Ruhe.«
Man hört darauf. Allerdings zeigen die weiteren Erfahrungen keine durchgreifende Besserung der Verhältnisse. Jedes Mal danach hofft Stefan, dass es das letzte Mal war, dass ein Vierbeiner Interesse an ihm zeigte. So geht es weiter. Er teilt fast alle Erlebnisse seiner Mutter mit: »Weißt du, man kann im Großen und Ganzen bei den Hunden sagen: je länger die Haare, desto friedfertiger sind sie.«
»Meinst du? Wieso?«
»Ist dir das denn noch nicht aufgefallen? Die aggressiven Köter haben meistens kurze Haare, manchmal so ein richtig glatt glänzendes Fell. Aber die mit den langen Haaren sind meistens ruhig und friedlich. Es kommt schon auf die Sorte drauf an. Bernhardiner schaden zum Beispiel nie jemanden, obwohl sie so groß sind.«
»Na, Bernhardiner sind ja sowieso sehr selten. Die sieht man ja kaum hier.«
»Doch, ich sehe manchmal welche. Hier beim Bahnhof war zum Beispiel einer. Die sind immer so gemütlich. Aber ich meine ja allgemein: auf jeden Fall kommt es auf die Rasse drauf an. Sollen die Leute doch nur solche Hunde anschaffen, wenn sie schon welche haben müssen.«
Frau Schmidt berichtet ihm von einer Bekannten: »Ich verstehe die Hundebesitzer ja auch nicht. So was Arrogantes! Die Frau Geerke hat mir von ihrem Hund erzählt. Der hat die Freundin von ihrer Tochter in den Bauch gebissen. Und dann behauptet sie noch, das sei "doch nicht so schlimm!". Sie hat gesagt: "Der Vater von dem Mädchen ist gleich gekommen und hat sich aufgeregt. Der hat vielleicht ein Tamtam gemacht!" — So was Doofes! Was die sich eigentlich denken! Man soll sich wohl noch bedanken dafür.«
Stefan urteilt: »Unmöglich! Was sind das nur für Menschen! Und was passiert jetzt? Wird die Bestie nicht abgeknallt oder eingeschläfert?«
»Anscheinend nicht. Die Geerke hat jedenfalls nichts davon gesagt. Müsste man ja eigentlich gleich machen. Die Besitzer müssten ja auch bestraft werden.«
Im Fernsehen wird gelegentlich ebenfalls über beißwütige Kläffer berichtet. Auch immer dann, wenn Spielfilme und andere Sendungen für Hundefutter-Reklame unterbrochen werden, ärgert sich Stefan und muss sofort umschalten. Denn er kann es einfach nicht mehr hören: »Ein ganzer Kerl, dank "..."!« und »"..." für gesunde, feste Zähne!«
Man befindet sich in der Großstadt. Hier gibt es Zehntausende von Hunden. In der Nähe von Stefans Wohnung liegt ein Spazierweg mit Grünanlage. Um etwas für seine Gesundheit zu tun, joggt er manchmal dort. Aber leider zieht dieser Fußgängerweg auch viele "Herrchen" und "Frauchen" mit ihren Zuchtexemplaren an. Letztere sind meist nicht angeleint.
Wie wohl jeder weiß, darf man in Gegenwart von Hunden nicht laufen, sonst wird man von ihnen angefallen. Schließlich geht das Tier vor. Also, die (köterlosen) Menschen haben weniger Rechte in der heutigen Gesellschaft und haben sich gefälligst von "Hunde- und Herrenrasse" unterdrücken zu lassen.
So guckt Stefan beim Joggen ständig vorsichtig um sich. Besonders aufpassen muss er zum Beispiel bei Wegkreuzungen, welche von weitem nicht übersehbar sind, da sie durch Hecken verdeckt werden. An sonnigen Wochenenden ist es sowieso unmöglich, weil dort dann durchschnittlich alle zehn Meter ein Hund ist. Jedoch hat er sich darauf schon eingerichtet, indem er an diesen Tagen solche Örtlichkeiten meidet.
Hingegen lässt es sich kaum vermeiden, irgendwann mal zur Post zu gehen, etwa wenn man ein Päckchen oder einen Einschreibebrief abholen muss. So begibt sich auch Stefan eines Tages wieder dorthin:
Er stellt sich am Schalter an und wartet. Da kommt eine Frau mit großem Hund herein und stellt sich hinter ihn. Er tut, als wenn er das Tier nicht beachten würde. Auch noch, als er etwas am rechten Bein spürt — ein starker Druck!
Der Domestike will Stefan einfach wegschieben, damit "Frauchen" eher an den Schalter kommt! Nun, wenn man fast umgestoßen wird, kann man nicht mehr vortäuschen, das Viech zu ignorieren. Wie verhält man sich also?
Irgendwie muss man jetzt reagieren. Aber wie, wenn man ein ängstlicher schüchterner junger Mann ist, welcher keine Angst zeigen soll?
Endlich spricht die Herrin: »Jessica, komm hier.«
Die Töle gehorcht. Vorbei!
Doch nicht der leiseste Hauch einer Entschuldigung! Zornig wirft Stefan der Frau noch einen Blick zu. Mehr kann er wohl nicht unternehmen.
Wenigstens hatte der Köter keine Flöhe! — So etwas kann jedem auf dem Postamt einer Millionenstadt passieren. Man fühlt sich gedemütigt. Aber es nimmt einfach kein Ende.
Stefan möchte wieder ins Spielkasino. Seine Mutter dagegen hat keine Lust mehr: »Mir ist das alles zu viel: Da stundenlang rumstehen. Und das Gedränge von den Leuten. Die schlechte Luft vom Rauchen.«
»Aber wir haben doch gewonnen. Es hat doch Spaß gemacht.«
»Ja? Erst spät abends nach Hause. Mir ist das zu anstrengend. Geh mal lieber alleine.«
»Ich alleine? Ich trau mich doch nicht alleine«, gibt Stefan zu bedenken.
Frau Schmidt ärgert sich über die Unselbstständigkeit des Sohnes: »Warum denn nicht?! Wovor hast du denn Angst?«
»Ich weiß nicht. Die Leute gucken alle so. So, als wenn sie meinen, ich würde da nicht hingehören.«
»Ach, das bildest du dir nur ein. Die Leute gucken auf jeden, auf mich auch.«
Der junge Mann, welcher voller Komplexe steckt, ist nach wie vor anderer Meinung. Immer wieder versucht er, seine Mutter zu überreden, ihn auch zukünftig zu begleiten.
Endlich gibt sie noch einmal nach. Dieses Mal gewinnen sie nicht so viel, aber immerhin etwas. »Wir sollten mit Tausendern spielen«, findet Stefan bei der Rückkehr.
»Du bist ja verrückt! Und wenn du verlierst?!«
»Stell dir mal vor, Mensch: Wenn wir von Anfang an mit Tausendern gespielt hätten, dann hätten wir beim ersten Mal nicht zweihundertvierzig Mark gewonnen, sondern vierundzwanzigtausend!«
»Ist das wahr? Tatsächlich!«, staunt Frau Schmidt. »Aber du hättest auch viel mehr verlieren können.«
»Wenn es mit Zehnern geklappt hat, warum sollte man es nicht mal mit Tausendern versuchen?«
»Wir sind doch keine reichen Leute.«
Der Sohn kann mit dem Argument nichts anfangen: »Gerade deshalb. Weil wir reich werden wollen.«
»Jetzt leg erst mal eine Pause ein. Du kannst doch nicht schon wieder ins Casino gehen.«
Heute ist ein heißer, trockener Sommertag. Das bedeutet, es stinkt auf den Wegen. Überall liegen die Würste und Haufen. Stefan schaut abermals vorsichtig um die Ecke eines Weges. In einiger Entfernung sieht er eine Frau mit einem Fahrrad auf sich zukommen. Neben ihr läuft ein riesiger schwarzer, gefährlich aussehender Hund. Natürlich nicht angeleint, trotzdem ein Schild am Wegbeginn dies vorschreibt!
Stefan stockt der Atem.
Er gerät in Panik auf dem sonst menschenleeren Pfad.
Er weiß, dass er jetzt nicht laufen darf. Vorsichtig geht er langsam zurück um die Kurve bis — er aus der Sichtweite der beiden ist.
Dann rennt er los. So schnell er kann!
Zwischendurch dreht er sich um: Ist die Töle noch nicht bis zur Ecke? Oder ist sie mir etwa schon dicht auf den Fersen?
Da — eine Art von dumpfen Geräuschen in kurzen Intervallen! Ist es das Gehetze eines Hundes oder nur das Rauschen des Blutes in meinem Körper?
— Endlose Sekunden! —
Dann Erleichterung: in einen Nebenweg entkommen! Vorbei! Allmählich ebbt sein Pulsschlag wieder ab.
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