Mit diesen stolzen Gedanken schlief Andreas ein, mit ihnen wachte er auf. Zum erstenmal, nach langer Zeit, blickte er beim Ankleiden ausdauernd und peinlich genau in einen Spiegel, wie vor dem Appell in der Militärzeit. Das metallene Kreuz hauchte er an und rieb es am Ärmel blank, so daß es möglichst strahlend wurde. Dreimal setzte er den Kamm an, ehe er die gerade Linie des Scheitels gefunden hatte. Sein erster Weg führte in die Pestalozzistraße.
Unterwegs fiel ihm ein, daß er sich nicht oft genug rasieren ließ. An zwei Tagen in der Woche, Freitag und Dienstag, pflegte er die Lehrlingsschule der Barbiere aufzusuchen, wo die Lehrlinge schmerzhaft, aber umsonst die Bärte kratzten. Diese Lehrlingsschule sowie die Übung, sich nur zweimal wöchentlich rasieren zu lassen, erschienen Andreas unwürdig eines Mannes, der gesonnen war, dauernden und erfolgreichen Eindruck auf eine schmucke Witwe zu machen. Und jener siegreiche Leichtsinn, dem wir selig unterliegen, wenn wir einer Eroberung sicher sind, ergriff auch Andreas Pum gewaltsam und ward stärker als seine sonst so wachsame Besonnenheit. Andreas begab sich in eine Barbierstube, die sich nicht mit Unrecht Frisiersalon nannte, und begegnete, obwohl sein Leierkasten ein wenig Verwunderung hätte erregen müssen, dennoch derselben herzlichen und warmen Höflichkeit, die allen Eintretenden aus den Friseurläden wie eine milde Frühlingsluft entgegenströmt.
Er sah sich im Spiegel, das Gesicht weißbestäubt von Puder, seinen Scheitel glänzend von Öl, und den vornehmen Duft, der von ihm selbst ausging, atmete er mit stolzem Behagen. Der Entschluß, die Lehrlingsschule überhaupt nicht mehr, dafür aber diverse Friseurläden um so häufiger zu besuchen, wuchs in ihm unerschütterlich. Er straffte die Kopfhaut, die Stirn, rief die zwei kleinen imponierenden Falten an der Nasenwurzel hervor und brachte so den Adlerblick zustande, den er immer in den entscheidenden Augenblicken seiner militärischen Laufbahn angelegt hatte. Dann gelang es ihm, mit einer solch vornehmen Bewegung den Leierkasten umzuhängen, daß er fast einem Rechnungsfeldwebel glich, der seinen Säbel umschnallt.
Bedenken verschiedener Natur und Wichtigkeit überfielen ihn erst auf der Straße, in der Nähe des Hauses Nummer 37, wie eine lästige Fliegenschar. Er kam sich wie ein hartherziger Egoist vor, ein kalter Mensch und ein eitler obendrein, der ohne Rücksicht auf den schmerzvollen Tag der Witwe Blumich, vielleicht den schmerzvollsten ihres jungen Lebens, geckenhafte Toilette gemacht hatte. Was würde sie denken, wenn er so vor ihr erschiene, nachdem sie ihn gestern in seinem gewöhnlichen Zustand gesehen hatte? Würde sie nicht mit Recht beleidigt, getroffen, ja schmerzlich bewegt sein? Es war vielleicht überhaupt nicht günstig, heute die Witwe Blumich zu besuchen. Man müßte sich ein wenig auch vor dem toten Mann schämen, der noch nicht in der Erde lag. Andreas hätte eigentlich sehr viel Grund zu warten, der Witwe Zeit zu lassen, bis sie mit ihrem ersten Mann vollkommen ins reine kommen würde. Außerdem hatte sie ihn ja selbst nicht etwa für heute, sondern erst für morgen bestellt, ja man konnte sagen: gebeten.
An diesem Tage hatte Andreas Pum so viel Glück wie noch nie, seitdem er mit der Drehorgel in die Höfe wanderte. Sei es, weil die ungewöhnlich heiße Stunde alle Leute zwang, ihre Fenster weit offen zu halten, und sie den Klang einer Musik zum erwarteten Anlaß nahmen, Luft zu schöpfen und sich über die Brüstungen zu lehnen, sei es, weil ihnen der frischrasierte, saubere und mit einem glänzenden Kreuz gezierte Andreas ganz besonders sympathisch erschien – wir wissen nicht, wieso es kam, daß es rings um Andreas Geld regnete und daß er Mühe hatte, sich zu bücken, so oft mußte er es tun. Es war kein Zweifel mehr: das Glück war zugleich mit der Witwe Blumich in sein Leben getreten. Und lächelnd, mild und gütig, wie die Strahlen der untergehenden Sonne, die noch auf den Giebeln der Häuser ruhte, kehrte Andreas heim, lange noch vor Anbruch der Dämmerung, einen herzlichen Gruß für Willi auf den Lippen und mit einem gesegneten Appetit, der oft eine angenehme Begleiterscheinung einer gesunden Zufriedenheit zu sein pflegt.
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