Und er kommt wirklich sehr schnell zurück, und notgedrungen, um vor der Kundschaft das Ansehen zu bewahren, muß sie mit ihm sprechen, ihm Anweisungen geben, tun, als sei nichts geschehen – und doch ist ihre Welt eingestürzt! Aber sie läßt sich nichts merken, sie geht sogar auf seine schwachen Witzchen ein, die er heute besonders reichlich bereithält, und nur, als er an die Ladenkasse will, sagt sie scharf: »Bitte, die Kasse besorge ich!«
Er ist etwas zusammengefahren, mit einem scheuen Blick sieht er sie von der Seite an – wie ein Hund, der geschlagen wird, ja, genau wie ein verprügelter Hund, denkt sie. Dann hat sich seine Hand in die Tasche getastet, ein Lächeln ist auf sein Gesicht getreten, jawohl, er hat den Schlag schon wieder verwunden.
»Zu Befehl, Chefin!« schnarrt er und knallt die Absätze zusammen.
Die Kunden lachen über den kleinen, komischen Mann, der da Soldat spielen will, aber ihr ist nicht zum Lachen zumute.
Dann ist der Laden geschlossen. Fünf Viertelstunden arbeiten sie noch eifrig miteinander, ganz mit Füttern und Tränken und Säubern beschäftigt, beide schließlich fast wortlos, nachdem sie auf seine Scherze, die er immer wieder versuchte, nicht eingegangen war.
Frau Hete steht in der Küche, sie macht das Abendessen zurecht. Sie hat Bratkartoffeln in der Pfanne, richtige, schöne Bratkartoffeln, mit Speck angebraten. Den Speck hat sie von einer Kundin im Austausch gegen einen Harzer Roller bekommen. Sie hat sich darauf gefreut, ihn mit einem so schönen Abendessen überraschen zu können, denn er ißt gerne was Gutes. Die Kartoffeln werden schön goldgelb.
Aber plötzlich löscht sie die Gasflamme unter der Pfanne. Plötzlich kann sie auf diese Aussprache nicht mehr warten. Sie geht in die Stube, lehnt sich mit dem Rücken, dunkel und massig, gegen den Ofen und fragt in einem fast drohenden Tone: »Nun?«
Er hat am Tisch gesessen, dem Abendbrottisch, den er für sie beide gedeckt hatte, vor sich hin flötend, nach seiner Gewohnheit.
Bei diesem drohenden »Nun?« fährt er zusammen, er steht auf und sieht zu der dunklen Gestalt hinüber.
»Ja, Hete?« sagt er. »Gibt’s bald Abendessen? Ich hab mächtigen Kohldampf.«
Sie möchte ihn vor Wut schlagen, diesen Mann, der glaubt, sie ist bereit, einen solchen Verrat totzuschweigen! Der fühlt sich ja schon sehr sicher, dieser Herr, weil er mit ihr in einem Bett geschlafen hat! Sie ist von einem ganz ungewohnten Zorn erfaßt, am liebsten würde sie den Kerl schütteln und schlagen, noch einmal und noch einmal.
Aber sie bezwingt sich und wiederholt ihr »Nun?« nur noch drohender.
»Ach so!« sagt er. »Du meinst das mit dem Geld, Hete.« Er greift in die Tasche und zieht einen Haufen Scheine hervor. »Da, Hete, das sind 210 Mark, und ich hatte 92 Mark aus der Kasse genommen.« Er lacht ein bißchen verlegen. »Damit ich doch auch etwas zur Wirtschaft beisteuere!«
»Und wie kommst du zu dem vielen Geld?«
»Heute nachmittag war das große Traberrennen in Karlshorst. Ich bin gerade noch rechtzeitig gekommen, um Adebar zu setzen. Adebar, Sieg. Ich wett nämlich gerne auf Pferde. Ich verstehe ziemlich viel von Rennen, Hete.« Er sagt das mit einem bei ihm ganz ungewohnten Stolz. »Nicht die ganzen 92, nur 50 Mark habe ich gesetzt. Die Quote war …«
»Und was hättest du getan, wenn das Pferd nicht gewonnen hätte?«
»Aber Adebar mußte gewinnen – da gab’s gar nichts anderes!«
»Und wenn er doch nicht gewonnen hätte?«
Jetzt ist er es einmal, der sich der Frau überlegen fühlt. Er lächelt, als er sagt: »Sieh mal, Hete, du verstehst nichts vom Rennsport, ich verstehe aber alles davon. Und wenn ich sage: Adebar gewinnt, und riskiere sogar 50 Mark darauf …«
Sie unterbricht ihn. Sie sagt scharf: »Du hast mein Geld riskiert! Das will ich nicht haben! Wenn du Geld brauchst, sagst du es, du sollst bei mir nicht nur für die Kost arbeiten müssen. Aber ohne meine Erlaubnis nimmst du kein Geld aus der Kasse, verstanden?«
Bei diesem ungewohnt scharfen Ton ist er wieder völlig unsicher geworden. Er sagt klagend (und sie weiß, gleich wird er losweinen, und sie fürchtet sich schon vor diesen Tränen), er sagt also klagend: »Aber wie redest du denn mit mir, Hete? Als ob ich nur dein Arbeiter wäre! Natürlich nehme ich nicht wieder Geld aus der Kasse. Ich dachte bloß, ich würde dir eine Freude machen, wenn ich so schön Geld verdiene. Wo der Sieg doch auch ganz sicher war!«
Sie geht gar nicht auf dieses Geschwätz ein. Das Geld war ihr ja immer Nebensache, das Wichtige war das enttäuschte Vertrauen. Er denkt jetzt, sie ist bloß wegen des Geldes ärgerlich, so ein Schwachkopf! Sie sagt: »Und wegen dieser Pferdewetterei hast du also einfach den Laden zugemacht?«
»Ja«, sagt er. »Du hättest ihn doch auch zumachen müssen, wenn ich nicht dagewesen wäre!«
»Und daß du ihn zumachen wolltest, das hast du schon gewußt, als ich fortging?«
»Ja«, sagt er ganz dumm. Und verbessert sich rasch: »Nein, natürlich nicht, sonst hätte ich dich um Erlaubnis gebeten. Es ist mir erst eingefallen, als ich bei dem kleinen Laden von dem Buchmacher vorbeikam, in der Neuen Königstraße, weißt du. Da las ich im Vorbeigehen die Tips, und als ich da als Außenseiter Adebar las, da habe ich mich erst entschlossen.«
»So!« sagt sie. Sie glaubt ihm nicht. Das hat er schon vorher vorgehabt, ehe er sie in die U-Bahn setzte. Ihr ist eingefallen, daß er heute früh so lange mit der Zeitung herumgeknistert und dann lange auf einem Zettel gerechnet hat, immer noch, als schon die ersten Kunden im Laden waren. »So!« sagt sie noch einmal. »Und du gehst also einfach in der Stadt spazieren, wo wir doch ausgemacht haben, du läßt dich wegen der Gestapo möglichst nicht draußen sehen?«
»Du hast doch auch erlaubt, daß ich dich bis an die U-Bahn bringe!«
»Da waren wir zusammen. Und ich hatte ausdrücklich gesagt, es sollte ein Versuch sein! Das heißt noch nicht, daß du den halben Tag in der Stadt herumläufst. Wo bist du denn gewesen?«
»Ach, nur in so ’nem kleinen Lokal, das ich von früher kenne. Da kommt nie einer von der Gestapo hin, da verkehren nur Buchmacher und Rennwetter.«
»Die dich alle kennen! Die alle überall erzählen können: Wir haben den Enno Kluge da und dort gesehen!«
»Aber die Gestapo weiß doch auch, daß ich irgendwo sein muß. Nur wo, weiß sie nicht. Das Lokal ist sehr weitab von hier, auf dem Wedding. Und ein Bekannter war nicht dort, der mich verpfeifen könnte!«
Er redet ganz eifrig und gutherzig; wenn man auf ihn hört, ist er vollkommen in seinem Recht. Er versteht gar nicht, wie sehr er ihr Vertrauen enttäuscht hat, was für einen Kampf sie seinetwegen mit sich kämpft. Geld genommen – um ihr eine Freude zu machen. Das Geschäft geschlossen – hätte sie ja auch getan. In ein Lokal gegangen – war ja weit weg am Wedding. Daß sie sich aber um ihre Liebe geängstigt hatte, davon verstand er gar nichts, das ging nicht in seinen Schädel hinein.
»Also, Enno«, fragt sie, »das ist alles, was du dazu zu sagen hast? Oder?«
»Ja, was soll ich denn noch sagen, Hete? Ich seh ja, du bist mächtig unzufrieden mit mir, aber ich finde wirklich nicht, daß ich so viel falsch gemacht habe!« Nun kamen sie doch, die gefürchteten Tränen. »Ach, Hete, sei doch bloß wieder gut zu mir! Ich will dich auch gewiß vorher nach allem fragen! Sei bloß wieder lieb zu mir. So halte ich es nicht aus …«
Aber diesmal verfingen weder Tränen noch Bitten. Etwas klang falsch darin. Es ekelte sie beinahe vor dem weinenden Manne.
»Das muß ich mir alles erst gut überlegen, Enno«, sagte sie voll Abwehr. »Du scheinst gar nicht zu verstehen, wie schwer du mein Vertrauen enttäuscht hast.«
Und sie ging an ihm vorbei in die Küche, die Kartoffeln weiterzubraten. Da hatte sie also diese Aussprache gehabt. Und was hatte sie gebracht? Hatte sie Erleichterung gebracht, die Verhältnisse geklärt, eine Entscheidung erleichtert?
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