„Verdammte Technik“, dachte er sich, bevor er Schabgeräusche hörte, die die ganze Umgebung erschütterten, und er mit seinem Kopf auf dem schleimigen Boden aufschlug. Dann verlor er das Bewusstsein.
„Leon, kannst du mich hören?“ Verzweifelt packte Vanessa ihn und bettete seinen Kopf in ihre Armbeuge.
„Vanessa, wieso bist du hier?“, murmelte Leon und erkannte schemenhaft ihr Gesicht.
„Ich lasse dich nicht zurück“, beharrte Vanessa und stemmte sich mit ihm nach oben. „Wir werden hier gemeinsam verschwinden.“
„Aber die Formel.“
„Habe ich meinem Assistenten gegeben“, antwortete Vanessa.
Langsam kam Leon wieder zu sich und stützte sich bei Vanessa ab. Durch die heftigen Erschütterungen krochen die Bakterien auf dem Boden, aber die ersten erholten sich bereits wieder und standen auf.
„Der Master hat den Körper in einen Schockzustand versetzt. Der Arzt ist dabei, ihn zu stabilisieren, bevor er mit dem Eingriff fortfährt. Das ist unsere letzte Chance, hier zu verschwinden. Also komm, wir haben nicht mehr viel Zeit.“
Leon riss sich zusammen, humpelte durch das Schlachtfeld und wich den kriechenden Bakterien aus. Erneut ließ sie eine Erschütterung taumeln und das Schaben wurde so laut, dass sie sich die Ohren zuhielten.
„Schneller!“, schrie Vanessa, aber ihre Stimme wurde von dem tosenden Lärm verschluckt. Der Arzt begann mit der Spülung und eine gigantische desinfizierende Welle peitschte durch die Gänge und riss alles und jeden mit sich. Der Boden vibrierte unter der tosenden Urgewalt.
„Nur noch ein kleines Stück“, keuchte Vanessa.
Plötzlich hielt jemand sie am Fuß fest und sie stürzte zu Boden. Leon drehte sich um und erkannte ein Bakterium auf dem schleimigen Untergrund, das sich schraubstockartig um Vanessas Fuß klammerte. Am Ende des Ganges sah man bereits die Welle auf sie zurasen. Leon trat auf das Bakterium ein, doch es zog den Griff um Vanessa nur noch fester.
„Leon, verschwinde von hier so lange es noch geht. Los!“, schrie Vanessa verzweifelt.
„Nein, ich werde nicht ohne dich gehen.“
Als Leon die Hoffnung schon fast aufgegeben hatte, eilten als letzte Rettung Lymphozyten zu ihnen und gemeinsam schafften sie es, den Griff des Bakteriums zu lösen. Im letzten Augenblick retteten sich Leon und Vanessa hinter die schützende Zellwand im sicheren Sektor. Gemeinsam mit den Assistenten und der Formel eilten sie in die Kommunikationsbasis.
Sie hatten schwere Verluste einstecken müssen, aber nun gab es wieder Hoffnung, denn sie hatten die Formel gerettet, mit der sie die mutierten Bakterien bekämpfen konnten. Es dauerte nicht lange, bis Vanessa die Formel fertigstellen konnte, aber es war bereits fast zu spät.
Wie Späher berichteten, hatte die Spülung nichts gebracht. Die Bakterien wurden nur kräftig herumgewirbelt, erfreuten sich aber immer noch bester Gesundheit. Die Lymphozyten waren dagegen durch die anhaltenden Kämpfe fast ausgerottet worden. Sämtliche Kameras waren ausgefallen und die Zellen stellten ihre Arbeit ein. Der Treibstoff war erschöpft und die Sicherheit der Autobahnen für die Interferone (Nervenbahnen) konnte nicht mehr gewährleistet werden, weshalb sie vollständig abgeschottet wurden. Dies hatte zur Folge, dass die Muskeln ihre Arbeit einstellen mussten. Der Transport des Blutes und des Sauerstoffs wurde von externen Geräten ausgeführt. Das Leben des jungen Körpers hing nun an einem seidenen Faden. Der Master hatte die Kommandozentrale räumen lassen und blieb mit einer Handvoll ausgewählter Assistenten zurück. Er war alt und hatte das Angebot abgelehnt, einen neuen Körper zu übernehmen. Dies sollte sein letzter Körper sein. Und wenn das sein vorbestimmtes Ende sein sollte, würde er ihm erhobenen Hauptes entgegentreten. Er hatte den Jungen lieb gewonnen und schickte ihm die letzten Nachrichten, die er durch das Ohr empfing, um ihm den Übergang in das Leben nach dem Tod zu erleichtern.
„Es war schön, dich kennengelernt zu haben, Leon“, sagte Vanessa und weinte. „Wir hatten es fast geschafft.“
„Wir werden es schaffen“, beharrte Leon. „Wir nehmen die Nervenbahnen und gelangen damit direkt in das Herz der Infektion. Dann schlagen wir uns durch, ändern den Code des Plasmids der Prokaryoten-Bakteriums-Zelle laut deiner Formel. Ich habe nicht meine Leute geopfert, um hier auf den Tod zu warten.“
Mit entschlossenem Blick schaute er Vanessa an und wartete auf ihre Antwort, bevor er sah wie sich ihre Traurigkeit in ein Lächeln verwandelte. Leon wischte ihr die Tränen aus dem Gesicht, drückte sie fest an sich und küsste sie.
Mithilfe des Masterschlüssels schlichen sie unbemerkt durch die Nervenbahnen tief ins Innere des feindlichen Gebietes, bis sie die Mutterzelle erreichten, aus der alle Bakterien entstanden waren. Wenn sie es schafften, diese Zelle umzuschreiben, würde diese eine Kettenreaktion auslösen und nacheinander die anderen Bakterien infizieren.
Vorsichtig schlichen sie sich durch die fremdartigen Gänge, die mit klebrigem Schleim und Auswüchsen geschmückt waren. Die Mutterzelle wurde überraschend leicht beschützt. Nur ein Wahnsinniger würde sich in diese Gegend wagen. Mit ihrem Spezialwerkzeug brachen sie die Zellwand auf. Gallertartige Flüssigkeit schwappte ihnen entgegen, während sie sich in das Innere vorbewegten. Dutzende Plasmide schwammen durch die nährstoffhaltige Flüssigkeit. Gerade als Leon Vanessa vorsichtig in das Becken hinunterhievte, wurden sie entdeckt. Er zog seine Waffen und verschaffte Vanessa die nötige Zeit.
Der widerwärtige Geruch raubte Vanessa den Atem, als sie durch die eklige Flüssigkeit zum Plasmid ruderte. Im zweiten Versuch schaffte sie es, eines der Plasmide zu packen. Mit einem Restrektionsenzym zerschnitt sie die Codierinformationen des Plasmids und klebte den geänderten DNS-Code an. Schließlich ließ sie das zappelnde Plasmid wieder los. Grün schimmernd schwamm es davon. Sie hatte es geschafft.
Leons Schmerzensschrei riss sie aus ihrem kurzzeitigen Glücksgefühl. Hastig kletterte sie aus dem Becken und sah das Geschwür aus Feinden, das sich über Leon ergoss. Furchtlos eilte sie zu Leon, befreite ihn und zog ihn blutend aus dem Getümmel.
„Wir müssen sofort hier raus!“, brüllte Vanessa, während die Zellwände sich verformten. „Die Mutterzelle wird den neuen DNS-Code aufnehmen und mutieren.“
Mit letzter Kraft schafften es Leon und Vanessa aus der Mutterzelle, bevor sie sich veränderte und den Eingang versiegelte. Wie vermutet teilte die Zelle ihren neuen DNS-Code den Bakterien mit, worauf diese anfingen, erneut zu mutieren.
„Es funktioniert“, jubelte Vanessa und gab die Information über einen der letzten Sender an den Master weiter. Doch es war zu spät. Der Körper hatte abgeschaltet. Die Seele fing an, ihre Hülle hinter sich zu lassen.
„Master, es tut mir leid, aber es ist zu spät“, sagte der junge Assistent mit trauriger Stimme.
„Nein!“, schrie der Master. „Schalten Sie alle Lautsprecher ein und fahren Sie auf maximales Volumen.“
„Aber Sir, das ganze System könnte zusammenbrechen.“
„Wir haben nichts mehr zu verlieren. Also tun Sie, was ich Ihnen sage.“
Der Master schluckte, holte tief Luft und sprach, als letzte Hoffnung für diesen Körper: „Deine Zeit ist noch nicht gekommen, also kämpfe!“
„Leon? Er öffnet seine Augen!“, freute sich Vanessa.
„Leon, ich liebe dich. Es tut mir alles so leid.“
Weinend vor Freude schlang Vanessa ihre Arme um Leon und küsste ihn.
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Читать дальше