Der Master holte noch einmal tief Luft, schaute in jedes einzelne Gesicht und beendete seine Ansprache: „Bereitet euch auf einen harten Kampf vor. Wir sind jetzt im Krieg.“
Flink wuselten die Arbeiter und erfüllten ihre Befehle. Der junge Assistent schaute verdutzt den anderen hinterher, wie sie ihre Aufgaben erledigten. Er wusste nicht, was er jetzt tun sollte. Da legte sich sanft die Hand des Masters auf seine Schulter und der alte Mann sprach in ruhigem Ton zu ihm: „Geben Sie mir Offizier Leon, ich muss sofort mit ihm sprechen.“
Ein Lymphozyt der Z-Brigade streifte den Vorhang zur Seite und trat zu Offizier Leon, der sich die Sektorenkarte anschaute und mit anderen Offizieren die nächsten Züge plante.
„Offizier Leon.“ Das Lymphozyt wischte sich den Schweiß von der Stirn und sprach mit panischer Stimme: „Wir haben gerade die strategisch wichtige Stellung im Sektor 3000 verloren. Die hohe Temperatur ist ihnen vollkommen egal. Wir sind nun seit über 10 Stunden auf 42 Grad Celsius. Die Giftzellen haben die Bakterien mutieren lassen. Diese können fast ständig eine Mitose durchführen und keine unserer Truppen kann irgendetwas gegen sie ausrichten. Unsere Eisenvorräte gehen zur Neige und der Brennstoff unserer Zellen ist fast aufgebraucht.
„Danke, Lymphozyt, und beruhigen Sie sich“, sagte Leon mit ruhiger Stimme. „Wir bekommen externe Vorräte von der Nase und aus dem Arm. Der Transport in die betroffenen Regionen läuft rund um die Uhr, aber die Arbeiter werden müde. Der Master lässt mehrere heuristische Suchverfahren durch die Datenbank laufen, um mögliche Gemeinsamkeiten zu diesen Bakterien zu finden. Aber ohne Erfolg.“
Die Signalleuchte des Kommunikationsgeräts neben Leon leuchtete auf. Ein verrauschtes Bild flackerte über das Display und eine verzerrte Stimme knackste aus dem Lautsprecher.
„Hier Lymphozyt-B aus Medizin Offizier Vanessa.“
Leon stockte der Atem, als er Vanessa auf dem Display erkannte.
„Wir sind in Sektor 2000 eingeschlossen. Der Feind überrennt unsere Stellungen. Ich habe mich mit einer kleinen Gruppe von Lymphozyten eingeschlossen und einen möglichen Weg gefunden, die Bakterien zu bekämpfen.“ Erschrocken drehte sich Vanessa vom Display weg, schaute sich um und blickte Leon verzweifelt an.
„Leon, wenn du mich hören kannst, wir brauchen noch etwas mehr Zeit. Du musst uns helfen. Leon, ich …“ Die Verbindung wurde unterbrochen.
„Verdammt! Vanessa, kannst du mich hören. Vanessa?“ Wütend warf Leon das Gerät gegen die Wand und schaute in die Gesichter der Offiziere.
Mit vorsichtiger Stimme entgegnete einer der Lymphozyten: „Aber Sir, unsere Späher haben doch berichtet, dass dieser Mensch mit der Bezeichnung Arzt gesagt hat, dass er den Fuß operieren wird und die Wunde ausspülen lassen will, dadurch werden alle bis mindestens Sektor 3000 terminiert.“
„Ich weiß“, entgegnete Leon gereizt. „Wir haben aber keine andere Wahl. Wir müssen Offizier Vanessa da rausholen, bevor der Eingriff des Arztes vorgenommen wird.“
„Bei allem Respekt Sir, aber das ist Wahnsinn. Ihr Urteilsvermögen zu diesem gezüchteten Externen Lymphozyt ist getrübt. Ich veranlasse daher ...“
„Sie werden gar nichts veranlassen!“, brüllte Leon, packte den Assistenten und rammte ihn gegen die Wand.
„Auch wenn Offizier Vanessa nicht von diesem Körper stammt, hat Sie ein Recht genauso behandelt zu werden, wie jedes andere Lymphozyt.“ Leon holte tief Luft und wählte seine nächsten Worte sorgsam: „Sie hat möglicherweise eine Heilung für diesen Körper gefunden und ihr wisst genauso gut wie ich, dass die Datenbank dieses Körpers keine Lösung für diese Bakterien finden wird. Wenn Sie stirbt, dann wird dieser Körper und damit auch wir alle sterben. Sie ist unsere letzte Hoffnung.“
Er schaute in jedes einzelne Gesicht und sprach weiter: „Wir, als Lymphozyten, haben einen Eid geschworen, diesen Körper mit all unseren Mitteln bis in den Tod zu beschützen. Erinnert euch daran. Ich werde nicht zusehen, wie dieser Körper stirbt und ihr solltet das auch nicht tun. Also helft mir, Offizier Vanessa und diesen Körper zu retten – wer von euch ist dabei?“
Nach der geschlossenen Zustimmung zu seiner Ansprache gab Leon den Befehl für den Rückzug aus den betroffenen Regionen. Ziel dieser Aktion war, mit gemeinsamer Angriffsstärke ein Ablenkungsmanöver durchzuführen. Währenddessen konnten er und ein paar Lymphozyten sich zu Offizier Vanessa durchschlagen, um sie, ihre Einheiten und die Informationen zu bergen, bevor die Hoffnung weggespült wurde.
Schleim tropfte von den eiternden, toten Zellwänden. Die Luft war stickig und vom Geruch des Todes erfüllt. Der Boden war von tausenden leblosen Freunden übersät, während sich Leon mit ein paar Lymphozyten vorsichtig durch die Gänge tastete. Der Gestank verschlimmerte sich und obszöne Laute, ein Schaben, Kratzen und Knacken hallte durch die toten Gänge. Der Sektor, in dem Vanessa ausharrte, war von Millionen mutierten Bakterien umstellt. Es würde nicht mehr lange dauern, bis sie die befestigte Zellwand durchbrochen hatten und ungehindert vordringen konnten.
In diesem Augenblick dröhnte das Signal eines Horns durch die Gänge und ließ die Wände vibrieren. Die Bakterien hielten inne und ein großer Teil trennte sich von der Hauptgruppe und folgte dem Ruf des Anführers. Das Ablenkungsmanöver hatte funktioniert. Leon gab seinen Gefolgsleuten das Zeichen, zog seine Waffe und kämpfte sich zu Vanessa durch.
„Leon!“ Erleichtert schlug Vanessa die Arme um ihn und spürte seine fiebrige, feuchte Haut auf ihrer und küsste ihn lange und verlangend.
„Wir haben es fast geschafft, ich muss nur noch einige wenige Parameter abgleichen“, sagte Vanessa hoffnungsvoll.
Besorgt schaute Leon auf sein Display. „So viel Zeit haben wir nicht mehr. In weniger als einer Zeiteinheit wird der ganze Bereich gespült, wir müssen sofort verschwinden. Pack alles, was du brauchst, zusammen. Dann verschwinden wir von hier.“
Vanessa wies ihre Assistenten an, alles zusammenzupacken, als plötzlich einer von Leons Lymphozyten mit schwarz-grünem Schleim beschmiert, humpelnd durch die Zellmembran kroch, keuchte und tot vor ihnen zusammenbrach. Die Wände vibrierten und die Zellwand brach unter einer Flut von Bakterien zusammen, die wie ein Tsunami unaufhaltsam ins Innere vorpreschten.
„Los, verschwinde!“ brüllte Leon zu Vanessa und stürzte sich in die Massen der Feinde. Geschickt wich er den Schlägen aus, drehte sich ab, rutschte unter dem Feind hindurch und zwang ein Bakterium zu Boden. Damit verschaffte er Vanessa und ihren Leuten die erforderliche Zeit, um unbemerkt verschwinden zu können.
Egal was er tat, die Bakterien waren gegen seine Attacken immun, regenerierten und verdoppelten sich. Die Situation war aussichtslos. Unter dem tosenden Lärm des Kampfes mischte sich eine krächzende Stimme aus dem Lautsprecher des Funkgeräts: „Leon, wir sind draußen. Verschwinde da sofort.“
Unsanft landete eine Pranke auf Leons Hinterkopf, ließ ihn taumeln und zwang ihn zu Boden. Schemenhaft erkannte er ein hünenhaftes Bakterium mit lachender Fratze vor sich und bereitete sich auf seinen Tod vor. Da vibrierte der Boden und Gewebeklumpen brachen von der Decke. Im letzten Augenblick rettete sich Leon vor den herabfallenden Teilen. Schwer atmend registrierte er, dass der Arzt angefangen hatte, die Wunde aufzuschneiden. Die Zeit würde nicht reichen, dass Vanessa aus dem Sektor entkommen konnte. Sie würden sterben und mit ihr das einzige Mittel auf Heilung.
In seiner Verzweiflung kontaktierte Leon den Master und hauchte seine letzten Worte in das Mikrofon: „Master, hier Offizier Leon. Ich habe Offizier Vanessa mit der Formel gefunden. Aber die Zeit reicht nicht aus, um rechtzeitig zu entkommen. Sie braucht ihre Hilfe.“ Verdutzt schaute Leon auf das Display und stellte fest, dass der Empfang unterbrochen wurde.
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