Muhammad sah den mächtigen Engel mit ausgebreiteten Flügeln am Horizont stehen; die gewaltige Gestalt füllte den ganzen Himmel aus. „In welche Richtung ich mich auch drehte, überall sah ich ihn! Im Norden, Süden, Osten und Westen!“
Chadidscha, die nicht an seinen Worten zweifelte, rannte eilig zu ihrem Cousin Waraqa und erzählte ihm, was Muhammad erlebt hatte.
„Heilig! Heilig!“, rief Waraqa. „Bei dem, der die Seele Waraqas in den Händen hält, es war der große Namus 56, der Muhammad erschienen ist, derselbe Namus , der auch Moses erschien! Wahrlich, Muhammad ist der Prophet! Sage ihm, er möge beharrlich sein!“
Chadidscha erzählte Muhammad, was Waraqa gesagt hatte. Schließlich wollte Waraqa aber aus Muhammads Mund hören, was geschehen war. Muhammad berichtete ihm von dem Zusammentreffen mit Gabriel. Der blinde Waraqa wiederholte seine Bestätigung und schwor: „Beim Schöpfer, in dessen Hand meine Seele liegt, du bist der Prophet Allahs! Die Botschaft ist zu dir gekommen, wie sie zu Moses kam. Wenn ich doch nur ein junger Mann wäre! Wenn ich doch nur noch am Leben wäre, wenn dein Volk dich vertreibt!“
„Werden sie mich wirklich vertreiben?“, fragte Muhammad überrascht.
Er konnte sich nicht vorstellen, wie ein so beliebter und harmloser Mensch wie er von seinem Volk vertrieben werden sollte.
„Ja, niemand ist bisher mit dieser Botschaft gekommen, ohne verfolgt zu werden!“, antwortete Waraqa. Er ermutigte ihn dennoch, sich zu freuen und standhaft zu bleiben. 57
Chadidscha bekannte sich als erste zum Islam. Sie war überzeugt davon, dass die Botschaften, die Muhammad erhielt, tatsächlich von Allah kamen. Von nun an besuchte Gabriel ihn häufig.
Als er ihm eine Zeit lang nicht erschien und keine Offenbarungen mehr brachte, wurde Muhammad bekümmert und traurig. Chadidscha aber bestärkte ihn, weiter zu warten, bis Gabriel ihm schließlich die berühmte Sure Die Morgenhelle überbrachte. 58
Es folgten weitere himmlische Offenbarungen zur Bestätigung dessen, dass Muhammad „ dank der Gnade seines Herrn nicht besessen, sondern“ der Prophet Allahs „ von großartiger Wesensart “ 59 war.
Muhammad selbst hat die Art und Weise, wie ihm die göttlichen Offenbarungen zuteil wurden, so beschrieben: „Manchmal überkommt sie mich wie Glockengeläut, und das ist die schmerzhafteste Art. Sobald ich die Botschaft fassen kann, verklingt das Läuten. Manchmal erscheint der Engel vor mir in der Gestalt eines Menschen und spricht zu mir, und ich bewahre in meinem Gedächtnis, was er sagt.“ 65
Der Prophet Muhammad, wie er nun von den Muslimen genannt wurde, begann, denjenigen aus seiner Sippe, zu denen er Vertrauen hatte, im Geheimen von seiner Botschaft zu berichten.
Als das Gebet zur Pflicht wurde, erschien Gabriel auf der höchsten Stelle Mekkas in der Gestalt eines Mannes 60und schlug mit seinem Fuß ein Loch in die Erde, aus dem sogleich Wasser sprudelte.
Der Engel verrichtete die rituelle Waschung, während Muhammad ihn dabei beobachtete und anschließend das Gleiche tat. Dann stellte der Engel sich zum Gebet auf, und Muhammad stellte sich neben ihn und betete mit ihm. 67
Der Prophet ging zu Chadidscha, wusch sich und betete mit ihr, wie Gabriel mit ihm gebetet hatte, damit auch sie es lernte. 61
Er begann, den Menschen die klare monotheistische Botschaft des Einzigen Gottes zu predigen und ermutigte sie, nur noch Allah zu dienen. Ihm war bewusst, dass diese Botschaft Gefahren mit sich brachte, denn die Gleichheit, die Allah für die Menschen wollte, bedeutete für viele reiche Männer in Mekka und in der übrigen Welt das Ende der Tyrannei gegenüber den Schwachen - vor allem gegenüber den Frauen. Diejenigen, die hunderte Sklaven besaßen und sie wie Tiere behandelten, sollten sie nach der neuen Religion nämlich freilassen. Die Frau sollte ein Erbrecht erhalten und eigenen Besitz haben dürfen. Muhammad ermutigte die Menschen, Sklaven freizulassen. Männer durften nicht mehr eine unbegrenzte Anzahl von Frauen haben. Er bestand darauf, den Frauen Rechte, eine Aussteuer, Erbe und Eigentum zu geben. Er erklärte den zum Besten, der am freundlichsten zu seiner Frau ist. 62
Die Mekkaner machten sich lustig über Muhammad, wenn er sich für die Rechte der Schwachen einsetzte und Tränen über Mädchen vergoss, die lebendig begraben wurden. Frauen wurden damals verachtet – nicht nur im vorislamischen Arabien, auch von den Römern und Persern. Der Koran verkündete offen, dass die Männer sich dafür einst verantworten werden müssen. „ ...und wenn das lebendig begrabene Mädchen gefragt wird: ‚Für welch ein Verbrechen wurdest du getötet?’“ 63
Eines Tages erzählte einer seiner Gefährten dem Propheten, was er vor der Annahme des Islams getan hatte.
„O Gesandter Allahs, in der vorislamischen Unwissenheit haben wir unsere Kinder getötet! Ich hatte eine Tochter, die ich eines Tages im
Sand begrub.“
Als der Prophet dies hörte, schluchzte er so sehr, als habe er eines seiner eigenen Kinder verloren. Er weinte so lange, bis sein Bart nass wurde, und doch konnte er den Mann für seine Tat nicht bestrafen. Er hatte ja bereut und dies nur erzählt, um zum Ausdruck zu bringen, wie schrecklich sich die Menschen vor dem Islam verhalten hatten. 64
Viele Menschen begriffen bald, dass der Prophet, der so ungewöhnliche Dinge sagte und tat, nur das Beste für sie wollte, sie vom Aberglauben befreien und ihnen zeigen wollte, dass Götzen nur Steine waren, die den Menschen weder nützen noch schaden. Die Quraisch aber betrachteten die neue Religion, die durch Muhammad verkündet wurde, als Verunglimpfung ihrer Götter und Beleidigung ihrer Vorfahren. Der Kult um die Götzen, die vor der Kaaba standen, war für die Quraisch aber auch die Grundlage ihres Wohlstands und ihrer Macht. Dass sich die Kaaba und die Götzen in ihrer Obhut befanden, war der Grund für ihre Vormachtstellung in Arabien. Der Handel, der während der Pilgerzeit getrieben wurde, war die Quelle ihres Reichtums.
Nach Chadidscha waren Ali, Zaid und Abu Bakr die Ersten, die sich dem Islam anschlossen. Abu Bakr war bekannt für seine große Weisheit und brauchte keine Bedenkzeit, um sich dem Propheten anzuschließen. Er kannte ihn besser als jeder andere und wusste, wie ehrlich und aufrecht sein Freund war. Er begann, die klugen Leute aufzufordern, dem Propheten zu folgen. Durch ihn wurden Abu Ubayda Bin Al-Dscharrah, Abdurrahman 65Bin Awf und später noch viele andere Muslime.
Chalid war der Sohn des mächtigen Anführers der Bani Abd Schams 66, Said Bin Al-As. Einmal träumte er, er stehe am Rande eines Abgrunds, in dem ein verzehrendes Feuer wütete. Plötzlich kam sein Vater und versuchte, ihn ins Feuer zu stoßen. Während sie miteinander rangen, spürte er den Griff zweier Hände, die seinen Vater zurückhielten. Er sah: Sein Retter war Al-Amin - der vertrauenswürdige Muhammad. Da erwachte er und ging gleich zu Abu Bakr.
„Freue dich!“, rief Abu Bakr, „der Mann, der dich gerettet hat, ist der Gesandte Allahs! Folge ihm! Bestimmt wirst du ihm folgen, den Islam annehmen und so vor dem Feuer gerettet werden!“
Chalid begab sich zum Propheten, erzählte ihm seinen Traum und fragte ihn nach seiner Botschaft. Der Prophet lehrte ihn, was er wissen wollte. Chalid nahm den Islam an, hielt dies aber vor seiner Familie geheim. 74
In jener Zeit war der Händler Uthman Bin Affan in der Wüste von Syrien nach Mekka unterwegs. Während er schlief, weckte ihn eine Stimme: „Wache auf, in Mekka erschien bereits Ahmad 67, der Hochgepriesene!“ 68
Bevor er Mekka erreichte, begegnete er Talha, einem Cousin Abu Bakrs. Uthman erzählte ihm von der Stimme in der Wüste, während Talha von einem Erlebnis mit einem Mönch berichtete, der ihn fragte, ob der Prophet Ahmad erschienen sei.
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