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Bevor die Welle bricht
Dirk Harms
Buchbeschreibung:
DDR,Ostseeküste, Siebziger Jahre. Wer oder was setzte den unbequemen Ex-Matrosen und Leuchtturmwärter Toralf so unter Druck, dass er schließlich konspirative Treffen auf dem Turm zuließ? Lag es daran, dass er die schnell abgeschlossenen und zum Teil vertuschten Ermittlungen nach dem dramatischen und rätselhaften Untergang des Tankers BÖHLEN anzweifelte? Als Freund und Kollege von Hans Kowalski, einem der Vermissten, hegt er die Vermutung, dass sein Freund noch lebt und weckt so in dessen Hinterbliebenen erneut Hoffnungen und Schmerz.
Vor dem Hintergrund des Schiffsunglückes im Oktober 1976 vor Westfrankreich, bei dem der DDR-Tanker sank, liefert das Buch einen Einblick in das politisch stark geprägte Leben der einfachen Leute jener Zeit.
Über den Autor:
Dirk Harms, Jahrgang 1965, bloggt und schreibt seit frühester Schulzeit Gedichte, Kurzgeschichten und arbeitete u.a. zwischenzeitlich als Lokalredakteur bei einem Online-Nachrichtenmagazin und einer Tageszeitung.
Bevor die Welle bricht
Dirk Harms
1. Auflage, 2019
© 2019 Dirk Harms – alle Rechte vorbehalten.
Dirk Harms
Tychsenstr.6
18059 Rostock
autordirkharms@web.de
https://verstival.wordpress.com
Bevor die Welle bricht
Ein Roman von Dirk Harms
Dirk Harms
Tychsenstr.6
18059 Rostock
Telefon:
E-Mail: autordirkharms@web.de
An diesem Morgen fand die Dämmerung nahezu kein Ende. Es war, als habe sich die Nacht mit einer dicken Wolkendecke zugedeckt und sich so aufs Bleiben eingerichtet. Weit im Osten, am äußersten Zipfel des Himmels, lugte das erste Blau vorsichtig über den Horizont. Lars Schubert sah es und schloss das Schlafzimmerfenster wieder. Die kühle Morgenluft würde ihm guttun, wenn er sich gleich auf den Weg zu seiner neuen Arbeitsstelle begab. Erst langsam kam er zu sich, weswegen er sich wieder aufs Bett setzte und mit dem Gedanken spielte, einen Augenblick stillen Daliegens zu genießen. Die Zeit aber drängte, wollte er nicht gleich mit Unpünktlichkeit in sein Berufsleben starten. Gähnend erhob er sich und sah sich um. Sein Blick fiel auf Lisa. Die Art, wie sie dalag und schlief, ließ ihn lächeln. Ja, sie würden nun glücklich werden. Auf einmal wusste er es genau.
Gestern waren sie zusammen hier angekommen. Damit erfüllte Lisas Mutter Ingeborg ihrer Tochter endlich die oft vorgetragene Bitte, in Vaters kleines Elternhaus einziehen zu dürfen. Er hatte ihr das malerisch gelegene Fischerhäuschen vererbt. Ihre Mutter wollte sie um keinen Preis ausziehen lassen, auch wenn sie noch Nesthäkchen Jonas zu versorgen hatte, Lisas kleinen Bruder. Allzu strikt und heftig fiel daher ihr Protest aus. Es war wieder eine der endlosen Debatten gewesen, wie Mutter und Tochter Kowalski sie ständig wegen dieses Themas geführt hatten - bis Lisa ihren festen Freund Lars Schubert eines Tages mit nach Hause gebracht hatte.
Ingeborg Kowalski sah langsam ein, dass sie die jungen Leute nicht aufhalten würde. Über kurz oder lang verlassen Kinder nun mal das Elternhaus. Vor zwei Tagen hatte sie schweren Herzens nachgegeben - immerhin stand dem netten jungen Mann an Lisas Seite eine Karriere als Finanzkaufmann im Kombinat Schiffbau bevor. Also sollten sie um Gotteswillen in das kleine Haus nach Dünow am Sundhaff ziehen, welches nur wenige Kilometer entfernt darauf wartete, wieder bewohnt zu werden.
Als Lars einige Minuten später in der Küche mit dem Teekessel Kaffeewasser aufbrühte, kam ihm das alles wieder in den Sinn. Ingeborg hatte ihn willkommen geheißen und schien ihn zu mögen, aber warum sollte sie deswegen ihr einziges Kind gehen lassen? Dann aber geschah etwas, mit dem er nicht rechnen konnte: Ingeborg Kowalski gab nach. Freudestrahlend überbrachte Lisa ihm die frohe Botschaft, und mit neu erwachtem Elan zogen sie binnen weniger Tage in das Haus am Sundhaff.
Halb vor Müdigkeit, halb in Gedanken versunken starrte Lars auf das dünne Fähnchen aus Wasserdampf, das aus dem Teekessel aufstieg. Der Deckel mit der Pfeife lag neben dem Herd. So wurde Lisa nicht unnötig gestört. Trotzdem erschien sie in der Tür und blinzelte ihn verschlafen an.
„Musst du schon los?“
„Ja, ich will nur noch einen Kaffee.“
„Ist doch noch dunkel, oder?“
Lars lächelte sie an. Sie sah zum Anbeißen aus. „Ich glaube, die Sonne hat heute einen Auslandstermin. Jemand aus dem Süden wird ihr ein gutes Angebot gemacht haben“, scherzte er.
Lisa grinste verlegen und winkte ab.
„Obwohl: Sie kann gar nicht am Himmel sein, wenn ich sie doch hier bei mir habe“, fuhr er fort und küsste sie auf die Stirn. Sie nannte ihn lächelnd einen Süßholzraspler. Daraufhin erklärte Lars gestikulierend und wortreich, wenn es schon nirgends Zucker zu kaufen gebe, dann müsse es eben Süßholz sein. Lisa, noch immer etwas müde, legte ihm den Zeigefinger auf die Lippen. Er solle nicht so reden, oder das wenigstens niemanden hören lassen, flüsterte sie ihm lächelnd ins Ohr.
„Ist doch wahr“, verteidigte er sich und goss das heiße Wasser aus dem Teekessel in den Kaffeepott. „Gestern habe ich lange im Konsum angestanden und dann? Ausverkauft. Kein Zucker mehr. Ist das nicht bitter? Es ist doch bescheuert. Immer wird alles entweder exportiert, oder waggonweise nach Berlin gekarrt. Was solls: Dann trinke ich den Kaffee eben mit Süßstoff. Improvisieren hat unsereins ja inzwischen gelernt.“
Lisa küsste ihn auf die Wange. „Kein Zucker mehr – klar, dass du dann sauer warst.“ Er knuffte sie. „Sei nicht so doppeldeutig, Liebling. Das muss man ernst nehmen.“
„Viel Erfolg heute, Schatz. Ich hab noch Zeit und leg mich wieder hin“, entgegnete sie. „Für den nötigen Ernst fehlen mir noch mindestens zwei Liter Schlaf.“
„Wie wäre es stattdessen mit einem Liter Kaffee?“, versuchte Lars es noch einmal. Lisas Antwort war ein langes Gähnen, gefolgt von einem Kopfschütteln. Sie deutete ein Winken an und schickte sich an, die Küche zu verlassen.
Sein neidischer Blick blieb von ihr unbemerkt. Bald kann ich wieder ausschlafen, dachte Lars und schlürfte seinen Kaffee. Und Zucker werden wir auch zur Genüge haben. Er musste im Betrieb nur einen einwandfreien Start erwischen: Wenn er prima einschlug, würde er eine vernünftige berufliche Perspektive haben. Das Kadergespräch hatte ihn zuversichtlich gestimmt und seinen Ehrgeiz geweckt.
Ein Shiguli folgte Lars, als der vor das Haus trat und sich in Bewegung setzte. Das Fahrzeug hielt Abstand und fuhr im Schritttempo. Er bemerkte es nach einer Weile und sah sich um. Der Wagen bog mit quietschenden Reifen in eine Seitenstraße ein. Was sucht so ein Bonzenauto hier, dachte er eben noch, wunderte sich aber nich lange, zumal es dann plötzlich verschwand. Hatte er sich getäuscht, oder war das eben ein Berliner Kennzeichen gewesen? Er entschied sich, dem keinerlei Bedeutung beizumessen.
In diesem Moment kam sein Bus und hielt an der einhundert Meter entfernten Haltestelle, also nahm Lars die Beine in die Hand.
„Ein Erwachsener nach Strandfelde!“ Der Busfahrer kassierte ihn ab, händigte ihm den Fahrschein aus und stutzte plötzlich.
„Na? Hier kann man gut Urlaub machen, was?“
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