Das Versteck, in dem sie lag, läßt sich ebenso leicht erklären. An manchen Stellen des See’s und Flusses, wo die Ufer steil und hoch waren, überhingen die kleineren Bäume und die größeren Gebüsche, wie schon erwähnt, das Wasser gänzlich und ihre Zweige tauchten sich nicht selten ganz darein ein. Hin und wieder wuchsen sie in beinahe horizontalen Linien dreißig bis vierzig Fuß seitlich herein. Da das Wasser durchgehends am tiefsten war an den Küsten, wo die Ufer am höchsten und am meisten sich dem Senkrechten näherten, war es Huttern nicht schwer gefallen, die Arche unter ein solches versteckendes Obdach zu lenken, wo sie vor Anker lag, und wo man sie nicht sollte bemerken können; denn nach seiner Ansicht erforderte die Sicherheit solche Vorsichtsmaßregeln. Nachdem sie einmal unter den Bäumen und Gebüschen war, bewirkten einige an den Enden der Zweige befestigte Steine, dass sie sich tief genug in den Fluss hinunterbogen; und einige abgehauene Büsche, gehörig vertheilt, thaten das Übrige. Der Leser hat schon gesehen, dass dies Versteck vollständig genug war, um zwei an die Wälder gewöhnte Männer zu täuschen, die doch gerade auf die Entdeckung der verborgenen Arche aus waren, und dies werden Solche leicht begreifen, welche bekannt sind mit der wuchernden Ueppigkeit und Dichtheit eines jungfräulichen amerikanischen Waldes, zumal auf reichem und gutem Boden.
Die Entdeckung der Arche machte sehr verschiedene Eindrücke auf unsre beiden Abenteurer. Sobald das Canoe an die geeignete Öffnung hinangebracht werden konnte, sprang Hurry an Bord, und war nach einer Minute schon tief verwickelt in ein munteres, gewissermaßen scheltendes Gespräch mit Judith, allem Anschein nach das Dasein der ganzen übrigen Welt vergessend. Nicht so Wildtödter. Er betrat die Arche mit langsamem, vorsichtigem Schritt und prüfte jede Einrichtung des Verstecks mit neugierigem, forschendem Auge. Allerdings warf er einen bewundernden Blick auf Judith, den ihm ihre glänzende und eigentümliche Schönheit abgewann; aber selbst diese konnte ihn nur einen Augenblick abhalten, dem Interesse, das ihm Hutter’s schlaue Einrichtungen einflößten, nachzugeben. Schritt für Schritt besichtigte er die Konstruktion der eigenthümlichen Behausung, erforschte die Stärke und Festigkeit derselben, versicherte sich der Vertheidigungsmittel, und stellte alle die Untersuchungen an, die sich von selbst einem Mann darboten, dessen Gedanken hauptsächlich mit solchen Kunstgriffen und Hülfsmitteln sich beschäftigten. Auch das versteckende Obdach ward nicht außer Acht gelassen. Er untersuchte es genau nach seiner ganzen Beschaffenheit und mehr als einmal wurde sein Beifall in hörbaren Lobsprüchen laut. Da die Sitten der Grenzmänner eine solche Ungezwungenheit gestatteten, schritt er durch die Gemächer, wie früher im Castell, öffnete eine Türe, und trat auf das Ende der Fähre, entgegengesetzt dem, wo er Hurry und Judith verlassen hatte. Hier traf er die andere Schwester mit einer groben Nadelarbeit beschäftigt, unter dem belaubten Baldachin des Schutzdachs sitzend.
Da Wildtödters Besichtigung und Prüfung nunmehr beendigt war, ließ er den Kolben seiner Büchse sinken und wandte sich, mit beiden Händen auf den Lauf sich stützend, zu dem Mädchen mit einem Interesse, welches die ausgezeichnete Schönheit ihrer Schwester nicht in ihm geweckt hatte. Er hatte sich aus Hurry’s Aeußerungen so viel abgenommen, dass Hetty dafür galt, weniger Einsicht zu besitzen, als gewöhnlich menschlichen Wesen zugetheilt ist; und seine indianische Bildung hatte ihn gelehrt, diejenigen, die so von der Vorsehung heimgesucht waren, mit ungewöhnlicher Zartheit zu behandeln. Auch lag in der äußern Erscheinung bei Hetty Hutter Nichts, was, wie so oft der Fall ist, das Interesse hätte schwächen können, das ihr Zustand erregte. Blödsinnig konnte man sie nicht eigentlich nennen, denn ihr Geist war nur gerade so weit schwach, dass er die meisten jener Züge verlor, welche mit den Eigenschaften der berechnenden Schlauheit zusammenhängen, dagegen seine Aufrichtigkeit und Liebe zur Wahrheit behielt. Es war öfters in Bezug auf dies Mädchen von den Wenigen, die sie gesehen, und welche genugsame Einsicht zum richtigen Unterscheiden besaßen, bemerkt worden, dass ihr Erkennen des Rechten beinahe instinktmäßig und intuitiv schien, während ihr Widerwillen gegen das Unrecht einen so auszeichnenden Zug ihres Gemüths ausmachte, dass sie gleichsam in einer Atmosphäre reiner Sittlichkeit sich bewegte; und diese Eigentümlichkeiten trifft man nicht selten bei schwachsinnig genannten Menschen; gleich als hätte Gott den bösen Geistern gewehrt, in ein so schutzloses Gebiet einzudringen, mit der gnädigen Absicht, einen unmittelbaren Schutz denjenigen angedeihen zu lassen, welche ohne die gewöhnlichen Kräfte und Hülfsmittel der menschlichen Natur geblieben waren. Auch ihre Person war angenehm, da sie ihrer Schwester stark glich, von welcher sie ein gedämpftes und bescheidnes Nachbild zu sein schien. Wenn sie Nichts von Judiths Glanz besaß, so verfehlte doch der ruhige, friedliche, beinahe heilige Ausdruck ihres sanften Gesichts selten, den Betrachter für sie einzunehmen; und Wenige sahen sie länger, ohne eine tiefere und bleibende Theilnahme für das Mädchen zu fühlen. Sie hatte für gewöhnlich keine Farbe, auch war ihr einfacher Geist nicht im Stand, Bilder aufzurufen, die ihre Wange hätten aufleuchten machen; aber sie behauptete eine ihr so angeborne Sittsamkeit, dass sie dadurch beinahe zu der arglosen Reinheit eines für menschliche Schwächen unzugänglichen Gemüthes erhoben wurde. Harmlos, unschuldig, ohne Misstrauen sowohl von Natur als vermöge ihrer Lebensweise, hatte die Vorsehung sie dennoch gegen Anfechtungen beschirmt durch eine Art von sittlichem Heiligenschein, »den Wind zu sänftigen dem geschornen Lamme,« wie das Sprüchwort sagt.
»Ihr seid Hetty Hutter,« sagte Wildtödter, in der Art, wie man sich selbst unbewußt eine Frage macht, und zwar mit einer sanften Güte in Ton und Wesen, die ganz geeignet war, ihm das Vertrauen der so Angeredeten zu gewinnen – »Harry Hurry hat mir von Euch gesagt, und ich weiß, Ihr müßt das Kind sein.«
»Ja, ich bin Hetty Hutter,« versetzte das Mädchen mit leiser, süßer Stimme, welche durch die Natur und einige dazugekommene Erziehung vor Gemeinheit des Tons und des Ausdrucks bewahrt geblieben war; »ich bin Hetty, der Judith Hutter Schwester und Thomas Hutter’s jüngste Tochter.«
»So weiß ich denn Eure Geschichte, denn Hurry Harry plaudert tüchtig und er geht frei heraus mit seinen Reden, wenn er auf andrer Leute Angelegenheiten zu sprechen kommt. Ihr bringt den größten Teil Eures Lebens auf dem See zu, Hetty.«
»Ja wohl, Mutter ist tot; Vater ist aus auf’s Fallenstellen, und Judith und ich bleiben zu Hause. Was ist Euer Name?«
»Das ist eine Frage, die sich leichter tun als beantworten läßt, junges Weib; in Betracht, dass ich noch so jung bin, und doch schon mehr Namen getragen habe, als manche der größten Häuptlinge in ganz Amerika.«
»Aber Ihr habt doch einen Namen? Ihr werft doch nicht einen Namen weg, bevor Ihr auf ehrliche Weise zu einem andern gekommen?«
»Ich hoffe so, Mädchen, ich hoffe so. Meine Namen sind mir natürlich gekommen, und ich denke, derjenige, den ich jetzt trage, wird nicht von langer Dauer sein, denn die Delawaren bestimmen selten den wahren Namen und Titel eines Mannes fest, bis zu der Zeit, wo er Gelegenheit gehabt, sein wahres Wesen im Rath oder auf dem Kriegspfad zu zeigen, was mir noch nie zu Teil geworden ist; angesehen, erstlich, dass ich, nicht als Rothaut geboren, kein Recht habe, in ihren Versammlungen zu sitzen, und viel zu niedrig bin, als dass ich von den Vornehmen meiner Farbe sollte um meine Meinung befragt werden; und für’s Zweite, weil dies der erste Krieg ist, der in meine Zeit gefallen, und noch kein Feind weit genug in die Kolonie eingebrochen, der durch einen auch längeren Arm als der meinige zu erreichen gewesen wäre.«
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