»So?« Elaine zog besorgt eine Augenbraue nach oben. »Und wer soll ihm die geben? Der Arzt oder ich?«
»Er meinte, wenn der überfällige Anteil von Alessandro endlich einbezahlt würde, wäre das ein Signal.«
»Welcher Anteil?«
»Das wissen Sie nicht?«
»Sonst würde ich doch nicht fragen.«
Nun beichtete er, dass Alessandro 50 Millionen Euro frisches Kapital für letzten September versprochen hatte und fuhr sich nervös durch die Haare. »Mit 100 Millionen wären wir für drei Jahre versorgt gewesen, und bis dahin schreiben wir garantiert schwarze Zahlen.«
»Moment mal, auf welcher Basis hat mein Sohn diese Summe zugesagt?«
»Das kann ich nicht sagen.«
»Besprecht ihr keine Firmenstrategie, einschließlich Finanzen und Liquidität?«
»Alessandro ließ sich da nicht in die Karten schauen.«
»Verstehe. Und nun wackelt das Modell?«
»Es schwankt ... Außerdem sind Lieferverträge zu unterschreiben.«
Elaine seufzte, stand auf, öffnete eine Flasche Wasser und schenkte es in zwei Gläser ein. Eins schob sie zu Cedric und fragte, was er von ihr erwarte. Es lag auf der Hand, aber sie wollte es aus seinem Mund hören.
»Naja, ehrlich gesagt hoffte ich, Sie könnten Alessandros Zusage einlösen. Für seinen Schlaganfall kann er doch nichts.«
»Das steht auf einem anderen Blatt. 50 Millionen sind eine Menge.«
»Sicher. Aber soll ich weitermachen, als ob nichts passiert wäre, und erst zu Ihnen kommen, wenn es zu spät ist?«
»Nein.« Elaine setzte sich wieder und fragte Cedric, ob er ernsthaft an eine Zukunft in diesem Geschäft glaube. Soweit sie Einblick habe, verlieren die wenigen Firmen, die Elektroautos entwickeln, Jahr für Jahr viel Geld.
»Madame Volante, Alessandros Firma ist ein Vorreiter in moderner, umweltfreundlicher Technologie im Automobilsektor in Europa, und wenn wir ...«
»Cedric«, unterbrach sie ihn und schaute auf die Uhr, »ich verstehe wenig von Autos, aber viel von Psychologie. Du glaubst also daran?«
»Natürlich.«
»Übt der Investor Druck auf dich aus?«
»Wie meinen Sie das?«
»Wie ich es gesagt habe.«
Cedric knackte die Finger seiner rechten Hand mit dem Ballen der linken. »Das geht nun schon fast sieben Monate«, gab er schließlich zu. »Alessandro musste seit letztem September jeden Monat eine andere Ausrede finden.«
»Wurde unser berühmter Schauspieler mit dem italienischen Namen unruhig, als Alessandros Zahlung nicht einging?«
»Ja. Und jetzt befürchtet er, dass die Firma den Bach runtergehen könnte.« Cedric schaute auf den Boden, als er seinen Verdacht äußerte, dass der Investor nicht den gesamten Betrag allein aufgebacht hätte.
Elaine lehnte sich erstaunt im Sessel zurück, überlegte. »Verstehe ich richtig, dass du nicht aussprechen willst, was wir beide vermuten?«
Cedric reagierte nicht.
Was soll er darauf auch antworten, dachte Elaine, die seine schwierige Lage verstand. Deswegen wechselte sie das Thema und fragte, warum die Firma ein Angebot für die am härtesten umkämpfte Projektentwicklung in Port Hercule abgegeben hatte. »Das liegt doch gar nicht eurem Geschäftsfeld? Ihr seid gegen internationale Großkonzerne und sogar gegen meinen Bruder angetreten, was mir unverständlich ist. Nur schon die Erstellung der Proposition hat sicher einen zweistelligen Millionenbetrag verschlungen.«
»Das hing mit dem Kredit zusammen. Die Studie wurde von einer Firmengruppe des Investors erstellt und nur in Alessandros Namen abgegeben. Wie Sie richtig gesagt haben, hätten wir uns die Teilnahme an der Ausschreibung nicht leisten können.«
»Jetzt wird mir manches klar. Vor allem, warum mein Sohn seit Monaten unter riesigem Stress stand. Der Schlaganfall war kein Zufall ... Mein Gott, Cedric, befindet ihr euch in den Fängen der italienischen Mafia?«
»Madame, bisher ist es nur eine Vermutung. Vielleicht können Sie mit Alessandro reden. Ich kann das Kerngeschäft allein betreuen, aber bei den Finanzen brauche ich Ihre Hilfe.« Entschuldigend fügte Cedric hinzu, erst Einblick in die komplizierten Zusammenhänge bekommen zu haben, nachdem er voübergehend die Leitung übernommen hatte. »Firmenstruktur, Partner oder Investoren managte Alessandro vorher allein. Bitte glauben Sie mir.«
»Sofort.« Sie seufzte. »Alle Volante-Männer halten die Fäden allein in der Hand – bis sie reißen. Liege ich mit meiner Vermutung was die Mafia betrifft richtig, wird es nie wieder aufhören. Verstehst du das, Cedric? Nie! Wirst auch du persönlich unter Druck gesetzt?« Elaine schaute ihn durchdringend an, und Cedric wich ihrem Blick aus.
»Pass auf« sagte Elaine ungewohnt scharf, »du brauchst meine Hilfe, und dafür verlange ich Offenheit!«
Cedric nickte. »Es ist mir unangenehm darüber zu reden, aber Alessandros Frau kam Ende Januar aufgelöst zu mir. Am liebsten wäre sie sofort mit den Kindern abgetaucht, wusste aber nicht wohin ...« Jetzt schaute er Elaine beschämt an. »Also spielte sie die ahnungslose Gattin, auch um Alessandro zu schützen.«
»Ist Fiona wirklich ahnungslos?“
»Das weiß ich wirklich nicht. Mir hat sie nur erzählt, dass sich ein Paar als die Leonardos vorgestellt und verlangt hat, dass Alessandros Anteil schnellstens bezahlt wird. Wir wollten ihn abschirmen, bis er die Dinge wieder selbst regeln kann. Uns bleibt aber kein halbes Jahr. Fiona hat Angst und weiß nicht, wie alles weitergehen soll.«
»Haben die Leonardos gesagt, wann sie wiederkommen?«
»Nicht so bald, hoffe ich.«
»Cedric, Cedric«, seufzte Elaine. »Warum bist du nicht eher zu mir gekommen? Stell mir bitte umgehend die Finanzen der Firma zusammen. Als Ausdruck, nicht als E-Mail. Ich werde mich bei dir melden, nachdem ich mit Alessandro gesprochen habe.«
Ein Hoffnungsschimmer glomm in Cedrics Augen. »Ich schätze es sehr, dass Sie uns helfen, aber ohne Alessandros Zustimmung darf ich keine Bilanzen herausgeben.«
»Cedric, ich verstehe, dass du in einer Zwickmühle steckst. Aber hab den Schneid, eigenständig auch schwierige Entscheidungen zu treffen.Du leitest das Geschäft! Unserem Hollywood-Star erzählst du bitte eine gute Geschichte, denn für ihn gilt wie für uns: The Show must go on.«
Donnerstag, 27. Februar
Seit Alessandros Schlaganfall waren sieben Wochen vergangen. Neben den Ärzten, die sich engagiert kümmerten, hatte Elaine für ihren Sohn eine persönliche Krankenschwester eingestellt, die außerdem mit ihm an der Feinkoordination arbeitete, und eine Logopädin. Sobald es seine Gesundheit zuließ, würde ein Physiotherapeut für die tägliche Krankengymnastik dazustoßen. Der Wille zu genesen, konnte jedoch nur von Alessandro kommen. Er fand zwar langsam ins Leben zurück, haderte aber ständig mit sich und der Welt und stand sich selbst im Weg.
Wegen seiner labilen psychischen Verfassung hatte Elaine noch nicht mit ihrem Sohn über die drohende Zahlungsunfähigkeit seiner Firma gesprochen. Unabhängig davon, plante Elaine den Investor auszukaufen. Damit wollte sie zwei Dinge erreichen: Wieder alleinige Kontrolle über die Firma zu erlangen und verhindern, dass Alessandro erpressbar würde. Dies wäre das Ende ihrer Pläne für ihn als Familienvorsitz und deswegen ein Investment von 75 Millionen Dollar allemal wert. Alessandros geschäftliches Konzept hielt Elaine allerdings noch immer für nicht sonderlich erfolgversprechend. Trotzdem brauchte sie für alles sein Einverständnis.
Elaine hatte die Krankenschwester telefonisch gebeten, Alessandro heute nach den Übungen in das kleine Café gegenüber vom L’Archet zu schieben. Sie wollte das Gespräch in einer entspannten Umgebung führen. Zwar lag der kleine Garten zur Straße hinaus, aber das war angenehmer als der Geruch nach Krankheit, Sorgen und Schmerzen, die sich in der farblos-sterilen Atmosphäre der Krankenzimmer eingenistet hatten. Bei jedem Besuch lief Elaine eine Gänsehaut über den Rücken und sie wunderte sich, wie man da genesen sollte. Außerdem würden sie sich, wenn sie beide auf einem Stuhl saßen, zumindest körperlich auf Augenhöhe begegnen.
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