– Worum geht’ s denn, Liebchen?
- Kein Tattoo Etwas Aufgemaltes.
- Willst du ausgehen?
- Im Rücken, Vignetten oder eine Blüte, alte Schriftzeichen, Ägyptisches. Jason ist nicht da. Du kannst es…
- Wen willst du verführen? Den Spiegel? Dich selbst?
- Ich denke an ein Kleid mit Rückenausschnitt, für eine dieser Partys, die mir ansonsten wenig bedeuten.
- Vorn hoch geschlossen?
- Aber ja, versetzte sie ungeduldig.
Er sah ihr in die fiebernden dunklen Augen, die nicht wussten, sich vielleicht nicht einmal sehnten, dass eine Seite in ihr die Oberhand gewann, die sie des Schönsten in ihr beraubte, vor der Zeit, und weiter wollte er nicht denken. Er nannte ihr einen Termin, übermorgen, reicht das? Er konnte und wollte nicht glauben, was einer seiner Gäste ihm kürzlich zugetragen hatte, sie selbst habe das Ritual ersonnen, das demnächst wahr werden würde, die festliche Defloration unten am Fluss, in den Auen unter herabhängenden Lianen, inmitten des sie alle bedrängenden Sumpfgeruchs, von aufgeregten Vogelstimmen und plätschernden Geräusche im Undurchdringlichen des Wildwuchses begleitet, mit Fell überzogen die Trommeln. Einem unter den im Kreis Versammelten um sie würde das Vorrecht zugesprochen, dem Begehren des Mädchens nachzukommen, den Samen mit ihrem Blut zu vermischen. So dass sie befugt wäre, sich künftighin nach ihrer Wahl Liebhaber zu nehmen. Wie es ja in einer Epoche vor dem Patriarchat Sitte und Brauch gewesen sein mochte. Als sie mit dem Material für die Bemalung eintraf, erklärte sie dem Freund ihres Bruders, Valentin, ihr Sklave, (doch niemals würde sie mit ihm schlafen, er vielleicht auch nicht mit ihr), demnächst werde sie den Busen schwarz anmalen und die Schamhaare weiß einfärben. Er versagte sich jeden Kommentar. Der geschmeidige Rücken, Grübchen unterhalb der Taille. Die immer warme, seidenzarte Haut. Er musste sich ablenken, die Gedanken locker wandern lassen, Exzesse für sie ritualisieren, nichts dagegen eine Defloration unter Lianen, und er dachte an einen Club, in dem er gelegentlich anzutreffen war. Keine üble Adresse, so würde er sie nicht benennen. Er sah Carlo im Geiste auf einem Schoß sitzen, nahezu nackt, man würde sie anständig bezahlen, darauf würde er achten. Er selbst, kein Wunder angesichts seiner Freigebigkeit, war für gewöhnlich, das heißt durchgängig um Einkünfte verlegen. Sie könnten teilen, na ja, sie würde das nicht machen. Zu sehr noch in Träumen befangen, zu jung – gerade deswegen mochte ihr der Gedanke nicht ganz abwegig erscheinen, sie hatte Jason berührt. Höchstwahrscheinlich. Zu verlockend, verdammt verlockend der Gedanke, denn in dieser Familie setzte jeder für sich allein die Grenzen, mit sicherem Gespür für das eben noch Durchgehende, das Maß, worauf schließlich - bei ihrem Vater - jene verführerische Eleganz zurückzuführen war, die in Gesellschaft verschwenderisch zum Zuge kam. Die Mutter schätzte Valentin unnachgiebiger ein. Die Tiere, die Heumahd. Keiner in dieser Familie schien ernstlich zu bereuen, wie es nun gekommen war.
Carlo würde ihnen entkommen. Valentin sehnte nichts so sehr herbei wie ihren Untergang, tausendfach. Nicht von seiner Hand. Ein anderer würde das für ihn erledigen. Wie ein Buddhist würde er zusehen, gelassen, vollkommen gefühllos.
Er hatte ein Blütenmotiv gewählt, das sich von den Schultern herab in einem schmalen Arrangement verlor. Sie würde den Ausschnitt durch ein samtenes Band aufteilen, so dass nichts verrutschte. Er sah sie an, grau, blicklos. Wenn es etwas gab, dessen er sicher war: ein anderer würde sie entjungfern. Der nächste Schritt. In gar nicht so ferner Zeit. Eine Zufallsbekanntschaft oder ein Mitschüler. Wenn nicht am Fluss, dann vielleicht an einem verregneten Nachmittag hinter zugezogenen Vorhängen. So banal kam es ja meistens. Ein betagter Maler, der vielleicht auch nur schütter wirkte aufgrund seines Alkoholkonsums, hatte einen Verwahrlosten, der sich bei strömendem Regen dem Kirchenportal nähert, in Öl gemalt. Regenströme, ein Schatten, das gemauerte Portal, mehr bedurfte es nicht. Sie hatten ihn gemeinsam im Atelier besucht, er und Carlo. Der Mann machte ihr augenblicklich den Hof, das Bild indessen würde er nicht hergeben, nicht umsonst und um keinen Preis. Sie riss sich nicht los. Von dem Bildnis. Kehrte wieder, nachdem sie die Farbtuben, die Palette in Augenschein genommen hatte, besuchte, an der Wand gleich neben der Tür seiner Behausung, aufgehängt, das Bildnis des Einsamen, den ein Regenguss zum Kirchenportal fliehen ließ. Die Welt war in ihm, aber das Gotteshaus war zur Hand. Der Maler schien geneigt, ihr stattdessen sich selbst, seinen Körper anzubieten, denn das Bild, an das sie förmlich zu glauben schien, das sei natürlich er selbst in Essenz, wie sie wohl bemerkt habe. Valentin dachte, etwas muss geschehen, ehe sich Unangemessenes Raum verschafft. Um sie loszulösen für die weiten Horizonte, deren sie bedarf. Und dabei war er sicher, dass sie nichts von alledem in die Tat umsetzen würde, dass sie einen Mythos nährte, solange es sie keine andere Chance sah, solange sie sechzehn war.
Früher einmal, nicht zu lange her (doch mittlerweile befand sie sich in den Abschlussprüfungen des Abiturs, Valentins Umgang war nicht mehr im Schwange, ihre Clique, die jetzige wechselte häufig das In-Lokal), hatte sie auf Teppichen neben ihm gelegen. Er wohnte auf Teppichen, einer davon bedeckte sein Schlaflager. Sie redeten leise. Sie sprach ihm vom Tod, immer in Reichweite, um sich dem Leben anvertrauen zu können. Dem Ruch von Gefahr, sich selbst. Dann geh nach Karelien, riet er ihr, zu den Trollen im Dunst der hinteren Gärten oder im wohlgeordneten Durcheinander rostiger Relikte in den Scheunen. Sollte in diesen menschenarmen Gegenden ein Verirrter den Tod finden, was von Zeit zu Zeit der Fall sein dürfte, sind sie zur Stelle, diejenigen, die noch nicht geflohen sind oder sich aufgelöst haben, um dem Leichnam zur Seite zu stehen. Bis es sich nur mehr um ein geschrumpftes Abbild handelt, aber der Leichnam könnte die Ungebetenen auch verleiten…, sind es diese Orte, nach denen es dich verlangt? – Du machst mich frieren, klagte sie.
Er rollte sich zu ihr, strich ihr über die Schläfen, Carlo, wollte er ihr sagen, du weißt, etwas in mir steht Kopf, betrittst du nur den Raum! Das geht nicht mir allein so. Ich kann nicht immer auf dich achten. Oder dich im Gegenteil sogar verleiten. Hüte dich, einer wird kommen, dir Gewalt anzutun. Das Begehren stachelt ihn auf und wie schnell ist es getan, Minuten, und du bist ihm so gleichgültig wie nur der Tod, das Abgestorbene.
Warum trug er es ihr immer wieder an?
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