Esther und Nora schlenderten auf den Eingang zu.
»Sieh dir diesen Playboy an. Ist echt widerlich, wie der sich anmachen lässt«, regte sich Esther auf.
»Lass ihn doch. Das geht dich nichts mehr an«, sagte Nora beschwichtigend. Sie hoffte inständig, dass die Freundin bald ihre große Liebe fände. Die ewigen Sticheleien zwischen Tom und Esther wurden langsam lästig.
Eigentlich hatte Nora gar nicht ausgehen wollen. Aber Frank musste überraschend den Eltern im Garten helfen. Dabei war sie unerwünscht. Seine alte Dame wollte ihren Sohn für sich alleine haben. Bei ihr zu Hause war auch keine Ruhe. Da lief der wöchentliche Kartenspiel-Abend. Esthers Anruf kam da wie gerufen.
»Du sieh mal, der da drüben. Ist der nicht süß?« Esther starrte wie hypnotisiert einen Jungen an, der lässig an der Bar lehnte. Nora folgte ihrem Blick und sagte verwundert:
»Meinst du den im Kult-Outfit? Seit wann stehst du denn auf James-Dean-Typen?«
»Das Äußere ist nicht alles. Du sagst doch selbst immer, bei der Liebe kommt es darauf an, dass man sich gut versteht.«
Nora schüttelte den Kopf. Daraus sollte einer schlau werden.
»Ich werde dem jedenfalls mal auf den Zahn fühlen.« Esther bahnte sich bereits einen Weg Richtung Bar. Nur noch zwei Schritte trennten sie von ihrem Traumboy, als eine blond gelockte Schönheit ihn auf die Tanzfläche lotste. War der etwa schon in festen Händen? Esther nagte an ihrer Unterlippe. Sie würde sich den Typen nicht einfach so wegschnappen lassen und baute sich neben seinem Barhocker auf. Irgendwann musste er ja zurückkommen. Mit gerecktem Hals versuchte sie, die beiden auf der überfüllten Tanzfläche zu erkennen.
»Hallo, du brünette Zuckerschnecke, suchst du mich?« Esther zuckte zusammen, sie hatte nicht bemerkt, dass sich jemand neben sie gesetzt hatte. Blitzschnell plante sie um und fragte cool zurück:
»Kann sein, wann hast du denn Geburtstag?«
»Wenn das so wichtig ist, am 20. März.«
»Nee, das ist nichts für mich. Fische sind nicht mein Typ.«
»Wieso Fische?«
»Mensch, verzieh dich, ich habe dich nicht eingeladen.«
Wo nur dieser Typ blieb, er tanzte jetzt schon zwanzig Minuten. Endlich entdeckte sie ihn im Durchgang zur Toilette auf der anderen Seite der Tanzfläche. Er stand allein, lässig an die Wand gelehnt.
Hastig drängte sie sich durch die Tanzenden. Diesmal entkam er ihr nicht.
»Komm, lass uns tanzen.« Sie nahm seine Hand und zog ihn, innerlich jubelnd, hinter sich her. Es funktionierte! Einfach süß, wie schüchtern er war.
Als hätte sie darum gebettelt, legte der DJ einen Schmusesong auf. Das gab Esther die Gelegenheit, die alles entscheidende Frage zu stellen. Sie schlang ihre Arme um seinen Hals und schnurrte wie eine Katze in sein Ohr.
»Wann hast du Geburtstag?«
»Am 30. Juli, ich bin Löwe.«
Esthers Herz schlug Purzelbäume. Das war er! Sie hatte es doch gewusst. Denn sonst hätte er ihr nicht freiwillig sein Sternzeichen genannt. Seine starken Arme um ihre Taille verursachten ein wohliges Kribbeln überall. Er duftete so angenehm. Wange an Wange. Sie schmiegte sich mit dem ganzen Körper an ihn. Schon sah sie sich mit ihm am Strand, beim Shopping, im Eiscafé, eng umschlungen im hohen Gras einer Sommerwiese …
Langsam hob sie den Kopf. Ihre Lippen näherten sich seinen. Ihr ganzer Körper kribbelte. Doch bevor er sie küssen konnte, erschien dieses blonde Gift wieder, tippte Esther auf die Schulter und lächelte honigsüß.
»Telefon für dich.«
»Für mich? Wer denn?«
»Weiß ich nicht, ich sollte dir nur Bescheid sagen.«
Einen Moment lang kämpfte Esther mit sich. Doch die Neugier siegte. Vielleicht war ja was passiert. Widerwillig löste sie sich aus den Armen des blonden Jungen. Sein Gesichtsausdruck war unverändert. Eine unbestimmte Trauer lag in seinen hellen Augen. Erst jetzt fiel ihr auf, dass er James Dean ja wirklich sehr ähnlich sah. Nora hatte recht.
Als sie an die Bar zurückkam, plauderte Uschi noch immer angeregt mit Nico. Verliebt hing sein Blick an ihren Lippen. Was der nur an der findet, dachte Esther und steuerte auf das Wandtelefon hinter Uschi zu. Doch der Hörer war aufgelegt.
»Ich muss leider mal stören«, unterbrach Esther schnippisch das verliebte Turteln der beiden, »so'n blonder Engel hat mich hierher geschickt. Soll ein Anruf für mich gewesen sein. Hast du aufgelegt?«
»Da war kein Anruf. War wohl ein Joke. Wahrscheinlich wollte sie dich von ihrem Typen loseisen. Du hast dich ja auch mächtig ins Zeug gelegt.«
Esther hätte Uschi ohrfeigen können. Was bildete die sich eigentlich ein? Wutschnaubend machte sie auf dem Absatz ihrer Plateausohlen kehrt. Sie sah gerade noch, wie ihr Angebeteter mit dieser blonden Hexe Arm in Arm nach draußen verschwand. Das war zuviel. Es hatte keinen Sinn, ihre Zeit hier weiter zu vertrödeln. Endgültig total sauer, stapfte sie zu ihrem Tisch. Noras fragende Blicke ignorierend, schnappte sie sich ihre Jacke. Sie war den Tränen nahe. Noch ehe Nora etwas sagen konnte, stieß Esther Tom wortlos beiseite und verschwand im Getümmel.
***
»Hallo, Tochterherz! Heute schon um zehn zu Hause?« Peter Busch lächelte müde.
»Ha, ha«, konterte Esther angriffslustig, »hoffentlich bricht der Klinikbetrieb nicht zusammen, wenn der Chefarzt nicht alles selbst macht.« Sie kramte nervös in ihrem Rucksack nach dem Haustürschlüssel und fragte etwas freundlicher: »Ist Mom denn nicht mitgekommen?«
»Sie wollte nachkommen, wenn sie im Labor fertig ist. Sie müsste eigentlich jeden Augenblick hier sein.«
Doktor Busch hatte ein schlechtes Gewissen. Er wusste, dass seine Tochter ihn und ihre Mutter brauchte. Aber der chronische Personalmangel, verursacht durch die immer neuen Sparmaßnahmen, zwangen sie dazu, so viel zu arbeiten. Das Forschungsprojekt, an dem seine Frau gerade arbeitete, verschlang Unsummen. Doch das neue Medikament würde nicht nur vielen Patienten helfen, gesund zu werden, sondern auch das Geld bringen, das für das Überleben der Klinik so dringend nötig war.
Esther registrierte nur flüchtig, wie abgespannt ihr Vater aussah. Heute hatte sie wirklich andere Sorgen.
Bevor einer von ihnen die Haustür aufschließen konnte, wurde sie von innen geöffnet. In Almas rundem Gesicht ging die Sonne auf.
»Hab ich doch richtig gehört! Ist ja ein richtiger Massenandrang heute«, sie lachte, »ist was passiert?«
Seit zwanzig Jahren kümmerte sich Alma um alles, wozu die Buschs keine Zeit hatten. Sie war ein Juwel, der gute Geist des Hauses und ein waschechtes Nordlicht. Ihre unnachahmliche, kühle Art hatte schon oft für erträgliche Temperaturen gesorgt, wenn die erhitzten Gemüter der Buschs zu explodieren drohten. Rau, aber herzlich hatte Alma Esthers Dickkopf stets zurechtgerückt, wenn nötig. Vor allem hatte sie für große und kleine Sorgen immer Zeit gehabt. Esther drückte ihr einen flüchtigen Schmatz auf die Stirn.
»Frau Doktor hat angerufen, es wird doch später, als sie dachte«, berichtete Alma mit einem sorgenvollen Blick auf Esther, der die Enttäuschung deutlich anzusehen war. »Braucht ihr noch was, soll ich was zu essen machen?«
»Nein danke, Alma, ich gehe schlafen, es war ein langer Tag, und morgen wird's auch nicht leicht«, winkte Peter Busch ab und schlurfte in Richtung Bad.
»Habe keinen Hunger.« Esther versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Schnell lief sie die Treppe hinauf, denn die Tränen kamen schon wieder. Schluchzend warf sie sich auf ihr Bett. Sie fühlte sich einsam und von allen im Stich gelassen. Sie sehnte sich danach, in den Arm genommen zu werden, wie es ihre Mutter früher manchmal gemacht hatte, wenn Esther mal traurig oder wütend war.
Wie schön musste es sein, zärtlich gestreichelt und getröstet zu werden. Was hatte sie nur falsch gemacht, dass dieser tolle Typ mit der anderen abgezogen war? Es war doch klar gewesen, dass es heute passieren würde. Wieso hatte es dann nicht geklappt? Wie lange musste sie denn noch auf ihren Traumboy warten, der sie verstand und zärtlich liebte? Mit diesen Gedanken glitt Esther hinüber ins Reich der Träume.
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