»Mum, bitte, ich bringe Ethan mit. Ich erkläre dir gleich alles.«
»Du bringst ihn mit?« Mrs. Laurent fragte vorsichtig. »Und morgen früh wird dann geheiratet? Soll ich die Familie zusammenrufen? Aber einer von euch beiden müsste heute Nacht noch konvertieren.«
»Mum, ich erkläre dir gleich alles. Wir gehen sofort los.« Sie legte auf und fragte Ethan, ob er mit seinem Vater gesprochen habe. Er nickte.
»Mary!« Dr. Laurent rief nach seiner Frau. »Was ist mit Emy?«
Mrs. Laurent hatte sich aus der Küche ein Glass Wein geholt. Sie ging zu ihrem Mann in das Zimmer, wo die große Ledercouch stand und der Fernseher von der Decke hing. Sie setzte sich auf die breite Lehne der Couch und sagte:
»Emy hat einen ausgesetzten Welpen gefunden und bringt ihn mit nach Hause.«
»Einen Welpen?«, wollte Dr. Laurent wissen.
»Naja, im erweiterten Sinn. Sie hat den Jungen vom Eis dabei, wenn sie kommt.«
»Warum?«, fragte der sich vom Fernseher abwendende Dr. Laurent.
»Das will sie uns gleich erzählen.«
»Ist das ein Freund von ihr?«, wollte Dr. Laurent wissen.
»Eigentlich nicht«, antwortete seine Frau nachdenklich. »Irgendetwas Schlimmes ist passiert, hat Emy erzählt.«
»Etwas Schlimmes?« Dr. Laurent setzte sich aufrecht hin und hörte mit voller Aufmerksamkeit zu. »Wie heißt der Junge noch mal?«
»Ethan Bishop«, sagte Mrs. Laurent.
»Ethan Bishop, Ethan Bishop?« Dr. Laurent wiederholte seine Frage.
»Ja, du kennst ihn?« Mrs. Laurent schaute ihren Mann fragend an.
»Nein«, antwortete der Vater von Emy, als er ruckartig von der Couch sprang. »Ich kenne ihn nicht, aber seinen Vater.«
»Wo willst du hin?« rief Mrs. Laurent ihrem Mann nach, der auf dem Weg zum Telefon war.
»Er ist der Sohn von Dr. Bishop, dem Arzt, der vor ein paar Wochen die chirurgische Abteilung im Krankenhaus übernommen hat. Du weißt schon, die Geschichte mit dem Unfall seiner Frau in Deutschland. Ich rufe den Dr. in der Klinik an und frage ihn, was wir machen sollen.«
»Guten Abend, Dr. Bishop, hier ist Dr. Laurent. Unsere Tochter hat ihren Sohn getroffen und kommt gleich mit ihm zu uns. Wir wollten nur wissen, wie wir uns verhalten sollen.«
Während Dr. Laurent mit dem Vater von Ethan sprach, hatte sich Mrs. Laurent in die große Couch gelümmelt und unterhielt sich mit Lucía, der aus Chile stammenden Nanny der Familie.
»Lucía«, begann Mrs. Laurent, die Füße jetzt doch wieder von der Couch nehmend, »wenn du möchtest, kannst du in die Kirche gehen, damit du einen guten Platz bekommst. Wir erwarten noch Besuch, aber darum kann ich mich kümmern.«
»Besuch?« Lucía hasste es, wenn im Haus Laurent unvorhergesehene Ereignisse stadtfanden. »Wen erwarten wir denn am heutigen Abend, Señora?«
»Emy bringt noch einen Freund mit.«
»Einen Freund?« Lucía war streng katholisch und Emy in ihren Augen ein sehr gefährdetes katholisches Mädchen, das es zu beschützen galt. Lucía war die moralische Instanz im Haus Laurent, obwohl sie kein richtiges Mitglied der Familie war. Für die Kinder war sie es dann doch. Sie kannten sie so lange sie lebten und hatten als Kind den gehörigen Respekt vor ihr, den sie weder vor den Eltern, noch den Großeltern aufbrachten. Beide liebten die Nanny wie ihre eigene Familie.
»Ja, einen Freund.«
Lucía war mit der Antwort bei weitem nicht zufrieden und das war ihr anzusehen.
»Ich bleibe heute hier und gehe zur Frühmesse. Was werden Sie heute Abend essen?« Sie fragte es mit ihrer mütterlichen Freundlichkeit.
»Wir haben doch schon gegessen, aber Emys Freund hat sicher Hunger. Der Junge ist den ganzen Abend draußen gewesen und ist Schlittschuh gefahren.« Schon beim Aussprechen des Satzes wusste Mrs. Laurent, das Lucías Unverständnis über den zu erwartenden Besuch durch ihre Aussage nicht kleiner geworden war.
»Schlittschuhe, am Heiligen Abend, dann wird der Junge nicht katholisch sein.«
Mrs. Laurent machte eine leichte Aufwärtsbewegung mit beiden Händen.
»Vielleicht ist ja Jesus nicht über das Wasser gegangen, sondern mit Schlittschuhen gefahren.«
Das reichte Lucía. Sie drehte sich um und ging mit ein paar spanischen Ansagen in Richtung Küche.
Mathis war in das Wohnzimmer gekommen.
»Was machen wir heute noch?«, wollte er von seinen Eltern wissen.
»Nichts, Emy bringt den Jungen noch mit zu uns und wenn du möchtest, kannst du mit uns die Weihnachtsshow ansehen.«
»Nö, das will ich nicht. Ich werde mich um meine Fotos kümmern. Gute Nacht. Was für einen Jungen bringt Emy mit?«, wollte er schon im Gehen wissen.
»Eine Weihnachtsgeschichte, mein Junge«, bekam er von seiner Mutter als Antwort. Mathis wusste: Wenn sie so drauf war, gab es entweder Ärger oder etwas zu Lachen. Er wollte es nicht rauskriegen und ging ohne weitere Fragen zu stellen in sein Zimmer.
Dr. Laurent kehrte zurück. Er ließ sich mit einem breiten Seufzer in die Couch fallen, um seiner Frau zu Berichten, was er gerade mit dem Vater von Ethan am Telefon besprochen hatte. Mrs. Laurent setzte sich neben ihren Mann und schaute ihn von der Seite an. Sie hörte zu und begann, auf ihrer Unterlippe zu kauen.
»Soll er bei uns bleiben?«, wollte Mrs. Laurent wissen.
»Dr. Bishop ist in einer Stunde zu Hause. Er musste etwas länger in der Klinik bleiben, da es einen Notfall gab. Er hatte seinen Sohn angerufen, der zu Hause saß und ihn gefragt, ob er ihn im Krankenhaus abholen wollte, damit er nicht alleine in der Wohnung sitzen muss. Ethan wollte lieber etwas Schlittschuh fahren und dann zu Hause auf seinen Vater warten. Es wäre schön, hatte Ethans Vater gesagt, wenn er den Jungen auf dem Nachhauseweg bei uns abholen könnte. Ich habe den Dr. eingeladen, auch noch zu uns herauf zu kommen, aber er hat dankend abgelehnt. Also bleibt der Junge bei uns, bis Dr. Bishop anruft, wenn er vor dem Haus steht.«
Mrs. Laurent hatte sich in der Zwischenzeit näher zu ihrem Mann gesetzt und ihren Kopf auf seine Schulter gelegt.
»Er sieht aus wie ein Engel und lebt in der Hölle.« Sie sah durch das bis zum Boden reichende Fenster zu, wie es immer noch schneite.
Emy kam zuerst durch die Wohnungstür, Ethan hinter ihr, mit seinen Schlittschuhen über der Schulter. Mrs. Laurent dachte, wo hatte der Junge denn vorhin seine richtigen Schuhe, da sie diese nicht an der Eisbahn gesehen hatte.
»Guten Abend.« Er stand im Flur der großen Wohnung und schaute sich etwas verlegen um.
»Guten Abend«, sagte Dr. Laurent, indem er mit ausgestreckter Hand auf ihn zuging. »Ich kenne deinen Vater, ich bin ein Kollege aus dem Krankenhaus deines Vaters.«
Ethan dachte an eine Verschwörung, da es doch kein Zufall sein konnte, was da gerade passierte. Lucía war mittlerweile auch im Flur und nahm ihm seine Schlittschuhe ab und wartete, ihn dabei anschauend. Ethan wusste nicht gleich, was sie von ihm wollte, erinnerte sich an seine Mütze und gab sie ihr.
»Kommt rein«, lud Mrs. Laurent allen im Flur Stehenden ein. »Also, Ethan, du willst wieder ein richtiger New Yorker sein?«, fragte Emys Mutter den Jungen.
»Ja, naja, eigentlich bin ich das ja. Wir waren ja jedes Jahr hier, für ein, zwei Monate.«
»Wo habt ihr in Europa gelebt?«, wollte Dr. Laurent wissen.
»In Deutschland. Dad hat dort für die Army oder so gearbeitet.«
»Deutschland?«, fragte Mrs. Laurent. »Und wo da?«
»In München.« Ethan stand in dem Zimmer mit dem großen Fernseher.
»Setzt euch doch zu uns«, lud Emys Vater seine Tochter und ihn ein. Emy sagte sofort:
»Vielleicht gehe ich mit Ethan in mein Zimmer. Da können wir etwas Musik hören oder so.«
»Ja, gleich«, bremste Mrs. Laurent den Eifer ihrer Tochter. »Aber zuerst sollte Ethan etwas essen.«
»Das muss aber nicht sein«, wehrte sich der Junge.
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