"Schade."
"Ich scheine gerade eine Rush Hour-Zeit erwischt zu haben, dann kann es schon mal derartige Probleme im GalaxyNet geben, wenn man auf große Entfernung sendet."
Unsere Hände - oder besser: die Hände unserer Cyber-Ichs - berührten sich, aber es entstand keine taktile Empfindung dabei. Sie überlagerten sich wie übereinander projizierte 2-D-Filme aus dem zwanzigsten und einundzwanzigten Jahrhundert.
Ich ahnte in diesem Moment nicht, daß diese flüchtige Begegnung unsere letzte war.
Noch Jahre später wiederholte sich diese Szene Nacht für Nacht in meinen Träumen.
Dieses Lächeln.
Dieser letzte Blick.
*
Die Tür des Gleiter-Hangars funktionierte einwandfrei. Ich nahm mir den Langstreckengleiter vom Typ VXR, der neben der Fahrerkabine auch noch zwei Schlafkabinen aufwies. Außerdem hatte ich ein Lasergeschütz einbauen lassen, daß verdeckt angebracht war, so daß es optisch nicht auffiel. Elektromagnetische Störsignale verhinderten auch weitgehend, daß jeder x-beliebige Ortungsscanner auf das Ding aufmerksam wurde.
Ich wechselte meinen CyberSensor aus, zog halborganische, enganliegende so gut wie unsichtbare Handschuhe an, die meine Handlinien und Fingerabdrücke veränderten und legte außerdem Kontaktlinsen mit veränderten Iris-Mustern an. Ich hatte jetzt die Identität eines anderen angenommen. Tom Forano, wohnhaft in Mars Port, Mars, 77 Jahre alt, wie mir die Anzeige verriet, als ich den anderen CyberSensor in die kleine, steckerartige Öffnung an meinem Nacken eingeführt hatte. Wenn es jemandem gelang, die Datenströme an Bord des Gleiters abzuhören, sollte die Spur nicht gleich zu einem Gewissen Dak Morley aus Barcana, Erde führen. Selbst an die identifizierbaren Stimmmuster hatte ich gedacht. Der Rechner des Gleiters war so programmiert, daß er mein Stimmuster in das von Tom Forano umwandelte, bevor er mit einer internen Abfrage meine Autorisierung zur Lenkung dieses Gleiters festellte. Wenn also irgend etwas schiefging und man die Überreste des VXR aus dem Pazifik fischte, so würde die Polizei dann feststellen, daß der Gleiter nur von einem Mann gelenkt worden sein konnte, dessen Stimme nicht die leiseste Ähnlichkeit mit dem Organ eines gewissen Dak Morley besaß.
Und dasselbe würde für Handlinienmuster, Fingerprints und Iriserkennung gelten.
(Seit den massiven Fortschritten der plastischen Chirurgie war man glücklicherweise schon vor einigen Jahrhunderten davon abgekommen, das Gesicht als Hauptidentifizierungsmerkmal eines Menschen zu betrachten).
Sorana würde meinen abgelegten Dak-Morley-CyberSensor nicht erreichen können. Ich hoffte nur, daß sie genug zu tun hatte, um sich keine Sorgen zu machen. Ich bedauerte es, daß ich ihr nichts über den Job hatte sagen können, den ich übernommen hatte. Aber das Risiko wäre einfach nicht vertretbar gewesen. Hyperfunkverbindungen abzuhören war nun wirklich ein Kunststück für Amateure.
*
Die Pazifikinsel Makata tauchte aus dem Licht der Morgendämmerung auf. Ein kleines Paradies, daß sich die Kirche des reinen Lichts als ihren Hauptsitz ausgewählt hatte. Wie ein blaues Auge leuchtete eine große Lagune. An dieser Lagune befand sich eine Siedlung aus kuppelförmigen Gebäuden. Eckige Formen wurden von der Kirche des reinen Lichtes als satanisch abgelehnt. Nur das Runde sei in Harmonie mit dem Kosmos.
Ich hielt den Gleiter außerhalb des Ortungsfeldes, daß Makatua umgab und schaltete ihn auf Autopilot. Das Rechnersystem übernahm die Steuerung und ließ das Gefährt ein wenig herumkreisen.
Du kannst von Glück sagen, daß es keinen Hochenergieschild um Makatua gibt! rief ich mir ins Gedächtnis.
Aber Hochenergieschilde waren seit hundertdreißig Jahren auf der Erde verboten. Seit der Katastrophe von Dar-es-Sahara, die um ein Haar dazu geführt hatte, daß die Erdatmosphäre nahezu ihren gesamten Sauerstoff verlor. Aber das war lange her ich war froh in einer Zeit zu leben, in der die Vernunft zumindest in diesem einen Punkt gesiegt hatte.
Jetzt mußte ich nur einen Weg finden, das Ortungssystem von Makatua auszutricksen.
Aber da hatte ich mir schon etwas überlegt.
Ich rief das SYSTEM des Gleiters auf.
"Bitte Makatua nach den Biomustern von Brindon Jarvus abscannen", forderte ich in die Stille hinein, die um mich herum herrschte.
Der Betrieb des Gleiters verursachte so gut wie keinen Laut.
Mir fiel der schreckliche Krach ein, den Fahrzeuge früherer Zeiten verursacht hatten. Nach wie vor war es allerdings umstritten, ob der Krach eines Automobils, wie er in den 2-D- Filmen jener Zeit dokumentiert wurde, wirklich durch das Fahrzeug verursacht wurde oder es sich um Datenfehler auf den Akustik-Files handelte.
Ich aktivierte ein Holodisplay, das ein exaktes 3-D-Abbild der Insel zeigte. Eine Anzeige informierte mich über den Fortschritt bei der Suche nach Brindon Jarvus's Biomustern.
Die Suchgeschwindigkeit war auf das niedrigste mögliche Level eingestellt. Ansonsten bestand nämlich die Gefahr, daß der Scanvorgang unten auf Makatua bemerkt wurde.
Ich wartete, ging ungeduldig auf und ab. Dann kam endlich das erlösende Signal. Brindon war gefunden. Auf der Darstellung des Holodisplays wurde seine Postion genau markiert. Er befand sich im größten der insgesamt etwa ein dutzend Kuppelbauten.
Ich vergrößerte die Darstellung.
Selbst die Einteilung der Räume war jetzt erkennbar. Brindon wurde in einer Art Arrestzelle gefangengehalten. Ein winziger Raum. Brindon bewegte sich nicht. Vielleicht war er gefesselt oder schlief.
"Scan-Daten in den internen Speicher des CyberSensor von...", ich mußte mich einen Moment konzentrieren, damit mir der Name wieder einfiel, den ich zur Zeit trug, "...von Tom Forano laden."
"Wird ausgeführt", sagte die Stimme des SYSTEMs. Diesmal nicht als Pseudo-Voice, die nur eine Kitzelei meiner Hörnerven mit entsprechenden Impulsen war, sondern als Kunststimme aus einem Lautsprecher. Hier im Gleiter hatte ich das SYSTEM so konfiguriert. Den eigentlichen Grund dafür konnte ich nicht mehr angeben. Vielleicht stand der unbewußte Wunsch dahinter, doch nicht ganz allein bei so einer Mission zu sein. Andererseits wäre die Illusion der Pseudostimme eigentlich perfekt genug gewesen, um denselben Effekt zu erzielen.
Und doch...
Ich beschloß, nicht länger darüber nachzudenken.
Wenn die Scan-Daten über die Anlagen auf Makatua im internen Speicher meines CyberSensors waren, konnte ich sie jederzeit in meinem Auge anzeigen lassen, ohne dafür ein Signal zum Gleiter senden zu müssen. Letzteres konnte mich ja eventuell verraten.
"Frage: Gibt es auf Makatua einen Transmitter?" wandte ich mich an das SYSTEM.
"Positiv", sagte die Kunststimme. Sogleich wurde die Transmitterstation auf der Holo-Darstellung markiert.
"Gibt sonst irgendwelche Verbindungen zur Außenwelt?"
"Negativ. Keine Datenverbindungen, kein Zugang zum GalaxyNet, keine Hyperfunkverbindungen."
Die Transmitterstation war also so etwas wie das Tor zur Welt, daß die Angehörigen der Kirche des reinen Lichtes unterhielten. Eine Art Hintertür, mehr nicht. Vielleicht kamen über diese Station die Neuankömmlinge hier her.
"Programm CXA aktivieren", befahl ich. Das war ein illegales Hackerprogramm. Ein guter Bekannter hatte es für mich entwickelt. Ich wollte damit in den Rechner der Transmitterstation hineinkommen und es gab eigentlich kein Argument, daß dagegen sprach.
Es mußte möglich sein.
Das CXA-Programm arbeitete nach einem uralten, sehr einfachen und nach wie vor äußerst wirksamen Prinzip. Es mied die gut gesicherten 'Haupteingänge' eines Systems und konzentrierte sich darauf, Sicherheitslücken auf Nebenrechnern zu finden. Dort wurde auf Sicherheit nicht so geachtet und es war eigentlich nur eine Frage der Statistik, wann man auf einen Rechner stieß, dessen Codes noch Werkseinstellung aufwiesen, weil sich niemand die Mühe gemacht hatte, sie bis in die letzte Kleinigkeit hinein zu konfigurieren. In diesem Fall war diese 'Hintertür' in New L.A., wo die Kirche des reinen Lichtes eine Dependance besaß, mit der sie über Transmitter verbunden war.
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