»Paß auf, das Geld wird verbrennen, und man wird dich auslachen!« rief ihm Nastasja Filippowna zu. »Nachher wirst du dich aufhängen; ich scherze nicht!«
Das Feuer, das anfangs zwischen den beiden schwelenden Holzscheiten aufgeflammt war, hatte, als das Päckchen darauf fiel und es niederdrückte, zunächst beinahe erlöschen wollen. Aber eine kleine, blaue Flamme klammerte sich noch unten an eine Ecke des darunterliegenden Scheites. Endlich leckte eine schmale, lange Feuerzunge auch an dem Päckchen; das Feuer blieb daran haften und lief an den Ecken an dem Papier in die Höhe, und plötzlich flammte das ganze Päckchen im Kamin auf, und eine helle Flamme schlug in die Höhe. Alle stöhnten auf.
»Mütterchen!« heulte Lebedjew immer noch und stürzte wieder nach vorn; aber Rogoschin zog und stieß ihn von neuem hinweg.
Rogoschin selbst hatte sich sozusagen ganz in einen einzigen starren Blick verwandelt. Er konnte sich von Nastasja Filippowna nicht losreißen; er berauschte sich an ihr; er war im siebenten Himmel.
»Das ist einmal eine Königin!« wiederholte er alle Augenblicke, indem er sich bald an diesen, bald an jenen der Umstehenden wandte. »Das ist einmal nach meinem Geschmack!« rief er, kaum von sich selbst wissend. »Na, wer von euch, ihr armseligen Gauner, ist eines solchen Streiches fähig, he?«
Der Fürst beobachtete die Vorgänge traurig und schweigend.
»Ich hole es für einen einzigen Tausender mit den Zähnen heraus!« erbot sich Ferdyschtschenko.
»Ich täte es ebenfalls mit den Zähnen!« knirschte der hinter allen stehende Herr mit den Fäusten in einem Anfall echter Verzweiflung. »Hol's der Teufel! Es brennt, es brennt vollständig!« schrie er, als er die Flamme sah.
»Es brennt, es brennt!« riefen alle zugleich und stürzten fast sämtlich ebenfalls zum Kamin hin.
»Ganja, sei nicht eigensinnig; ich sage es zum letztenmal!«
»Greif hinein!« brüllte Ferdyschtschenko, indem er in voller Raserei zu Ganja hinstürzte und ihn am Ärmel riß. »Greif hinein, du Narr! Es verbrennt; O du ver-r-r-dammter Kerl!«
Ganja stieß Ferdyschtschenko heftig von sich, drehte sich um und ging auf die Tür zu; aber er hatte kaum zwei Schritte gemacht, als er schwankte und zu Boden stürzte.
»Er ist ohnmächtig!« riefen die Umstehenden.
»Mütterchen, es verbrennt!« heulte Lebedjew.
»Es verbrennt ohne allen Sinn und Zweck!« wurde von allen Seiten gebrüllt.
»Katja, Pascha, bringt ihm Wasser und Spiritus!« befahl Nastasja Filippowna, ergriff die Feuerzange und holte das Päckchen heraus.
Fast das ganze äußere Papier war angebrannt und glimmte; aber man konnte sofort sehen, daß der Inhalt heilgeblieben war. Das Päckchen war in dreifaches Zeitungspapier eingeschlagen, und das Geld war unversehrt. Alle atmeten freier.
»Kaum ein Tausender ist ein bißchen beschädigt; aber alle übrigen sind ganz«, sagte Lebedjew förmlich gerührt.
»Das ganze Geld gehört ihm! Das ganze Päckchen ist sein! Hören Sie, meine Herrschaften!« rief Nastasja Filippowna und legte das Päckchen neben Ganja hin. »Er hat sich doch beherrscht und ist nicht hingegangen! Also ist bei ihm das Ehrgefühl doch noch stärker als die Geldgier. Die Ohnmacht ist nicht gefährlich; er wird schon wieder zu sich kommen! Wenn ich es ihm nicht schenkte, würde er mich womöglich ermorden ... Da! er kommt schon wieder zur Besinnung. General, Iwan Petrowitsch, Darja Alexejewna, Katja, Pascha, Rogoschin, habt ihr es gehört? Das Päckchen gehört Ganja. Ich überlasse es ihm zu vollem Eigentum, als Entschädigung ... oder wie man es sonst nennen will! Sagt ihm das! Mag es da neben ihm liegenbleiben ... Vorwärts, Rogoschin! Leb wohl, Fürst; ich habe zum erstenmal einen Menschen gefunden! Leben Sie wohl, Afanasi Iwanowitsch, merci!«
Rogoschins ganze Rotte eilte lärmend, polternd und schreiend hinter ihm und Nastasja Filippowna her durch die Zimmer dem Ausgang zu. Im Wohnzimmer reichten ihr die Mädchen den Pelz; die Köchin Marfa kam aus der Küche herbeigelaufen. Nastasja Filippowna küßte sie alle.
»Aber wollen Sie uns denn wirklich ganz verlassen, Mütterchen? Und wohin gehen Sie denn? Und noch dazu am Geburtstag, an einem solchen Tag!« fragten die weinenden Mädchen, indem sie ihr die Hände küßten.
»Ich gehe auf die Straße, Katja; du hast es ja gehört; da ist mein Platz; oder aber ich werde Wäscherin! Mit Afanasi Iwanowitsch bin ich fertig! Grüßt ihn von mir, und gedenket meiner nicht im Bösen ...«
Der Fürst eilte, so schnell er nur konnte, nach dem Portal zu, wo alle dabei waren, sich in vier mit Glöckchen behängte Troiken zu verteilen. Der General, der ihm nachlief, holte ihn noch auf der Treppe ein.
»Ich bitte dich, Fürst, komm zur Besinnung!« sagte er und ergriff ihn bei der Hand. »Laß doch das Weib laufen! Du siehst ja, was sie für eine ist! Ich rede zu dir wie ein väterlicher Freund ...«
Der Fürst sah ihn an, riß sich aber, ohne ein Wort zu sagen, los und lief nach unten.
Am Portal, von dem die Troiken gerade abgefahren waren, sah der General noch, wie der Fürst die erste beste Droschke nahm und dem Kutscher zurief: »Nach Jekateringof, hinter den Troiken her!« Dann kam der mit einem grauen Traber bespannte Wagen des Generals vorgefahren und brachte den General nach Hause, mit neuen Hoffnungen und Plänen und mit dem Perlenschmuck, den der General doch nicht vergessen hatte mitzunehmen. Mitten unter diesen Spekulationen tauchte Nastasja Filippownas verführerisches Bild ein paarmal vor seinem geistigen Auge auf, und er seufzte:
»Schade, wirklich schade! Ein verlorenes Weib! Ein verrücktes Weib! Nun, der Fürst kann jetzt eine Nastasja Filippowna nicht brauchen ... Vielleicht ist es also sogar gut, daß die Sache eine solche Wendung genommen hat.«
In ähnlicher Weise widmeten noch zwei andere Gäste Nastasja Filippownas, die sich dafür entschieden hatten, eine Strecke zu Fuß zu gehen, ihr ein paar moralische Worte als Nachruf.
»Wissen Sie, Afanasi Iwanowitsch, bei den Japanern soll es etwas Ähnliches geben«, sagte Iwan Petrowitsch Ptizyn. »Da geht, wie es heißt, der Beleidigte zu dem Beleidiger hin und sagt zu ihm: ›Du hast mich beleidigt; deshalb bin ich hergekommen, um mir vor deinen Augen den Bauch aufzuschlitzen‹, und mit diesen Worten schlitzt er sich wirklich vor den Augen des Beleidigers den Bauch auf und fühlt dabei wahrscheinlich eine außerordentliche Befriedigung, als habe er sich tatsächlich gerächt. Es gibt sonderbare Charaktere auf der Welt, Afanasi Iwanowitsch!«
»Und Sie meinen, daß auch hier etwas Derartiges vorliegt?« erwiderte Afanasi Iwanowitsch lächelnd. »Hm! Sie sind sehr geistreich und haben einen sehr schönen Vergleich beigebracht. Sie haben aber doch selbst gesehen, liebster Iwan Petrowitsch, daß ich alles getan habe, was in meinen Kräften stand; über die Grenze des Möglichen hinaus kann ich doch nichts tun, das müssen Sie selbst zugeben. Aber auf der andern Seite werden Sie auch das zugeben müssen, daß diese Frau großartige Eigenschaften, herrliche Charakterzüge besitzt. Ich wollte ihr vorhin schon zurufen, wenn das in diesem Wirrwarr möglich gewesen wäre, daß sie selbst meine beste Rechtfertigung gegen ihre Anschuldigungen sei. Nun, ist es nicht erklärlich, wenn sich jemand von diesem Weibe so fesseln läßt, daß er Vernunft und alles vergißt? Sehen Sie, dieser Plebejer, dieser Rogoschin, hat ihr hunderttausend Rubel gebracht! Alles, was sich da heute zugetragen hat, war allerdings unüberlegt, romantisch, unschicklich, aber dafür doch individuell und originell, das müssen Sie selbst zugeben. Oh Gott, wozu könnte sie es bei einem solchen Charakter und bei einer solchen Schönheit nicht bringen! Aber trotz aller Bemühungen von meiner Seite, ja trotz aller Bildung, die ihr zuteil geworden ist, ist nun doch alles zugrunde gegangen! Sie ist ein ungeschliffener Diamant, wie ich manchmal von ihr gesagt habe ...«
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