Noelle lächelte in sich hinein. Sie war sich ihrer Sache schon sicher. „Natürlich verstehe ich das“, antwortete sie.
„Soweit ich es bisher beurteilen kann, passen Sie ausgezeichnet in unsere Gruppe.“
„Oh, das ist wundervoll, Madame Montfoort.“
„Wäre es Ihnen vielleicht möglich, heute Nachmittag noch einen Auftrag zu übernehmen? Sagen wir… gegen drei Uhr? Wir haben einen unerwarteten Anruf bekommen und sind ein wenig knapp mit verfügbaren Mädchen.“
Noelle runzelte die Brauen, denn dieser Vorschlag kam ihr nun doch ein wenig überraschend. „Nun, ich glaube, das ließe sich vielleicht machen. Aber um sieben muss ich wieder zur Arbeit gehen.“
Linda Montfoort schien sehr erfreut zu sein. „Das ist gar kein Problem. Wir erwarten nicht, dass Sie sich länger mit dem Kunden beschäftigen als ungefähr eine Stunde. Er wohnt im InterContinental Amstel Hotel, Suite 28. Ein Monsieur Claes Iddekinge. Können Sie sich das alles merken?“
Noelle nickte. „Ja, selbstverständlich.“
„Und wegen der finanziellen Seite brauchen Sie sich auch nicht den Kopf zu zerbrechen. Das ist alles im Voraus im Internet geordnet worden. Die Bezahlung erhalten Sie in Bar innerhalb von spätestens zwei Tagen mit der Post. Das ist bei uns so üblich, aber ich hoffe trotzdem, dass wir vorher noch zu einem kleinen Schwatz zusammenkommen können.“
„Ja, das verstehe ich alles“, erwiderte Noelle.
Sie hatte schon viel von Linda Montfoorts Organisation gehört, selbstverständlich auch von den Beträgen, die jedes ihrer Mädchen pro Auftrag bekam. Der Umschlag, der mit der Post kam, musste mindestens zweihundert Euro enthalten.
„Und noch etwas, da ich Sie schon am Handy habe“, fuhr Madame Montfoort fort. „Wenn Sie unserem Standard entsprechen, und ich bin überzeugt, dass Sie das tun, können wir in Zukunft so verfahren, dass Sie pro Auftrag einen bestimmten Betrag erhalten. Falls es Ihnen aber lieber sein sollte, erhalten Sie eine wöchentliche Festzahlung.“
Noelle zögerte ein wenig. „Ich glaube, ich ziehe die Bezahlung pro Auftrag vor, Madame Montfoort.“
„Gut, das verstehe ich. Nun, darüber können wir noch reden, wenn ich zu einem kleinen Schwatz in Ihrem Club vorbeikomme. Haben Sie auch alles klar behalten?“
„Selbstverständlich, Madame Montfoort. InterContinental Amstel Hotel, Suite 28, Monsieur Claes Iddekinge.“
„Ja, richtig.“
Nach einer kleinen Pause fuhr die samtige Stimme fort: „Ich glaube nicht, dass ich Sie daran erinnern muss, wie äußerst wichtig dieser Auftrag für eine künftige Beurteilung und Beschäftigung ist. Unsere Kunden entstammen den besten Kreisen und erwarten von unseren Mädchen die erstklassigste Behandlung.“
Noelle lächelte. „Darüber brauchen Sie sich bei mir keine Sorgen zu machen, Madame Montfoort.“
„Schön. Dann sehen wir uns also bald, nicht wahr?“
Es klickte in der Leitung, und Noelle legte den Hörer auf die Gabel. Sie raffte ihren Bademantel vor der Brust zusammen und dachte über die Bedeutung dieses Telefongespräches nach.
Linda Montfoort war die Repräsentantin des größten Callgirl-Ringes in den Niederlanden, mit Niederlassungen in Amsterdam und Rotterdam. Eine Verbindung mit ihr bedeutete großes Geld, selbst wenn man der Organisation nur als freie Mitarbeiterin angehörte. Sie konnte von nun an also damit rechnen, dass sie mit schäbigen Bungalows, mühsamen Jobs und unregelmäßigen, oft auch dürftigen Einnahmen Schluss machen konnte. Davon hatte sie allmählich wirklich genug.
Sie machte sich eilig daran, die Kleidung für den Auftrag bereitzulegen. Sie wählte blaue Nylonunterwäsche, ihre besten Strumpfhosen, hohe Schuhe und ein sehr schickes blaues Kostümkleid, das eng in der Taille saß und die hübsche Rundung ihrer Hüften vorteilhaft unterstrich.
Hinter dem Wandschirm schlüpfte sie aus dem Bademantel und setzte sich nackt auf den Hocker, der vor dem hohen Spiegel stand. Er hing zwar nur an einem Nagel an der fleckigen Wand, aber er erfüllte seinen Zweck.
Sie schraubte den Verschluss eines Parfümfläschchens ab, und betupfte sorgfältig Ohrläppchen, Kehle, Armhöhlen, Handgelenke und Brüste.
Dann fiel ihr ein, wie elegant das InterContinental Amstel Hotel war und wie verwöhnt seine Gäste sein mussten, und betupfte lächelnd auch die Innenseiten ihrer wohlgeformten, seidigen Schenkel.
Sie hoffte, dass Monsieur Iddekinge ein Mann war, der es auch zu würdigen wusste, wenn sie gut roch - überall gut roch -; denn sie selbst betrachtete Wohlgepflegtheit als unabdingbare Notwendigkeit dieser Profession. Noelle war dabei, sich in einer großen Liga einzureihen, und sie wollte ihre Rolle makellos und bis in die geringste Kleinigkeit vollkommen spielen.
Sie ließ sich Zeit zum Ankleiden. Alles musste bis aufs i-Tüpfelchen korrekt sitzen. Das blaue Kleid wirkte ungemein jugendlich und frisch, unterstrich ihre goldblonde Schönheit und ließ keinen Zweifel daran, wie weiblich und wohlgeformt ihre Brüste und Hüften waren. Dann bürstete sie noch einmal gründlich ihr schimmerndes, glattes Haar, zog sorgfältig die Lippen nach und war fertig.
Als sie die Bungalowtür aufmachte, sah sie Arjen Calkoen am Türrahmen seines Häuschens lehnen.
„Ich bin schon wieder weg“, rief sie ihm lachend zu. Sie überspielte damit das kleine Unbehagen darüber, dass sie diesem netten Kerl schon wieder etwas vorlügen musste.
„Der Model-Job?“, fragte er.
„Noch nichts Endgültiges. So was wie ein Vorstellungsgespräch.“
„Ah, ich verstehe.“
„Wie sehe ich aus?“
Arjen grinste und musterte sie voll Bewunderung. „Du brauchst dir, weiß Gott, keine Sorgen zu machen. Wie könntest du auch nur einem Menschen nicht gefallen?“
„Oh, vielen Dank, Arjen. Du bist lieb.“
„Gehst du von dort aus direkt zur Arbeit?“
„Wahrscheinlich.“
Er nickte und verlagerte sein Gewicht auf das andere lange Bein. „Glaubst du, dass du Lust auf ein Mondscheinbad hast, wenn du nach Hause kommst?“
Noelle krümmte sich innerlich vor Unbehagen. „Vielleicht. Und wenn, dann klopfe ich bei dir oder schicke dir eine SMS.“
Arjen lachte so, als rechne er gar nicht damit. „Klar, das tust du auch, nicht wahr? Bis später dann, was?“
Noelle winkte ihm zu und ging zur Straße. Sie war ärgerlich auf sich selbst, weil sie sich immer in seiner Gegenwart so schuldbewusst fühlte. Er schien ein besonderes Talent dafür zu haben, dass sie eine ganze Menge Gefühle kennenlernte, die, wie sie wusste, sinnlos, dumm und überflüssig waren, weil sie ihr Unbehagen machten. Wohin sollte, zum Teufel, eine Liebesaffäre führen, die nur mit überzogenen Konten, Gerichtsvollziehern und dürftigen Mahlzeiten aus Konservendosen enden konnte?
Nein, das war kein Drehbuch für Noelle Enckevort!
Sie war zu weit herumgekommen, als dass sie sich noch in diese zärtliche Falle locken ließe. Außerdem hatte Arjen als Schriftsteller absolut keine Chance, solange er nicht mit diesem intellektuellen Unsinn aufhörte, auf dem er bestand und von dem er nicht lassen wollte. Wer wollte schon schwarz auf weiß unter die Nase gerieben bekommen, dass er im Grund doch nur ein recht dummer Hund war? Er müsste endlich selbst ein bisschen lebenstüchtiger und klüger werden und sich entweder einen Job suchen, von dem er leben konnte, oder sich auf Romane umstellen, die jeder kaufte.
Dieser blöde Affe... ein netter Kerl, ganz gewiss. Trotzdem ein blöder Affe.
An der Ecke kam der Bus zum Stehen, und Noelle hob ihren Rock an, um die hohe Stufe ersteigen zu können. Nachdem sie bezahlt hatte, schlängelte sie sich nach hinten, da dort ein bisschen mehr Platz und Luft zum Atmen zu sein schien. Sie hielt sich an einer Stange fest, um nicht an der nächsten Haltestelle aus dem Stand geworfen zu werden. Das war gut so, denn Noelle musste noch immer über den jungen Schriftsteller nachdenken, der seit drei Monaten ihr Nachbar war.
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