Die Finger an seinem Glied erstarrten.
„Hey? Wer sind Sie denn?“, fragte Laura mit banger Stimme. „Was wollen Sie hier?“
Fred schlug die Augen auf. Seine Kinnlade klappte herunter. Laura krümmte sich und versuchte, vom Bett abzurollen. Fred zog sie zurück, um sie sich wie ein Schutzschild vorzuhalten.
Da erklang ein dumpfes Geräusch, etwa mit dem Auspuff Geknatter eines kleinen Motorrads vergleichbar. Ein Gegenstand schlug gegen Lauras Bauch. Sie wollte schreien, aber ihr ging nur ein schwaches Aufstöhnen über die Lippen. Von einem Loch untermittelbar unterhalb ihres Nabels begann sich ein roter Fleck auszubreiten. Ihr Blick verschwamm und sie sackte gegen Fred.
„Bitte nicht!“, bettelte er. „Bitte nicht schießen!“
Er versuchte, sich hinter Lauras Körper zu schützen, doch seine schlaffen Arme waren ihrem toten Gewicht nicht gewachsen. Die Pistole krachte erneut. Zwischen Freds Augen wurde ein Cent großes Loch sichtbar. Er taumelte rücklings vom Bett. Sein Kopf schlug auf den Teppich. Lauras lebloser Körper blieb nach einer halben Rolle am Bettrand liegen.
Es fielen zwei weitere Schüsse. Die eine Kugel traf Laura hinter dem rechten Ohr, das zweite Geschoss drang in Freds rechtes Auge ein.
Die Tür ging abermals auf und schloss sich wieder. Im Raum herrschte absolute Stille.
Als Marie zehn Minuten später frisch gewaschen und gepudert aus dem Bad kam, fand sie zwei Leichen. Der traumatische Anblick der zwei leblosen Körper setzte ihr derart zu, dass sich in ihrer stehenden Position ihre Blase entleerte. Der Urin rann an ihren Beinen hinunter und bildete zu ihren Füßen eine Lache. Sie riss ihr Negligé von der Sessellehne und stürzte, hysterisch nach Madame Morel schreiend, in der Flur des Dachgeschosses und riss die Tür zum Wartezimmer auf.
Die eine Hand lässig auf die Rückenlehne gelegt, die andere züchtig im Schoß, lag Claire Morel auf dem Plüschsofa. Ihr Körper wies zwei Einschusslöcher auf. Die Augen waren offen.
Madame Morels teure Chanel-Handtasche lag auf dem Tisch. Marie packte die Tasche, wühlte die Schlüssel heraus und stürzte, nichts als ihr Negligé am Leib, wieder in die Diele hinaus. Sie ließ eine Spur uringetränkter Fußabdrücke zurück.
München, Arnulfstraße
Samstagnacht
Anna Boves entdeckte den Fernfahrer gegen Mitternacht in einer Bar.
Kurz überlegte sie, ob sie Dr. Emma Gold, ihre Psychiaterin, anrufen sollte, bevor sie erneut diesen Weg beschritt. Bei der letzten Sitzung hatte die Psychiaterin ihr geraten, nicht ihren Trieben nachzugeben. Sie wäre jederzeit für ihre Patienten telefonisch erreichbar. Ach was! Pah. Was wusste schon die blöde Psychiaterin von Trieben? Die Frau saß in ihrer Praxis am Englischen Garten und hielt kluge Vorträge. Nein. Ein Telefonat brauchte sie jetzt nicht, sondern einen harten Schwanz im Arsch. Ja, genau! Nun das konnte helfen, diese Bilder aus dem Kopf zu verjagen.
Nachdem Anna ein gewinnendes Lächeln aufgesetzt hatte, bat sie den Fernfahrer um eine Zigarette. Als er ihr Feuer geben wollte, rieb sie ihre Brust gegen seinen Arm. Er hatte ein eckiges Gesicht mit kleinen grauen Augen und lud sie zu einem Drink ein. Sie ließ es zu, dass er seine Hand auf ihr Knie legte. Während er aus seinem langweiligen Leben erzählte, ließ er seine Finger zwischen ihre Schenkel gleiten.
Er sagte, dass sein Name Rainer sei, dass er aus Hamburg komme und bei der Spedition Kühne + Nagel als Fernfahrer arbeitet. Er verbrachte seinen Ruhetag in München und würde morgen weiter in Richtung Spanien fahren. Zwischen den einzelnen Informationen pfiff er mit demonstrativer Lässigkeit zwischen den Zähnen.
Mittlerweile hatte er seine Hand komplett unter ihren Rock geschoben und strich mit den Fingerkuppen über ihren Slip. Er spürte, wie der Stoff bereits feucht auf den Lippen ihrer Vagina klebte. Anna wusste, dass er kurz vor der Explosion stand. Sie brauchte ihre Hand nur auf seinen Schenkel zu legen, und schon wäre die weit geschnittene Jeans innerlich mit Sperma verschmiert.
Die Bar, in der sie ihn aufgabelte, war eine Nullachtfünfzehn Pinte in der Arnulfstraße, weit genug vom noblen Münchner Innenstadtbezirk entfernt um schäbige Kundschaft anzulocken.
Anna Boves allerdings war alles andere als schäbig. Sie war äußerlich ein prachtvolles Weibsbild mit feuerrotem Haar. Sie hatte üppige Brüste und pralle Gesäßbacken; trug teure Kleidung, die in Material und Schnitt kunstvoll darauf abgestellt waren, die Vorzüge ihrer Figur voll zur Geltung zu bringen. Annas Probleme lagen nicht in ihrem Äußeren, sondern tief in ihrem Kopf verborgen. Das wusste sie, und dass wusste auch Dr. Emma Gold, die Psychiaterin.
Als Anna die Bar betrat, hatten sich alle Blicke gierig auf sie geheftet. Sie setzte sich neben den Fernfahrer, weil er ihr unter allen Gästen der hartgesottenste Bursche schien.
„Wohnst du hier in der Gegend, Puppe?“, fragte der Fernfahrer.
„Nein.“
Sie saßen auf ausgefransten, mit schwarzem Isolier-Klebeband geflickten Barhockern. Unter den herabgeblätterten Farbkrusten war die Decke blank wie eine Glatze. An der Wand über dem unvermeidlichen Barspiegel ging das unvermeidliche Bargemälde: die Kopie eines Renaissancegemäldes, eine üppige Jungfrau, die von einem muskulösen Krieger auf einem schnaubenden Ross entführt wurde. Die Holzregale hinter dem Barkeeper füllten billige Spirituosenflaschen mit den exotischsten Etiketten.
Rainer, der hartgesottene Bursche, sagte: „Ich habe um die Ecke ein Hotelzimmer für diese Nacht angemietet. Wie wär´s?“
Er drückte seinen Mittelfinger gegen den Stoff ihres Slips, genau auf die Stelle, unter der er ihre Klitoris vermutete. Der Stoff schien mittlerweile noch feuchter geworden sein.
„Warum nicht“, antwortete Anna.
Die Rothaarige zeigte keinerlei Regung, als der Finger des Mannes das Höschen in ihre Spalte drückte. Sie schloss kurz die Augen und genoss die Blitze, die durch ihren Körper schossen und ihre sexuelle Lust anhob. Ja, es war soweit, sie brauchte jetzt dringend einen harten Schwanz im Arsch. Hoffentlich hatte der blöde Fernfahrer einen ordentlichen Riemen in der Hose. Sie hasste nichts mehr als kurze Schwänze. Der bescheuerte Satz: Auf die Länge kommt es nicht an, war die größte Lüge der Menschheitsgeschichte. Natürlich kam es auf die Länge und die Dicke an! Nur ein ordentliches Teil konnte ihre Triebe einigermaßen befriedigen.
Der Fernfahrer winkte den Barkeeper heran und tuschelte mit ihm. Der Mann nickte, verschwand und kehrte kurz darauf mit einer Plastiktüte zurück, die sechs Flaschen Bier enthielt. Er gab dem Barkeeper eine gefaltete Banknote und zwinkerte ihm zu.
Dann verließen er und Anna das Lokal. Er wohnte in einem Hotel, das ebenso trostlos war wie die Bar. Das Linoleum in der Eingangshalle war so abgetreten, dass das Muster kaum noch erkennbar war. Ein alter Mann in einer zerknitterten Hose saß in einem verschlissenen Sessel und schnarchte. Ein Nachtportier mit einem übermüdeten Gesicht fummelte hinter einem baufälligen Tresen an einem uralten Radiogerät herum.
Das ungleiche Paar betrat einen Fahrstuhl, der quietschte und ratterte. Der Fernfahrer führte das Mädchen zu einer Tür, die sich mittels einer Schlüsselkarte öffnete. Gemeinsam betraten sie ein schäbiges Zimmer mit einem Eisengestell-Bett, auf dem eine zerbeulte Matratze mit einer verknautschten Decke und zwei Kissen lagen.
Das Zimmer roch nach Schweiß und nach alten, nassen Schuhen...
Fragte man Anna Boves, wer sie eigentlich war, so antwortete sie gewöhnlich wahrheitsgemäß: » Nobody « – niemand.
No body. Kein Körper.
Der Körper war nicht Anna.
Der Körper war ein dicker Handschuh, eine Hülse, ein Panzer aus Knochen und Fleisch, aus Sehnen und Muskeln, der Anna Boves wahres » Ich « schützte. Wie sie es sah, war sie selbst eine Sache, und ihr Körper – eine völlig andere, völlig fremde Sache.
Читать дальше