Ihr größter, ja geradezu leidenschaftlicher Stolz waren jedoch die altmodischen Gewänder, die sie einem Kostümverleih in Schwabing abgekauft hatte. Sie fand sie ganz außerordentlich geschmackvoll und pflegte diese Kostbarkeiten mit ihrem Herzblut.
Marie hatte eines dieser kostbaren Stücke lächerlich gemacht!
Claire Morels von langjähriger Erfahrung geschärftes Auge kam zu dem objektiven Schluss, dass Marie einen hervorragenden Körper ihr Eigen nannte. Hohe, kräftige Brüste und volle Schenkel. Ein sinnlicher Mund und dichtes blondes Haar. Sie wusste, dass Marie den höchsten Ansprüchen genügen würde. Aber die Hausherrin mochte ihre Art nicht leiden.
Die Badezimmertür tat sich auf, und Laura, eine von Madame Morels »festen« Damen, trat ins Schlafzimmer. Sie hatte eben geduscht und rieb sich mit einem Handtuch den Rücken trocken. Es gehörte zur Hausordnung, dass die Mädchen vor und nach jedem Termin stets duschten.
Laura war klein von Wuchs und hatte schwarzes Haar. Je nach Beleuchtung sah sie mal halb orientalisch, mal halb europäisch aus. In Wirklichkeit war sie in Nürnberg geboren und somit eine fränkische Bayerin. Sie durchschritt den Raum, öffnete einen Schrank und zog ein bodenlanges, mit zahlreichen Rüschen besetztes, rosarotes Gewand hervor. Sie hielt das Kleid vor ihren Körper und musterte sich im Spiegel an der Schranktür. Mit sich selbst zufrieden, warf sie das Handtuch in den Schrank und kam zurück, um sich in einem Lehnstuhl neben dem Bett niederzulassen. Sie sah Marie lächelnd an.
„Servus!“, sagte sie.
Marie, als habe sie nichts gehört, blickte demonstrativ in eine andere Richtung. Das missfiel Laura.
„Bisschen hochnäsig, wie? Oder hast du es darauf angelegt, dass ich dir einen Tritt in deinen fetten Arsch gebe?“
Madame Morel hatte denselben Impuls verspürt, wusste jedoch, dass sie sich im Interesse des Geschäfts zu beherrschen hatte. Der Kunde würde bald eintreffen, und sie wollte, dass alles glatt über die Bühne ging. Es passte ihr nicht, an einem Samstagabend einen Kunden bedienen zu müssen. Ihre Damen arbeiteten normalerweise nicht am Wochenende. Das übliche Montag-bis-Freitag-Geschäft genügte. Aber dann hatte Mario Madruzzo höchstpersönlich angerufen, der Mann, der ein hohes Familienmitglied der Münchner Mafia war und den sie für ihren Schutz bezahlen musste. Außerdem bewahrten sie diese Zahlungen vor unerwünschten Polizeibesuchen.
Mario Madruzzos Anruf war um neunzehn Uhr gekommen. Seine Stimme hatte wie ein verrosteter Benzinkanister geklungen.
„Ich schicke Ihnen einen Burschen rüber. Fred Chen heißt er“, hatte er gesagt. „Machen Sie´s ihm nett. Er soll bekommen, was er auch immer verlangen mag. Wichtig ist, dass er ein paar Stunden bei Ihnen bleibt. Was Sie für ihn tun, tun Sie für mich. Verstanden?“
„Ich verstehe. Wirklich lieb von Ihnen, dass Sie an mich gedacht haben. Und seien Sie unbesorgt – Ihr Freund wird in guten Händen sein.“
„Prächtig. Ich weiß, dass ich mich auf Sie verlassen kann. Ziehen Sie den Betrag von der Zahlung für die nächste Woche ab.“
„Aber ich bitte Sie, das kommt gar nicht in Frage. Für einen Freundschaftsdienst, den ich Ihnen erweise, würde ich Ihnen doch nie eine Gebühr abverlangen!“
„Sehr gut, wenn Sie es so sehen“, gluckste Madruzzo hochbefriedigt. „Ich werde mich bei nächster Gelegenheit mit dem größten Vergnügen revanchieren. Dann sind wir also klar?“
„Vollkommen klar, Signore Madruzzo.“
Madame Morel hatte kaum eingehängt, da wich das Lächeln in ihren Zügen einem Ausdruck nackten Zorns. Erstens würde sie zusehen müssen, dass sie mindestens zwei Mädchen für einen Samstagabend fand, was nicht einfach sein würde. Die meisten ihrer Damen verbrachten ihre Wochenenden nicht in München, und im August schon gar nicht. Zweitens würde sie die Mädchen aus eigener Tasche bezahlen müssen. So hatte sie es mit ihnen ausgemacht. Arbeiteten sie, so wurden sie auch bezahlt. Das war die Regel, in der Madame Morel keine Ausnahme zuließ. Der eine Haken an ihrem Geschäft war, dass jeder dritte Freier ein Polizist oder ein Mitglied der Mafia war, die ihren kleinen Spaß alle umsonst bekamen. Einmal hatte sie sich über diese Schmarotzer beschwert.
Nur ein einziges Mal!
Rückblickend betastete sie ihre Stirn. Obwohl nach all den Jahren kaum noch sichtbar, fand sich dort eine kleine Narbe – der Preis ihrer Klage.
Die Türglocke läutete. Madame Morel verließ das Zimmer, um den Gast einzulassen. Als sie die Tür öffnete, stand dort ein untersetzter Mann mit einem verkniffenen, lüsternen Wieselgesicht. Madam Morel rümpfte unwillkürlich die Nase.
„Ja, bitte?“
„Madruzzo hat mich hergeschickt. Mein Name ist Chen. Fred Chen.“
„Ja, richtig, Herr Chen. Kommen Sie rein.“
Sie führte ihn in einen kleinen Warteraum und nahm ihm den Mantel ab. Es war ein zweifellos seit Wochen nicht mehr gereinigter, zerknitterter alter Tweed. Sie hängte den Mantel in einen Schrank und bot dem Gast einen Drink an. Er benetzte nervös die Lippen und sah sich um.
„Wo sind die Schnallen?“
„Ich werde sie gleich reinbringen. Ich dachte nur, Sie trinken vielleicht erst gern ein Gläschen. Das entspannt. Sie haben doch keine Eile, oder?“
„Nicht doch. Zwei Stunden sind schon drin! Den blauen Pillen sein Dank“, sagte der Mann und kicherte. „Sie verstehen...“
„Ja, sicher.“
Madame Morel schenkte ihm einen doppelten Scotch ein, den sie auf einem silbernen Tablett servierte. Seine nervösen Wieselaugen strichen über ihr Gesicht und schwenkten ab. Er war ein hässlicher kleiner Zwerg, dachte Madame Morel. Abstoßend! Und sein ekelerregendes Äußeres freute sie. Marie, dieses eingebildete kleine Aas, würde ihn umarmen und in ihrem Körper aufnehmen müssen.
Fred Chen nahm einen Schluck Scotch und schnalzte mit der Zunge.
„Nun?“, fragte er.
„Ich werde die Damen jetzt holen, Herr Chen. Aber so setzen Sie sich doch. Ich bin gleich wieder da.“
Als die hübsche Marie eintrat und diesen ekelhaften Kerl sah, warf sie anschließend Madame Morel einen verächtlichen Blick zu. Die Hausherrin überging den Blick und stellte den späten Gast vor. Er musterte die beiden Mädchen argwöhnisch.
„Sagen Sie: Ich habe doch recht verstanden, dass Madruzzo den Spaß bezahlten wird, richtig?“
„Ja, Sie sind sein Gast.“
„Und ich bekomme alles, was ich verlange?“
„Was soll das heißen?“
„Ich kann diese zwei Hübschen zusammen haben, oder?“
„Aber gewiss.“
„Gut. Wo ist das Bett?“
„Folgen Sie den Damen“, antwortete die Hausherrin mit einem freundlichen Nicken. Sie blieb im Wartezimmer zurück.
Die beiden Mädchen geleiteten den Gast in eines der Zimmer. In der Mitte des Raumes stand ein großes, altmodisches Bett. Es war mit einem hellgrünen Laken bezogen und mit drei dickgebauschten Kissen bestückt. Auf dem Nachttisch neben dem Bett stand ein Tablett mit einer Flasche Wodka, Gläsern und Eis.
„Wollen Sie noch ein Glas?“, fragte Laura.
Fred gab einen Grunzlaut von sich, schüttelte den Kopf und setzte sich auf den Bettrand.
„Erst wird ein bisschen rumgevögelt. Volllaufen lassen können wir uns immer noch“, antwortete er und grinste lüstern.
Laura zuckte mit den Achseln.
Marie machte ein gelangweiltes Gesicht.
Freds Gesicht war auf den oberen Rand von Maries blondbehaarter Scham geheftet, die zwischen ihrem halb aufgeschlagenen Negligé zum Vorschein kam. Ohne den Blick von ihrem Unterleib zu wenden, sagte er barsch: „Du, Blondchen, komm her und zieh mir die Schuhe aus!“
Marie schlenderte lässig zum Bett und kniete sich vor ihm ihn. Sie begann seine lehmverkrusteten Schuhe zu öffnen. Ein Schnürsenkel war so durchgeschabt, dass er jeden Augenblick zu reißen drohte.
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