Viktor wurde mit jedem Tag mürrischer und ließ seine schlechte Laune an jedem aus, der ihn auch nur schief ansah. Vincent beobachtete ihn mit wachsender Sorge und versuchte ihn aufzumuntern, doch sein Freund schien wie ausgewechselt und verschloss sich ihm immer mehr. Am Freitag verbrachte er die ganze Nacht wartend im Club, stets die Eingangstreppe im Auge behaltend und Vincent bedachte ihn nur mit einem verständnislosen Kopfschütteln. Irgendwann verschwand Viktor ohne sich zu verabschieden und tauchte bereits am frühen Abend des nächsten Tages wieder auf, nur um erneut die halbe Nacht die Treppe anzustarren. „Verdammt, Viktor! Denkst du nicht, dass es jetzt allmählich reicht?“, fragte Vincent ihn energisch. „Vergiss die kleine Schlampe! Das kann man ja nicht mehr mitansehen, wie du dich hier zum Affen machst!“ „Ach, tu` ich das, ja?“, fuhr Viktor ihn an und Vincent schnaufte tief durch. „Viktor! Er ist es nicht wert“, meinte er ruhig und versöhnlich. „Komm schon, bei Hellen läuft heut noch `ne Party. Lass uns hingehen, ja? Damit du auf andere Gedanken kommst, hm?“ „Und, was soll ich da? Die ganzen Pärchen anglotzen?“, erwiderte Viktor spöttisch. „Nein Danke!“ „Ich bin im Moment auch solo und es stört mich nicht“, antwortete Vincent und stieß ihn aufmunternd an. „Dann sind wir schon zu zweit, hm? Und wer weiß, vielleicht ergibt sich ja `ne Gelegenheit und du lernst jemanden kennen?! Bei Hellen laufen immer mal ein paar Frischlinge rum, die nur auf einen Meister warten!“ „Dann geh doch hin! Viel Spaß, noch“, blaffte Viktor ihn an und trank von seinem vierten Bier. Vincent seufzte schwer und warf einen schiefen Blick darauf. „Besser, als sich hier sinnlos zu betrinken, meinst du nicht? Du willst doch nicht mehr selbst fahren, oder?“ „Was geht `n dich das an!“, fuhr Viktor ihn erneut an und Vincent nickte. „Ok, das reicht jetzt“, schnauzte er zurück. „Das geht mich sehr wohl etwas an, wenn sich mein bester Freund auf einmal wie ein verliebter Idiot benimmt und sich besoffen hinters Steuer setzen will! Du fährst nirgendwo mehr hin und gibst mir jetzt besser mal deinen Autoschlüssel!“, meinte er energisch und hielt auffordernd seine Hand hin.
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Viktor sah ihn gelassen an. „Und wenn nicht?“, fragte er herausfordernd. „Dann hau ich dir, sowas von eine in die Fresse, mein Freund“, raunte Vincent ernst und Viktor musste tatsächlich schmunzeln. „Echt?“ „Oh ja!“ Beide sahen sich provozierend an und mussten dann lachen. „Ach, komm schon, Vik“, sagte Vincent einschmeichelnd und stieß ihn an. „Lass uns abhauen, hm?“ Viktor seufzte tief und schüttelte seinen Kopf. „Nee, lass mal! Aber geh du ruhig. Ich ruf mir ein Taxi und fahr in die Wohnung. Bis zur Villa ist mir es zu weit und ich bin eh hundemüde! Schlaf zurzeit nicht gerade gut, weißt du“, antwortete Viktor dennoch. „Wirklich? Und ich kann dich alleine lassen?“, fragte Vincent ehrlich besorgt und Viktor nickte. „Ja, klar und du hast ja recht, ich führe mich wirklich wie ein Idiot auf. Aber ich bekomme ihn einfach nicht mehr aus meinen Kopf raus. Ich muss ständig an ihn denken, besonders nachts! Dann lieg ich wach und“, er hob hilflos seine Hände, „könnte heulen!“, meinte er dann kopfschüttelnd über sich selbst. „Kannst du dir das vorstellen? Ich!“ „Oh Mann“, erwiderte Vincent nur und sah ihn bedauernd an. „so schlimm?“ „Schlimmer!“, antwortete Viktor und lachte höhnisch. „Sowas ist mir noch nie passiert!“, meinte er dann, „nicht mal bei Lisa! Ich war schon öfter verliebt, dachte ich jedenfalls, aber das mit Chris ist diesmal ganz anders! Ich will ihn, um jeden Preis!“, sagte er plötzlich ergriffen zu Vincent. „Und wenn ich alles andere dafür aufgeben müsste!“ „Ach du Scheiße“, kam es von dem nur und er sah seinen Freund fassungslos an. „Dich hat`s echt voll erwischt! Du solltest ganz schnell was unternehmen, dagegen, so schnell, wie möglich! Hast du noch Kontakt zu Leon?“ „Wieso?“, fragte Viktor überrascht. „Ich denke, der würde dir jetzt guttun!“ „Blödsinn! Ich will und brauche keinen anderen! Ich will Chris!“, antwortete Viktor beinahe trotzig. „Und außerdem habe ich jeden Kontakt zu Leon abgebrochen und ihm befohlen, mich in Ruhe zu lassen! Und du weißt, dass er jeden meiner Befehle befolgt hat, ausnahmslos!“ „Der Ärmste! Du kannst wirklich hart sein, siehst du, jetzt klingst du schon fast wieder, wie der alte Viktor!“, gab Vincent schmunzelnd zurück. Viktor seufzte erneut schwer. „Du hast recht, vielleicht hab` ich mich da einfach in was verrannt! Hilft ja eh nichts“, zuckte er die Schultern, „wenn er sich nicht meldet.“ „Das wird schon wieder, wirst sehen“, meinte Vincent tröstend, doch Viktors Laune besserte sich in den nächsten Tagen nicht. Mal war er mürrisch und im nächsten Moment wieder still in sich gekehrt und nachdenklich. Vincent ließ in weitestgehend in Ruhe und beklagte sich stattdessen bei Hellen, die ebenfalls nur fassungslos darauf reagierte. Am folgenden Freitagabend trafen sie sich wieder im Club. Hellen kam auf die Beiden zu geschlendert, umarmte zuerst Viktor, küsste ihn auf beide Wangen, dann Vincent und küsste den lange und innig auf den Mund. „Na, ihr beiden, was läuft?“, fragte sie lächelnd. Viktor, der die Beiden beinahe ablehnend beim Küssen beobachtet hatte, grunzte nur und Vincent zuckte dabei die Achseln. „Siehst es ja selbst“, meinte er seufzend. „Ich konnte es echt nicht glauben“, antwortete Hellen und verzog mit einem Seitenblick auf Viktor, ihr Gesicht. „Was?!“, brummte Viktor. „Mensch, Junge, was ist mit dir los? Wie siehst du denn aus?! Ok, Vollbärte sind gerade wieder in, aber im Ernst, was ist los?“, fragte sie ihn erneut. Viktor wirkte ziemlich zerknautscht, fast ein wenig ungepflegt. Er war unrasiert, trug eine alte,
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verwaschene Jeans und ein einfaches, weißes T-Shirt. Unter seinen Augen lagen dunkle Schatten und er wirkte um Jahre älter. „Was soll schon los sein?“, fragte er schnippisch. „Hatte halt keine Lust, mich zu rasieren, na und? Wozu auch“, murmelte er dann, wie zu sich selbst. Hellen warf Vincent einen mehr als fragenden Blick zu. „Oh, Mann“, meinte sie nur und stieß geräuschvoll die Luft aus. „Naja, also gratuliere übrigens, zu deinem Sieg“, sagte sie dann und Vincent verdrehte warnend seine Augen. „Was?“, fragte sie zu ihm hin, „Mann, das hilft ihm auch nicht weiter, wenn du ihn wie ein rohes Ei behandelst!“, sagte sie dann scharf und wandte sich wieder an Viktor. „Jetzt hör mir mal gut zu, mein lieber Schatz! Du hast mit dem Feuer gespielt und dir die Finger verbrannt, na und? Ist jedem von uns, schon mal passiert! Und, denkst du, wenn du in Selbstmitleid zerfließt, wird es besser? Mitnichten, mein Freund! Ablenkung, ist hier die beste Medizin und immerhin bist du nun um eine Erfahrung reicher! Du hattest doch deinen Spaß, mit dem Kleinen, oder etwa nicht? Also hak` ihn ab und vergiss ihn!“, sagte sie eindringlich. „Und jetzt wird gefeiert! Vincent, hol` schon mal den Schampus!“ „Naja, warum nicht“, meinte Viktor nur und sah dann zwischen beiden hin und her. „Also eines kann ich bis heute nicht verstehen! Wieso ihr beiden nicht mehr zusammen seid! Ihr ward doch das Traumpaar, schlechthin!“ „Tja, mein Lieber, wir hatten eben zu viel gemeinsam, die gleichen Vorlieben sozusagen und irgendwann wollte ich eben auch lieber obenauf sitzen! Vincent war ein guter Lehrmeister und ich eine gelehrige Schülerin“, raunte sie kokett und grinste breit. „Der Beste“, meinte Vincent übertrieben stolz und Viktor musste tatsächlich kurz mitlachen. „Siehst du, schon besser!“, sagte Helen und strich ihm über die Wange. „Wo bleibt der Schampus?“, rief sie dann und schnippte mit ihren Fingern. Viktor schüttelte schmunzelnd seinen Kopf. „Du bist wirklich eine Klassefrau und danke“, meinte er dann zu ihr. „Wofür?“ „Für deine Freundschaft“, antwortete Viktor ernst, „euch beiden! Es ist schön, wenn man sich geliebt weiß und man sich auf jemanden verlassen kann. „Oooooh“, machten die Beiden und fielen ihm um den Hals. Jeder drückte ihm einen feuchten Kuss auf die Wange und Viktor wehrte sich lachend dagegen. „Deppen!“, sagte er leise und überaus zärtlich. Der Champagner kam und die drei stießen erst einmal miteinander an. „Sag mal“, meinte Hellen dann, nach dem zweiten Glas, „hast du ihn wirklich, richtig gefickt?“ „In allen Stellungen!“, antwortete Viktor und grinste spitzbübisch. „Ich sag euch, der konnte gar nicht genug kriegen und er war feucht, wie `ne Muschi!“ Sie lachten alle herzlich, bis Vincent plötzlich zur Treppe blickte und innehielt. „Scheiße!“, rutschte es ihm heraus, „wenn man vom Teufel spricht! Nun seht mal, wer da die Treppe herunter hüpft!“ Viktor blieb das Lachen im Halse stecken, als er in die angegebene Richtung sah. Chris kam wie selbstverständlich herunter getänzelt und er war nicht allein. Ein junger Mann war bei ihm und die beiden schienen sehr vertraut miteinander zu sein. Immer wieder berührte der Fremde ihn mehr als kameradschaftlich und legte sogar kurz seinen Arm um Chris` Taille. Beide strebten sofort zur Tanzfläche und begannen ziemlich eng miteinander zu tanzen. „Wow“, machte Hellen, „das muss man ihm lassen! Der Kleine lässt echt nichts anbrennen! Der hat dich ja ziemlich kalt abserviert, hm? Hast wohl doch keinen so bleibenden Eindruck bei ihm hinterlassen, echt schade darum!“, sagte sie dann zu Viktor und Vincent stieß sie an. „Da hast du wohl recht“, erwiderte Viktor und stand auf. „Aber den wird er jetzt bekommen!“, sagte er wütend und marschierte los.
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