Ava Patell - Der Kronzeuge

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Aiden Millers Leben wird auf den Kopf gestellt, als er den gefährlichsten Mann der Stadt, Enrico Cortez, bei einem Mord beobachtet. Sein altes Leben wird er nur dann zurückbekommen, wenn er gegen Cortez aussagt. Doch bis dahin muss er überleben. Dazu braucht er Schutz. Und diesen Schutz scheint nur ein einziger Mann versprechen zu können, Cortez' größter Feind und ein nicht minder gefährlicher Krimineller: Gabriel Barone. Von einem Moment auf den anderen befindet sich Aiden nicht nur inmitten von kriminellen Menschen, die auch noch so ganz anders sind, als er sie sich immer vorgestellt hat. Aiden entwickelt zudem Gefühle. Ausgerechnet für Gabriel Barone, der sein Leben nur schützt, weil er einen Deal mit der Polizei eingegangen ist.

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»Nehmen sie hier einen Moment Platz, meine Herren«, meinte die elegante Frau und deutete auf eine kleine Sitzgruppe. »Ich werde sehen, was ich für Sie tun kann, Detective«, meinte sie und verschwand dann um eine Ecke. Einen Moment noch hörte man ihre Schritte. Dann wurde es still. Der Detective warf einen Blick auf seinen Schützling.

»Ist alles in Ordnung, Mr. Miller?«

Aiden schnaubte leise und erwiderte den grauen Blick. »Ist das eine ernst gemeinte Frage?« Er folgte der Bitte von Mrs. Sorkov und setzte sich auf ein Sofa.

Der Detective lächelte schief. »Nun, vielleicht sollte ich anders fragen. Halten Sie noch durch?«

Aiden rieb sich mit beiden Händen fest übers Gesicht und stützte das Gesicht anschließend in seine Hände. »Würden Sie sonst einen Schokoriegel aus ihrer Jackentasche zaubern, Detective?« Aidens Stimme klang gedämpft, weil er gegen seine Handinnenflächen sprach.

Sam legte eine Hand gegen seine Brusttasche. »Im Moment nur einen Müsliriegel.«

Woher es kam, wusste Aiden nicht, aber er lachte kurz auf. Es klang nach Ungläubigkeit, Müdigkeit und Unsicherheit und schließlich zog er die Hände von seinem Gesicht, sah zu dem Beamten auf. »Ich halte durch«, sagte er leise. »Immerhin lebe ich noch.«

»Wenn es nach mir geht, dann bleibt es auch so.« In einiger Entfernung klappte eine Tür und man hörte das Klappern der Absätze von Mrs. Sorkovs Schuhen erneut. Als sie um die Ecke bog, lächelte sie und nickte dem Detective zu.

»Heute ist ihr Glückstag, Detective. Mr. Barone hat ein paar Minuten Zeit für Sie.«

Sam erhob sich und zog sein Jackett glatt.

»Welche Ehre«, murmelte er gerade so laut, dass Aiden es hören konnte. Dann folgte er der schwarzen Schönheit den Gang hinunter. Sie klopfte kurz an eine Tür am Ende des Ganges, wartete jedoch keine Antwort ab und öffnete sie, trat dann ein, um ihnen die Tür offen zu halten. Der Anblick hätte Aiden sprachlos gemacht, wenn er das nicht schon hinter sich gehabt hätte.

Durch die verglaste Front des Büros fiel das Tageslicht hinein und hinter einem schweren, großen Schreibtisch saß Gabriel Barone. Wie ein König. Er hielt es nicht für nötig, sich zu erheben, als die zwei Besucher sein Büro betraten und Wilkins konnte es ihm nicht übelnehmen. Er wäre für diesen Mann auch nicht aufgestanden. An einer Seite des Büros waren zwei Ledersofas vor einem teuren Teppich und einem Glastisch aufgestellt. Eine Minibar enthielt einige Flaschen, deren Wert vermutlich den Betrag von der Hypothek überstieg, die Sam auf sein Haus aufgenommen hatte. Dunkle Regale enthielten Bücher und es hing ein Bild an der Wand, von dem er weder den Künstler kannte, noch die Stilrichtung. Jedoch war er sicher, dass es sich um ein Original handelte.

Barone hatte sich leicht seitlich zu seinem Schreibtisch gedreht, die Beine lässig übereinander geschlagen und drehte einen Stift zwischen seinen Fingern. Ein Mont Blank. In der letzten Sekunde konnte Wilkins das Augenrollen unterdrücken. Dieser Mann war ein Schweinehund. Und dabei auch noch unverschämt wohlhabend. Die Tür fiel hinter ihnen ins Schloss, als Mrs. Sorkov den Raum wieder verließ.

Aiden verkniff sich nur mit Mühe einen erneuten Ausbruch, bei dem das Wort Scheiße enthalten war, aber der Anblick dieses Zimmers ließ ihn noch kleinlauter werden. Er hielt sich strikt hinter dem Polizeibeamten, duckte sich regelrecht zwischen dessen Schultern und fragte sich im selben Augenblick, wann zum Geier er so scheu geworden war. Aber diese Umgebung schüchterte ihn einfach viel zu sehr ein, noch dazu war er momentan nicht so auf der Höhe wie sonst. Verflucht noch mal, er hatte gerade einen Mord mit angesehen und stand jetzt vermutlich auf irgendeiner verdammten Abschussliste!

Dennoch siegte die Neugier und Aiden hob einen Moment den Blick, betrachtete Gabriel Barone. Sein Haar glänzte vollmilchfarben und saß mit jeder Strähne so wie es sollte. Alles an diesem Mann saß perfekt. Vom Haar bis hin zu dem Anzug, der definitiv maßgeschneidert war. Aiden hatte das Bedürfnis, noch einmal zu versuchen, diesen Fleck auf seinem Turnschuh loszuwerden, als sich ein heller, blauer Blick auf ihn legte, der ihm die Luft aus den Lungen presste. Klirrende Kälte und Berechnung.

»Detective Wilkins«, sagte Barone gedehnt, wieder zu Sam Wilkins sehend. »Ich bin überrascht, Sie so zeitig wiederzusehen. Unser letztes Zusammentreffen ist gerade fünf Wochen her, wenn ich mich nicht irre.«

Sam war froh, dass er sich inzwischen an den Blick aus diesen eisblauen Augen gewöhnt hatte. Beim ersten Mal hatte er eine Gänsehaut bekommen. Doch das hatte sich inzwischen gelegt. Dann wanderte der bohrende Blick zu Aiden Miller, der immer noch in seinem Rücken stand.

»Ich wusste nicht, dass Sie neuerdings auch Praktikanten mitbringen, Detective. Ich muss Sie leider enttäuschen, ich habe keine Zeit, Ihnen eine Führung zu geben.«

Beherrscht atmete Sam tief durch. »Mr. Miller ist kein Praktikant. Er ist ein Zeuge.« Sam setzte sich auf einen der Sessel vor dem Schreibtisch und bedeutete dann Aiden, es ihm gleich zu tun ohne auf eine Einladung von Barone zu warten. Dieser sah ihn jetzt wieder abwartend an und hob eine fein geschwungene Augenbraue.

»Ich wüsste nicht, was das mit mir zu tun hat, Detective.«

»Oh, aber das hat es.« Er erwiderte diesen hellen Blick und meinte für den Bruchteil einer Sekunde, so etwas wie Neugier darin zu entdecken. Doch sie war genauso schnell verschwunden wie sie aufgetaucht war. Dennoch erwiderte Barone nichts. Er wartete nur ab. Und verdammt, darin war er ein Meister.

»Sie werden mir einen Gefallen tun, Mr. Barone. Dieser junge Mann hier braucht Schutz. Und Sie werden ihm diesen geben.«

Für einen Moment war das Gesicht des Hotelbesitzers absolut reglos. Dann zuckte es um seine Mundwinkel und er deutete mit dem teuren Stift auf den Detective.

»Entschuldigung, Detective. Ich vermute, ich hatte gerade einen Schlaganfall.«

Es juckte Sam in den Fingern. Wie gerne hätte er diesem blasierten Arschloch die Fresse poliert. Und das war sonst wirklich nicht seine Art.

»Aber falls ich mich nicht verhört haben sollte, dann würde ich Ihnen raten, jetzt zu gehen. Und zwar sofort.« Es mischte sich etwas Eisiges, Schneidendes in die dunkle Stimme.

Aiden ließ dieser Tonfall die Luft anhalten. Er hatte sich gesetzt, hatte versucht, so leise wie möglich zu sein. Er wusste nicht, wieso er sich so benahm als wäre er nicht hier, denn er war hier und Sam Wilkins hatte doch betont, wie wichtig er war. Für Barone schien er nichts weiter zu sein als eine kleine unwichtige Ameise.

Diesen Tonfall hatte Sam schon allzu oft erlebt. Er verfehlte zwar nicht seine Wirkung und ein geringerer Mann als er selbst, mit weniger Berufserfahrung, wäre vermutlich eingeknickt, aber Sam Wilkins war diesem Blick schon häufig begegnet und hielt sich aufrecht, sah Barone noch immer in die Augen.

»Ganz bestimmt nicht. Mr. Miller hat beobachtet, wie ein gemeinsamer Freund von uns beiden einen Mord begangen hat.« Sam lehnte sich leicht in dem Leder zurück. »Und er hat es gefilmt.«

»Also schön Detective. Ich spiele ihr kleines Spielchen mit«, meinte Barone und drehte den Stift zwischen seinen Fingern, nahm den Blick aber noch immer nicht vom Detective.

»Wen?«

Jetzt war es an Sam, für eine Sekunde die Fäden in der Hand zu halten. Zumindest für eine Sekunde und er kostete sie aus. Und dennoch wollte er es sich nicht noch schwerer machen als es ohnehin schon war.

»Enrico Cortez.«

Barone zeigte etwa so viel Regung wie ein Stein.

»Nun, dann bleibt mir wohl nur, Ihnen zu gratulieren, Detective. Vielleicht haben Sie nun endlich eine tagesfüllende Aufgabe mit der Anklage und den Ermittlungen zum Mordfall und können mich in Frieden lassen.«

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