Richter Alexander Balgstedt streckte dem Besucher beide Hände entgegen. „Tritt ein und stoße dich nicht an meinen Filzpantoffeln! Einem alten Manne muss man schon einige gesellschaftliche Freiheiten lassen.“
Rechtsanwalt Kevin Lehmann schüttelte die Hand seines Gastgebers: „Ich bin auch ein alter Mann geworden, aber ich kann mir keine gesellschaftlichen Freiheiten erlauben.“
„Du verdienst auch mehr als ein kleiner Richter. Und Reichtum fordert Konzessionen.“
„Reichtum fordert Opfer!“ Kevin Lehmann ließ sich in einen bequemen Sessel falten. „Auch Daniel Hohenfels wurde vermutlich ein Opfer seines Reichtums.“
„Als du seine Witwe verteidigtest, da versuchtest du mir etwas anderes weiszumachen.“ Richter Balgstedt stellte eine Flasche und zwei Gläser auf den Tisch.
„Ich habe dir lediglich klargemacht, dass Sophie den Mord nicht begangen haben kann!“
„Rechtsverdreher!“ brummte der Richter gutgelaunt. „Wenn ich sage, dass Daniel Hohenfels vermutlich ein Opfer seines Reichtums wurde, dann heißt das noch lange nicht, dass ihn seine Frau vergiftet hat. Ihr konntet das ja auch niemals nachweisen.“
„Nein.“
Richter Balgstedt schenkte die beiden Gläser voll. Mit zur Seite geneigtem Kopf sagte er: „Portwein.“
„Schlecht für die Leber“, sinnierte Lehmann.
Balgstedt nahm unbeirrt das Thema wieder auf: „Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass Sophie Hohenfels ihren Mann ermordet hat. Auch wenn alle Tatumstände gegen die Ehefrau als Täterin sprechen.“
Sein Blick wanderte zum kolorierten Kupfertiefdruck einer üppigen Nymphe, der über dem lederbezogenen Sofa an der Wand hing. Auf den rückwärtigen Rundungen der Schönen verweilte der Blick.
„Sie ist eine ganz kalte, herzlose Person.“
„Die da oben?“ Lehmann deutete auf die Nymphe.
„Nein. Deine Mandantin!“ Balgstedt trank einen kleinen Schluck. „Nach dem Gutachten der Gerichtsmediziner ist sie zu allem fähig. Außerdem besitzt sie keine moralischen Hemmungen. Nicht in ethischer Hinsicht und auch nicht in sexueller Hinsicht!“
„Du hättest Staatsanwalt werden sollen!“ Lehmann nahm jetzt ebenfalls einen Schluck. „Allerdings scheint sie wirklich nicht mit einer übermäßig großen Dosis Herzenswärme gesegnet zu sein. Zumindest der Tod ihres Mannes hat sie kaltgelassen.“
„Kalt?“ höhnte der Richter. „Der Gerichtspsychiater war erschüttert. Alle Symptome ihres Charakters sprechen dafür, dass sie zu allem fähig ist. Nur nicht fähig zu beruflichen Leistungen. Sie ist doch nur eine unbegabte Schauspielerin!“
„Wenn sie die Mörderin ihres Mannes ist, dann hat sie besser gespielt als Julia Roberts, zumindest in der Voruntersuchung und vor Gericht.“
Rechtsanwalt Lehmann verzog das Gesicht zu einem triumphierenden Lächeln. „Sie wird übrigens wieder filmen. Vermutlich hat sie in diesem Moment bereits einen Vertrag unterschrieben. Für eine märchenhafte Gage. Ein Richter am Landgericht müsste für dieses Geld vermutlich einige Jahre hart arbeiten.“
„Sie ist ja auch gewissermaßen berühmt geworden.“ Balgstedt schenkte nach, obwohl die Gläser noch fast voll waren. „Ein Teufel in Engelsgestalt wird uns demnächst von den Filmreklamen entgegen lächeln. Ein Trost nur, dass sie nicht der einzige Teufel im Filmgeschäft ist!“
„Immerhin sieht sie zum Verlieben schön aus.“ Lehmann nahm einen großen Schluck. „Schönheit war die Falle ihrer Tugend. Es sollte mich nicht wundern, wenn wir noch einmal mit deinem Schützling zu tun haben. Vor Gericht, natürlich.“
„Warum habt ihr sie denn nicht gleich verurteilt?“
Richter Balgstedt sah aus, als habe er sich auf einen hohlen Zahn gebissen, was allerdings nicht möglich war, weil er seit zwanzig Jahren ein künstliches Gebiss besaß. Er sagte nur lapidar: „Die Beweise haben nicht ausgereicht.“
„Du bist nach wie vor von ihrer Schuld überzeugt?“
„Ja!“
„Für dich ist der Fall also noch nicht abgeschlossen?“
Balgstedt trommelte mit den Fingern der Rechten auf der Tischplatte. „Ich bin Richter, nicht Staatsanwalt oder Polizist. Aber für mich bleibt Sophie Hohenfels ein Teufel!“
Sophie Hohenfels hatte die Beine hochgezogen. Vom unbequemen Regiesessel aus beobachtete sie mit schläfriger Neugier, wie die Atelierarbeiter die Kulisse einer eleganten Wohnung aufstellten.
Ein Gewirr von elektrischen Leitungen schlängelte sich über den Fußboden des Studios. Leitern, Versatzstücke, Farbtöpfe, Handwerkszeug und Scheinwerfer prägten dem riesigen Raum den Stempel tätiger Improvisation auf. Ein Heer von Arbeitern schuftete in der von allen Illusionen entkleideten Traumfabrik. Grell zuckten Scheinwerfer auf, um sofort wieder zu verlöschen: Beleuchtungsprobe.
Luca Visconti deutete mit leichten Kreidestrichen die Standpunkte der Schauspieler an. Die letzten Szenen des Films »Ehebetten« sollten abgedreht werden. Hauptdarstellerin war Sophie Hohenfels.
Während der Kameramann die letzten Einstellungen testete, setzte sich Luca zu Sophie. Selbstbewusst übersah er das große Schild mit der Aufschrift: „No Smoking!“ Nervös zündete er sich eine Zigarette an.
„Sophie! Wenn du dir nur ein wenig mehr Mühe geben würdest, dann könnten wir noch heute mit den verflixten Dreharbeiten fertig werden!“
„Ich gebe mir Mühe“, widersprach Sophie temperamentvoll. „Meine Leistungen sind gut. Ich weiß nicht, was du an mir auszusetzen hast!“
„Nichts weiter, als dass du nicht über deinen eigenen Schatten springen kannst! Man muss jede Geste, jeden halbwegs gelungenen Satz buchstäblich aus dir herauspressen!“
Sein Zeigefinger fuhr nervös auf Sophies Armlehne vor und zurück. „Du zehrst an meinen Nerven wie noch keine andere Schauspielerin!“
„Für mich ist es auch nicht einfach.“ Auf Sophies Stirn, direkt über der Nasenwurzel, markierten sich zwei steile Falten. Nun ja, dachte Visconti, sie ist nicht mehr die allerjüngste. In ein paar Jahren kann sie bereits Mutterrollen spielen. Ihre Jugend wird schnell verwelken. Die Spuren der Vergangenheit lassen sich nicht einfach wegwischen.
Visconti überflog mit den Augen das Atelier. Zwanzig Minuten würde es bestimmt noch dauern, bis er wieder rufen konnte: „Ruhe! Achtung, Aufnahme!“
Abschätzend musterte er Sophie: „Mein Gott! Wenn du vor der Kamera nur halb so gut wärst wie im Bett! Leider hast du zwischen den Beinen mehr Talent als im Kopf!“
Sie warf ärgerlich die volle Mähne in den Nacken: „Luca, du bleibst ein ganz mieses Ferkel!“
Er reagierte nicht und wechselte das Thema: „Nächsten Monat beginnen wir mit einem neuen Film. Glaubst du, bis dahin in Hochform zu sein?“
„Selbstverständlich.“ Die Falten auf ihrer Stirn hatten sich spurlos geglättet. Jetzt sah sie wieder aus wie ein junges Mädchen. Scheinbar interessiert betrachtete sie ihre gepflegten Hände.
„Und wie heißt der Film?“
„Der Titel muss erst noch gefunden werden.“ Luca folgte ihrem Blick. „Aber der Arbeitstitel steht natürlich fest: Mordverdacht.“
„Und um was geht es?“
Visconti schwieg ein wenig zu lange. Endlich sagte er: „Um dich!“
„Um mich? Wie soll ich das verstehen?“
„Wir verfilmen dein Leben an der Seite deines berühmten Mannes. Den spannenden Schluss kennst du ja.“
Sophie richtete sich abrupt auf. „Mein Leben? Du bist verrückt. Da mache ich nicht mit!“
„Du bist doch sonst nicht so zimperlich!“ Visconti lächelte sanft wie ein gutmütiger Bär. „Der Film wird ein Knüller, der uns volle Kassen garantiert!“
„Du weißt, wie man mein Leben während des Prozesses in den Dreck gezogen hat!“ In Sophies Gesicht schoss eine dunkle Röte. „Staatsanwalt und Sachverständige zerstückelten mich vor aller Welt. Soll ich die grauenhaftesten Augenblicke meines Lebens vor der Kamera noch einmal spielen? Soll ich die entwürdigenden Szenen vorher sogar noch zehn- oder zwanzigmal proben? Niemals!“
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