„Sind Sie fertig?“, fragte Naomi. Sie blieb erstaunlich kühl. Jetzt, wo die Würfel gefallen waren und wo sie wusste, wie die Fronten verliefen, hatte sie ihre Beherrschung zurückgewonnen.
„Ich denke doch, das reicht... oder?“, fragte er.
„Ja, das reicht“, meinte sie. „Ich bestreite, dass es die von Ihnen geschilderten Vorgänge gegeben hat.“
„Ich verstehe“, sagte er. Sein Grinsen verschwand, er schob das Kinn nach vorn und wirkte plötzlich hart, düster und entschlossen. „Sie glauben, Sie könnten mir Ihrem Dementi durchkommen, weil Sie sehr viel Geld besitzen. Aber Sie dürfen mein Smartphone nicht vergessen, die Kamera macht tolle Bilder und Videos. Was wird wohl Ihr wohlhabender Ehemann zu diesen Bildern sagen, wenn ich sie ihm per eMail zuschicke?“
„Was verlangen Sie?“, fragte Naomi ruhig.
„Darüber muss ich mir noch klar werden... Aber ein Vorschuss von tausend Euro käme mir sehr gelegen.“
„Ist das alles?“
„Nein“, sagte er grinsend. „Sie werden uns besuchen.“
„Uns?“, echote Naomi.
„Meine Freundin und mich. Die ist richtig verschossen in Sie. Eine echte Gräfin, dass beeindruckt sie.“
„Was soll das heißen?“
„Das kriegen Sie schon noch früh genug erklärt“, meinte er. „Wann dürfen wir mit Ihrem Besuch rechnen?“
„Ich werde nicht kommen“, sagte Naomi.
„Schade... in diesem Fall muss ich unverzüglich Kontakt zu Ihrem Ehemann aufnehmen. Er befindet sich doch derzeit in seinem Büro in München, richtig?“
„Sie sind ein Schwein“, sagte sie.
„Sie etwa nicht?“, höhnte er. „Sie haben Sex mit Ihrem Stiefsohn! Ich habe es weiß Gott nicht nötig, mich von so einer Frau beschimpfen zu lassen.“
„Er ist nicht mein Fleisch und Blut“, murmelte sie. Das flüchtige, beruhigende Gefühl selbstsicherer Überlegenheit war zu Bruch gegangen. Sie wusste, dass sie sich auf der Verliererstraße befand.
„Ändert das etwas für Ihren gehörnten Ehemann?“, fragte er.
Nein, das änderte nichts, aber trotzdem hatte sie den Wunsch, sich zu rechtfertigen. Es ging dabei nicht einmal so sehr um Alexander Neuhaus, es ging um sie selbst, es ging um das Drama, das die Ereignisse aus ihrem Leben gemacht hatten.
„Ich war ständig allein“, sagte sie und starrte ins Leere. „Mein Ehemann interessierte sich ausschließlich für sein Geschäft.“
„Ich kann mir das schon vorstellen“, nickte Alexander. „Da war dieser junge, potente Mann in der Nähe und Sie erlagen ihm.“
„Ja“, sagte Naomi, die sich wunderte, dass der Callboy überhaupt in der Lage war, ihre Situation mit wenigen Sätzen einigermaßen treffend zu charakterisieren. „Genau so war es.“
„Wann ist es zum ersten Mal geschehen?“
Naomi gab ihm keine Antwort.
„Er ist erst zwanzig Jahre alt, nicht wahr?“
„Ja.“
„Danach haben Sie ihn verführt.“
„Nein“, sagte Naomi.
„Ich möchte es genau wissen. Auch Linda interessiert sich dafür“, erklärte er.
Naomi leerte ihr Glas. Sie musste den bitteren Geschmack wegspülen, der sich in ihrem Mund gebildet hatte.
„Gehen wir gleich?“, fragte er.
„Nein.“
„Sie wollen also den Skandal?“
Naomi wollte aufbrausen, aber ihr dämmerte, dass das töricht und nutzlos gewesen wäre. Dieser Kerl hatte ja in gewisser Weise Recht. Ihr stand es nicht zu, sein Verhalten zu kritisieren. Sie hatte sich selbst außerhalb gesellschaftlicher Normen gestellt und durfte sich nicht wundern, wenn daraus ein Bumerang wurde.
„Wann soll ich kommen?“, fragte sie.
„Zimmer 17“, erwiderte er. „In einer halben Stunde. Ich lasse den Champagner nach oben bringen.“
Naomi erhob sich wortlos und verließ die Bar. Henri saß in der Halle und kaute an seinem Daumen herum. Als er sie sah, sprang er auf und kam rasch auf sie zu.
„Lass uns an die frische Luft gehen“, sagte sie. „Hier drin ersticke ich.“
Aber draußen war es noch schwüler. Sogar der Wind war heiß. Sie gingen an der Uferpromenade entlang.
„Was verlangt er?“, fragte Henri.
„Erst einmal mich. Und tausend Euro.“
„Dich?“, stieß Henri hervor und blieb stehen. Er ballte die Fäuste und holte tief Luft. „Soll das heißen, dass er mit dir schlafen möchte?“
„Nicht nur er“, sagte Naomi müde. „Auch seine Freundin.“
„Ich bringe den Kerl um!“
„Dann müsstest du auch seine Freundin töten“, meinte Naomi. „Die weiß ja auch Bescheid. Er hat angeblich Fotos und ein Video von uns mit seinem Handy gemacht. Er droht damit, dies deinem Vater zu zeigen.“
„Scheiße! Was sollen wir tun?“
„Ich weiß es nicht. Ich sehe keinen Ausweg.“
„Wir müssen ihn mit Geld abfinden. Ich werde mit ihm sprechen“, erklärte Henri.
„Du bist ein harmlose Schäfchen, Henri“, sagte Naomi. „Du bist dem Kerl niemals gewachsen.“
„Was er verlangt, bezahle ich aus meinem Vermögen“, erklärte Henri.
„Es ist egal, wer bezahlt“, meinte Naomi. „Ich weiß nicht, was werden soll. Er wird uns ausplündern. Der schreckt vor nichts zurück! Das Schlimme ist, dass wir ihn nicht stoppen können. Wenn er wirklich Fotos oder ein Video von uns hat, sind wir erledigt. Ich habe nicht die Kraft für einen weiteren Skandal.“
„Ich habe eine Idee“, behauptete Henri.
„Und die wäre?“
„Wir zahlen. Aber wenn wir das Geld übergeben, sorgen wir dafür, dass es Zeugen gibt. Wenn er danach versuchen sollte, uns ein weiteres Mal zu erpressen, konfrontieren wir ihn mit unserem Zeugen. Wir werden es schaffen, ich bin überzeugt.“
„Ja, sicher“, meinte Naomi müde.
Aber sie glaubte nicht an Henris Optimismus und sie hielt seine Idee für naiv. Plötzlich blieb sie stehen und machte kehrt.
„Gehst du schon zurück?“, fragte er erstaunt
„Ja.“
„Wir haben doch Zeit...“
„Nein“, meinte sie entschlossen. „Ich möchte das Ganze möglichst rasch hinter mich bringen.“
„Lass dich von ihm nicht anfassen“, beschwor er sie. „Du musst es mir versprechen!“
„Schon gut, Henri“, sagte Naomi seufzend. „Lass mich jetzt in Frieden. Wir sprechen uns später.“
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