1 ...6 7 8 10 11 12 ...26 Erik bemüht sich immer wieder, mich aufzumuntern. Eigentlich ist es schön, dass er aus seinem Tief herausgefunden hat. Es wäre schön, wenn ich das für mich auch behaupten könnte. Ich habe mich heute erst richtig hineinfallen lassen, als ich dachte, es wäre alles mit Erik vorbei. Zu erkennen, dass dies für mich unerträglich wäre, das verunsichert und überfordert mich. Wie konnte ich mich, trotz Marcel und meiner Liebe zu ihm, so auf Erik einlassen?
„Was ist los?“, höre ich ihn verunsichert fragen. Er ist so groß und stark … aber ich musste heute mehrmals feststellen, dass er schnell aus der Fassung gerät, wenn er glaubt, dass etwas mit mir nicht stimmt. Was beunruhigt ihn? Er hat doch alles, was er will.
Ich sehe mich nicht in der Lage, ihm gute Laune vorzuspielen und damit zu beruhigen, weil ich mich nicht mal selbst beruhigen kann.
Mein Telefon klingelt in meiner Tasche und ich ziehe sie auf meinen Schoß, um es herauszuholen. Damit entgehe ich einer Antwort auf Eriks Frage.
Ich sehe auf dem Display die Nummer meiner Eltern und melde mich. „Ja!“
„Hallo Carolin, Liebes. Wie geht es dir? Du hast dich am Wochenende gar nicht mehr gemeldet“, höre ich meine Mutter vorwurfsvoll sagen.
„Ja, sorry. Aber ich musste mich etwas auskurieren und hatte viel Schulsachen zu erledigen.“
„Warst du krank?“, fragt sie besorgt.
„Wohl ein kleiner Anflug einer Erkältung. Geht aber schon wieder.“
„Und wie läuft die Schule?“
„Ich habe schon meine zweite Eins“, sage ich und schaue Erik an, der mich kurz angrinst. Aber seine Augen fragen, wer da am Apparat ist.
Erklärend sage ich zu ihm: „Meine Mutter“, und er nickt.
„Ist Marcel bei dir? Seid ihr unterwegs?“
Mir ist klar, dass meine Mutter wohl nicht erkennt, dass das Motorgeräusch wohl kaum vom Golf kommt. „Nein, der ist arbeiten.“
„Oh, ach so. Und ist bei euch beiden alles in Ordnung?“
„Ja, Mama“, sage ich etwas genervt.
Erik sieht mich an. Er weiß, dass wir von Marcel sprechen.
„Ich wollte eigentlich auch nur sagen, dass wir Freitag zu Julian fahren. Wir würden dich gerne mitnehmen. Wir dachten, wir fahren zum späten Nachmittag. Da hast du doch bestimmt Zeit?“
Schwer schluckend streiche ich mir durchs Haar. Verdammt. Auch das noch.
„Carolin?“
„Ja, ist gut. Ruft mich Donnerstag einfach noch mal an, wann ihr genau loswollt“, raune ich mit belegter Stimme und fühle mich von allem völlig überfahren.
„Ist gut Schatz. Ich bin so froh, dass du mitfährst. Julian wird sich bestimmt freuen.“
Ich bin mir da nicht so sicher … und Marcel wird ausflippen … und Tim darf das erst gar nicht erfahren. Und Erik?
Ich werfe ihm einen Blick zu, den er sofort erwidert. Spürt er, dass ich erneut in ein Gefühlschaos abrutsche?
„Dann bis Donnerstag“, meint meine Mutter noch und ich lege auf.
„Was ist los?“, fragt Erik sofort. Für ihn scheint es absolut normal zu sein, dass ich alles vor ihm ausbreite.
Ich schüttele den Kopf. „Nichts!“ Dabei sehe ich wieder aus dem Fenster und lasse die schöne Landschaft an mir vorbeiziehen, ohne sie wirklich wahrzunehmen.
An einem kleinen Wäldchen lenkt Erik den Wagen von der Straße auf den Grünstreifen und macht den Motor aus.
Ich sehe ihn beunruhigt an.
„Komm, wir müssen uns wohl unterhalten“, raunt er und steigt aus.
Ich bleibe sitzen und schließe resigniert die Augen. Worüber unterhalten? Es gibt nichts, worüber ich jetzt sprechen kann. Ich brauche etwas Zeit, um mich selbst in meinen wirren Gefühlen zurechtzufinden.
Erik macht meine Tür auf und beugt sich ins Auto. „Komm, steig aus. Und dann erzählst du mir, was los ist.“
„Du verschenkst schon wieder deinen Sieg, wenn wir nicht weiterfahren“, versuche ich ihn umzustimmen.
Er macht nur eine wegwerfende Handbewegung und brummt: „Scheißegal.“
Ich steige aus und lehne mich neben ihn an den Mustang. Er zündet eine Zigarette an und steckt sie mir zwischen die Lippen, bevor er sich selbst eine nimmt. So stehen wir da und rauchen. Da ich nichts sage, setzt er erneut an.
„Was ist los? Das sollte ein schöner Nachmittag werden, auch wenn ich ihn als Racheakt kaschieren musste, um dich überhaupt mitnehmen zu können.“
Ich sehe ihn verwirrt an. „Um mich mitnehmen zu können? Ich habe nie das Gefühl, dass du auch nur einen Gedanken dran verschwendest, ob etwas richtig oder falsch ist“, raune ich und Erik sieht mich verdattert an. Leise brummt er: „Aber natürlich! Ich will dich doch zu nichts zwingen.“
Er hat schon eine seltsame Art, etwas zu tun und vor sich zu rechtfertigen. Bisher fühle ich mich bei allem, was wir miteinander machten, irgendwie von ihm gezwungen. Und jetzt kommt übermorgen auch noch Tim und Freitag fahre ich zu Julian … dazwischen steht Marcel, der sich vielleicht gerade mit einer Sabrina zu einem Treffen verabredet.
Kurz kommt mir der Gedanke, dass das vielleicht das Beste wäre, auch wenn es mich dann innerlich zerreißt.
Erik tritt dicht an mich heran, legt seine Hand unter mein Kinn und drückt es hoch, damit ich ihn ansehen muss „Was ist los? Immer wenn wir miteinander schlafen stimmt hinterher etwas nicht. Seit wir auf dem Berg waren ist es wieder so.“ Seine Augen funkeln mich entrüstet an und sein Gesicht zeigt erneut diesen harten, angespannten Ausdruck, der mich bisher durchaus verängstigen konnte.
„Ich glaube, ich komme langsam mit dem Ganzen hier nicht mehr klar“, antworte ich resigniert und drücke seine Hand weg. Heute spüre ich keine Angst, nur Ausweglosigkeit.
Erik starrt mich verunsichert an. Es dauert einige Zeit, bis er fragt: „Wie, du kommst nicht mehr klar? Mit was genau kommst du nicht mehr klar?“
Ich überlege, was ich ihm sagen kann. Was ich ihm sagen soll … sagen muss!
„Erik, ich bin mit Marcel zusammen und schlafe mit dir. Ich liebe Marcel wahrscheinlich nicht ganz so, wie ich immer dachte, sonst könnte ich das doch nicht so einfach tun.“ Meine Stimme klingt gequält und so fühle ich mich auch.
Vor mir auf den Boden schauend, flüstere ich fast unhörbar: „Aber es zerreißt mich trotzdem, wenn ich mir vorstelle, ich könnte ihn verlieren. Ich brauche ihn. Er ist mein Halt. Und meine Eltern wollen, dass ich mit ihnen meinen Bruder im Gefängnis besuche und in zwei Wochen hat er seine Verhandlung und wenn er rauskommt weiß ich nicht mal, ob er mir nicht wieder an den Kragen will.“
Wie unter einem Zwang lasse ich meine Hand über die Narbe in meinem Nacken gleiten. „Und dieses ganze Gefühlschaos! Ich packe das einfach nicht mehr.“ Ich muss schlucken und blinzeln, um meine aufsteigenden Tränen zu kontrollieren.
Erik lässt seine Hand sinken, die er um mich legen wollte.
„Ich muss jetzt nach Hause und ich möchte, dass wir uns diese Woche nicht mehr sehen. Ich brauche etwas Abstand von dir, um mich und meine Gefühlswelt in den Griff zu bekommen. Und du … du kannst in Ruhe deine analysieren.“
Ich werfe Erik einen schnellen Blick zu, der mich aber schon wieder in meinen Grundfesten zu erschüttern droht. Schnell sehe ich zur Seite und schlucke krampfhaft.
Erik wirft seine Zigarette weg und starrt mich nur an. Ich nehme das aus dem Augenwinkel wahr und spüre, wie sein Körper sich erneut anspannt und zur bedrohlichen Größe wächst, wie es bei dem alten Erik bisher immer der Fall war.
„Wenn du meinst!“, brummt er und versucht offenbar die aufkeimende Wut zu unterdrücken.
Kurz macht er mir wieder Angst und ich sehe auf. Aber seine Augen wirken nur traurig, und das löst ein neues Chaos in mir aus.
Es reicht. Ich nicke betroffen, drehe mich um, reiße die Wagentür auf und steige ein.
Erik geht um den Wagen herum und ich lasse die Tür zuknallen. Das Geräusch erschreckt mich. Meine Nerven liegen blank.
Читать дальше