Als Jemma, Zack und Jamie am nächsten Morgen den Schulhof betraten, waren die anderen vier schon da und warteten wie immer beim alten Kastanienbaum auf sie.
»Na, endlich«, bibberte Meg und kuschelte sich an Sam. »Lasst uns reingehen. Ich frier mir hier die Füße ab.«
Der Regen gönnte sich an diesem Morgen zwar vorübergehend eine Pause, doch der Wind blies unvermindert nasskalt und die meisten Schüler verzogen sich schnell ins Gebäude.
»Gute Idee.« Ohne einen Blick für Jamie übrig zu haben, drehte Ned sich um und stiefelte davon.
Jamie seufzte. »Ned, warte. Können wir kurz reden?«
»Wozu?«, fragte Ned eisig über seine Schulter hinweg. »Ich finde, du hast deinen Standpunkt gestern mehr als deutlich gemacht. Dazu gibt es nichts mehr zu sagen.« Schroff wandte er sich ab und ging weiter.
Jemma rollte mit den Augen und lief ihm hinterher.
»Hoppla.« Sam sah den beiden überrascht nach und blickte dann zu Jamie. »Habt ihr zwei Zoff?«
»Ja«, stöhnte Jamie. »Ich hab Mist gebaut. Und eigentlich will ich mich entschuldigen. Wenn er mir denn zuhört.« Er sah hinüber zu Jem, die Ned am Arm gepackt hatte und versuchte, ihn zum Stehenbleiben zu überreden.
»Was hast du denn gemacht?«, fragte Charlie verdutzt. »Muss ja echt heftig gewesen sein. Ihr seid doch sonst ein Herz und eine Seele.«
Jamie verzog das Gesicht und wich ihrem Blick aus. Charlie betrachtete ihn stirnrunzelnd, doch Zack legte ihr einen Arm um die Schultern und zog sie sanft mit sich.
»Das sollten die zwei unter sich klären.« Er nickte zu Sam und Meg. »Lasst uns einfach schon mal reingehen.«
»Ja, klar«, sagte Sam sofort. Er nahm Megs Hand und sie gingen in Richtung Schulgebäude.
Zack warf Jamie ein aufmunterndes Lächeln zu, dann nahm er Charlie mit und folgte Sam und Meg.
Jamie atmete tief durch. Jemma und Ned waren zu weit entfernt, um verstehen zu können, was Jem sagte, aber zumindest hatte sie Ned dazu gebracht, stehenzubleiben. Damit hatte er eine reelle Chance, die beiden einzuholen. Seufzend stützte er sich auf seine Krücken und überredete seine Beine zu den Schritten in die richtige Richtung.
»Ned, bleib stehen. Bitte.« Jemma eilte ihm hinterher und fasste seinen Arm.
Ned blieb zwar stehen, sah sie aber nur genervt an, als sie sich ihm in den Weg stellte. »Was?« Ungeduldig schüttelte er ihre Hand ab. »Weißt du, was er gestern gesagt hat?«
»Ja. Und ich finde, er darf sich in so was nicht einmischen. Okay? Aber im Prinzip hat er es nur gut gemeint.«
»Ja.« Ned lachte ironisch auf. »Genauso hat es sich angefühlt!«
Sie zog die Nase kraus. »Ich weiß. Aber gib ihm die Chance, es zu erklären.«
Grimmig schüttelte Ned den Kopf und schob sich an ihr vorbei. »Nein, ich denke nicht.« Entschieden steuerte er wieder das Schulgebäude an.
Jemma warf einen beschwörenden Blick gen Himmel, dann lief sie ihm nach und hielt ihn erneut zurück. »Mann, jetzt sei nicht so stur! Er hat dich gern und wollte dich nur beschützen.« Unnachgiebig versperrte sie ihm wieder den Weg. »Du hast nach der Sache im Frühling für Will eine zweite Chance bei mir rausgeschlagen und dafür bin ich dir echt dankbar. Also revanchiere ich mich jetzt und mache das Gleiche für dich. Und für Jamie. Gib ihm eine Chance, die Sache zwischen euch wieder geradezubiegen. Denn, glaub mir, der Mist, den Jamie gestern gebaut hat, ist weitaus geringer als das, was du und Will getan habt.«
Etwas zuckte in Neds Gesicht, doch sein Blick blieb unnachgiebig.
Jemma seufzte. »Mann, Ned, ihr seid Freunde! Jamie ist gestern zu weit gegangen und deshalb will er mit dir reden und sich entschuldigen. Aber wenn du vor ihm wegrennst, hat er keine Chance. Und das meine ich wörtlich! Du weißt, dass er dich nicht einholen kann, wenn du ihn nicht lässt. Das schafft er nicht. Und falls dir noch irgendwas an ihm liegt, bist du nicht so fies und reibst ihm das unter die Nase.«
Ned verzog das Gesicht und Jemma war erleichtert, als sie sah, dass sein Blick endlich etwas auftaute. Sie drückte kurz seinen Arm und deutete hinter ihn.
»Hör dir an, was er zu sagen hat. Das hat er verdient. Und du auch.« Damit ließ sie ihn stehen und verschwand zum Eingangsportal.
Einen Moment lang schaute Ned ihr hinterher und atmete tief durch. Dann wandte er sich um und sah, dass Jamie fast zu ihm aufgeschlossen hatte.
»Hey.« Jamie versuchte ein kleines Lächeln.
»Hey.« Ned blieb frostig.
Jamie atmete tief durch. »Es tut mir leid wegen gestern. Ich hätte mich da nicht einmischen dürfen. Wenn du Charlie magst, ist das cool, okay? Ich wollte nur nicht, dass sie dir wehtut. Aber das hat nichts damit zu tun, dass du in einem Biokörper lebst. Es ging mehr um Charlie. Ich fand halt, dass du wissen solltest, dass sie ihre Jungs bisher immer ziemlich schnell langweilig fand und sie wieder in den Wind geschossen hat. Damit du weißt, auf was du dich einlässt, und damit sie dich nicht verletzt. Aber wenn Zack recht hat und das zu viel Einmischung oder Bevormundung ist, dann tut es mir leid.«
Kam das jetzt irgendwie komisch rüber? Ned sah ihn jedenfalls gerade verdammt seltsam an.
Jamie stöhnte. »Mann, wir sind doch Freunde, oder? Ich wollte einfach nur nicht, dass Charlie dir womöglich das Herz bricht, denn so einen Scheiß hast du nicht verdient. Aber ich würde mich freuen, wenn es zwischen euch beiden klappt. Ich hab es wirklich nur gut gemeint, aber das kam offensichtlich nicht so an, und das tut mir ehrlich leid. Auch, dass ich dich mit Mike verglichen hab. Das war echt unterirdisch. Du bist kein bisschen so wie er. Wirklich nicht.«
Neds Mundwinkel zuckten. Gestern hatten Jamies Worte schrecklich wehgetan, die von heute taten dafür verdammt gut.
»Schon okay.« Er musste lächeln, als er sah, wie erleichtert Jamie war, trotzdem brannte Ned noch etwas auf der Seele. »Bist du denn sauer wegen der Geheimhaltung? Weil du deswegen jetzt alles abkriegst?«
Jamie schüttelte den Kopf. »Nein. Ich denke, es ist auch für mich besser, wenn niemand weiß, was mit dir los ist. Wenn die Medien dir auf den Senkel gehen würden, wäre ich mit Sicherheit bald der Nächste, und das brauche ich wirklich nicht. Aber selbst wenn ich sauer wäre, wäre das mein Problem und es wäre trotzdem allein deine Entscheidung, wann du wem was sagen willst.« Er sah Ned fest an. »Und ich wär bestimmt nicht so fies, dass ich dir deshalb eins reinwürge und dir keine Freundin gönne.«
Betreten verzog Ned das Gesicht. »Ja, ich weiß. Das war unfair. Dafür hatte ich das mit Mike sogar verdient.«
Jamie grinste gequält. »Ich sollte Max wohl ein paar Upgrades gönnen, weil er verhindert hat, dass wir uns noch mehr Schwachsinn an den Kopf werfen.«
Ned lachte. »Mach das.«
»Gehen wir rein?« Jamie wies auf die bleigraue Wolkendecke, die der Wind über den Himmel trieb. »Mir ist kalt und wenn der Regen losgeht, will ich nicht patschnass werden.«
Langsam liefen sie zum Gebäude hinüber. An der Eingangstür wartete Zack und musterte die beiden.
»Alles wieder gut?«
Jamie zog eine Augenbraue hoch. »Hast du gedacht, ich krieg das nicht hin?«
»Doch, sicher.« Er legte seinen Arm um ihn und gab ihm einen Kuss. Dann sah er zu Ned. »Charlie hat Jem gesagt, dass sie dich spannend findet. Viel interessanter als die Kerle, mit denen sie sich sonst so abgibt. Und sie würde dich wohl verdammt gern ein bisschen besser kennenlernen.«
Sprachlos starrte Ned ihn an.
»Hey! Und das ist jetzt kein Einmischen und Grenzenüberschreiten und all der Mist, den ich mir gestern Abend anhören durfte?!«, fragte Jamie empört.
Zack grinste. »Nein, Süßer, das ist echte Freundschaft!«
Jamie verdrehte die Augen, sparte sich aber jeden weiteren Kommentar, als er Neds Gesicht sah.
Читать дальше