Es fiel uns natürlich nicht ein, die Yumas nach dem Wege zu fragen; sie durften überhaupt nicht wissen, wieweit wir unterrichtet waren und in welchen Beziehungen wir uns in Ungewißheit befanden. Winnetou kannte die Fuente und ihre Umgebung und schlug sicher den geradesten Weg nach derselben ein. Er mochte meine Gedanken aus den Blicken erraten, die ich von Zeit zu Zeit vorwärts warf, denn er sagte bei einer solchen Gelegenheit zu mir:
»Mein Bruder braucht keine Sorge zu haben, daß wir die Fuente verfehlen werden. Ich treffe sie so gewiß, wie meine Kugel ihr Ziel zu finden pflegt: ohne daß wir einen einzigen Schritt des Umweges machen.«
»Davon bin ich fest überzeugt. Jedoch fragt es sich, ob wir zur wünschenswerten Zeit dort ankommen, weil wir unsern heutigen Ritt so spät beginnen konnten.«
»Old Shatterhand mag sich auch in dieser Beziehung beruhigen. Wir kommen zwar erst des Nachts dort an, aber das ist doch besser, als wenn wir die Felsenquelle schon am Tage erreichten, wo wir gesehen werden könnten. In der Dunkelheit bleibt unser Nahen unbemerkt, und wir werden die Yumas so vollständig überraschen, daß uns keiner entgehen und die Kunde von unserer Anwesenheit weitertragen kann.«
Der Weg war sehr bequem; er führte stundenlang über einen weiten Llano, welcher mit kurzem Grase bewachsen war. Dunkle Streifen, die bald im Norden und bald im Süden am Horizonte erschienen, deuteten an, daß der Llano mit Wald eingefaßt war. Der Boden hatte die nötige Feuchtigkeit, um Gras hervorzubringen, doch kamen wir an keinem fließenden oder stehenden Wasser vorüber.
Zur heißesten Tagesstunde wurde angehalten, um die Pferde verschnaufen und weiden zu lassen; dann ging es weiter. Obgleich man es nicht sehr bemerkte, stieg der Llano immer bergan, bis er an einem Laubwalde endete, welcher die Lehnen sanfter Höhen umsäumte. Wir ritten zwischen denselben empor; sie bildeten sich zu Bergen aus, welche mit dichtem Nadelholz bestanden waren. Die Thäler, durch welche wir kamen, wurden von kleinen Bächen durchflossen und verwandelten sich infolge der zunehmenden Steilheit der anliegenden Höhen in Schluchten, in denen es schon düster war, als die Spitzen der Berge noch im Abendrote erglänzten.
Nun mußten wir langsamer reiten als bisher. Winnetou war als Führer an unsrer Spitze. Es trat vollständige
Dunkelheit ein; aber er leitete uns mit solcher Sicherheit, daß die Finsternis uns nur dadurch beschwerlich wurde, daß wir unsere Gefangenen nun mit doppelter Aufmerksamkeit zu bewachen hatten.
Wohl drei Stunden waren seit der Dämmerung vergangen, da hielt er an einem Wasser an, welches in einem breiten und sehr bequem zu passierenden Thale floß. Ich hatte den letzten des Zuges gemacht und ritt nun vor zu ihm, da ich mir sagte, daß wir wahrscheinlich in der Nähe der Felsenquelle angekommen seien. Als ich ihn erreichte, sagte er:
»Mein Bruder wird bemerkt haben, daß dieses Thal nach Norden streicht, während die Fuente und auch Almaden östlich liegen. In einiger Entfernung von hier aber führt ein Seitenthal nach rechts, also aus Osten; aus diesem kommt das Wasser, an welchem wir uns befinden; dort entspringt es zwischen Felsen, und darum wird die Stelle, an welcher es aus den Steinen tritt, die Fuente de la Roca genannt. Die Feinde werden dort alle beisammen sein, denn es steht nicht zu erwarten, daß sie bei der gegenwärtigen Finsternis noch umherschweifen. Wir müssen unsre Gefangenen hier zurücklassen, denn nähmen wir sie weiter mit, so könnten sie auf den Gedanken kommen, uns durch Rufen und Schreien zu verraten. Was bestimmt nun mein Bruder, was geschehen soll? Sollen gleich soviele Mimbrenjos, als wir zur Ueberwältigung der Gegner brauchen, mitgehen, oder hält er es für besser, daß ich mich erst einmal allein anschleiche, um zu erfahren, wie wir den Ueberfall am besten vorzunehmen haben?«
»Das letztere wird das bessere sein. Mein Bruder Winnetou mag erst auf Kundschaft gehen. Wieweit ist die Felsenquelle von hier entfernt?«
»In einer Viertelstunde bin ich dort und kann also in einer ganzen Stunde recht gut wieder zurück sein.«
Er stieg vom Pferde, übergab mir seine Silberbüchse und verschwand in der Dunkelheit. Wir andern stiegen natürlich ab, nahmen die Gefangenen von den Pferden und legten sie nebeneinander, weil sie so besser beaufsichtigt werden konnten. Als ich mich niedergesetzt hatte, kam der Juriskonsulto zu mir und sagte:
»Ich habe bemerkt, daß der Apatsche fort ist. Wohin ist er gegangen, Sennor?«
»Nach der Fuente.«
»Was will er dort?«
»Er will sich an die Yumas schleichen, um zu erfahren, wie wir sie zu fassen haben.«
»Das ist doch überflüssig! Wenn wir gleich hingeritten wären, so hätten wir sie sicher überrumpelt; so aber befürchte ich, daß sie ihn bemerken und uns entwischen.«
»Ihre Befürchtung ist vollständig überflüssig. Sie werden ihn ebensowenig bemerken, wie die Mitternacht den Mittag zu sehen bekommt.«
»Wer hat denn eigentlich bestimmt, daß er vorangehen soll?« »Er und ich natürlich.«
»Das finde ich weniger natürlich, Sennor. Er ist ein Indianer, der nichts gilt; Sie sind zwar ein Weißer, aber fremd hier zu Lande. Dagegen bin ich ein Vertreter der hiesigen Obrigkeit und muß, wenn es sich um die Ergreifung von roten Verbrechern handelt, verlangen, daß nichts ohne mein Wissen und meine Genehmigung unternommen wird. Sie hätten mich also vorher fragen sollen!«
»Meinen Sie? Da passen wir freilich nicht gut zusammen, denn ich pflege zu handeln, ohne viel zu fragen.« »Das bitte ich, zu ändern! Ich ersuche Sie sehr, immer an meine Würde zu denken und mich nicht nur um Rat, sondern, wie es ganz selbstverständlich ist, um meine Erlaubnis zu fragen, ehe Sie eine Bestimmung treffen, welche von Amts wegen von mir und nicht von einem andern auszugehen hat!«
»Hm! Sie führen da eine sonderbare Sprache, Sennor. Ihr Amt geht, trotzdem sie sich in Uniform befinden, mich ganz und gar nichts an. Was Ihre Würde betrifft, so habe ich von derselben keine Spur bemerkt, als Sie als Gefangener und halb Verlorener am Baume hingen. Sie werden unserer Hilfe bedürfen, nicht aber wir Ihrer Befehle. Das klügste, was Sie thun können, ist schweigen. Da haben Sie meine Anwort!«
»Mit welcher ich mich unmöglich beruhigen kann, Sennor! Wenn Sie sich einbilden, unser Kommandant zu sein, so - - -«
»Schweigen Sie!« unterbrach ich ihn in strengem
Tone. »Ich bilde mir allerdings ein, nebst Winnetou hier Kommandant zu sein. Ist Ihnen das nicht recht, so kehren Sie gefälligst um, und reiten Sie dorthin zurück, woher Sie gekommen sind! Sie meinen, sich mit meiner Entscheidung nicht beruhigen zu können? Wenn Sie sich nicht augenblicklich auf die Schöße Ihrer Uniform setzen und sich dann still verhalten, laß ich Sie binden. Dann können Sie, wenn wir fort sind, Befehle erteilen, soviel Sie wollen und an wen Ihnen beliebt!«
Das wirkte. Er ging zu seinem Haziendero und setzte sich bei ihm nieder. Sich jetzt noch laut zu widersetzen, das wagte er nicht, doch hörte ich ihn mißmutig vor sich hinbrummen. Dieses Vergnügen konnte ich ihm gönnen.
Es währte nicht so lange, wie Winnetou angenommen hatte. Noch waren nicht drei Viertelstunden vergangen, so kehrte er zurück und meldete:
»Es sitzen vierzehn Yumas an der Quelle; zwanzig sind es gewesen; fünf und den "schnellen Fisch" haben wir ergriffen, folglich sind sie alle beisammen.«
»Wird ihr Ergreifen leicht oder schwer sein?«
»Leicht. Sie dünken sich sicher und haben ihre Waffen zur Seite liegen. Die Pferde weiden abwärts von dem Quell am Wasser.«
»So müssen wir an ihnen aufwärts vorüber. Werden sie uns nicht wittern?«
»Nein, denn die Luft steht in dem Thälchen still, und wir gehen am andern Ufer. Ich werde euch so führen, daß wir sie einschließen, ohne daß sie es bemerken.«
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