»Ja. Wir wollen uns dort unter der Buche treffen, doch ohne Waffen. Ich komme mit Winnetou, und er bringt dich mich. Von jeder Seite zwei; mehr dürfen es nicht sein.«
Er ging hinüber und stritt sich eine Viertelstunde mit dem "großen Munde" herum; dann kam er wieder, um uns zu sagen, daß derselbe bei seiner hohen Würde unmöglich zu zweien kommen könne; er müsse wenigstens sechs Begleiter haben.
»Zwei von hüben und zwei von drüben, mehr nicht. Sage ihm das! Wir gehen nicht davon ab und wenn ihm das nicht gefällt, so mag er sehen, was geschieht.«
Die »Schlange« mußte noch zweimal hin und her, ehe sich der Alte entschloß, nachzugeben. Dann kam er mit ihm nach der Buche geschritten, unter welcher sie sich niedersetzten. Ohne Waffen, war ausgemacht; man weiß aber, daß selbst auch dann der Indianer wenigstens ein Messer in irgend einer Falte verborgen hat; darum behielten wir, als wir hingingen, jeder einen Revolver bei uns. Um einem Hinterhalte zu begegnen, hatten wir unsere Vorsichtsmaßregeln getroffen.
Der »große Mund« nahm uns mit haßerfüllten Blicken in Empfang, und als ich mich bei ihm niederließ, zog er den Zipfel der Decke, in welche sein Oberkörper gehüllt war, rasch an sich, damit derselbe ja nicht mit mir in Berührung kommen möchte. Dann sah er finster vor sich nieder. Er mochte denken, daß wir zu beginnen hätten; aber wir wollten ihm infolge seiner »großen Würde« den Anfang machen lassen und schwiegen also ebenso hartnäckig wie er. Von Zeit zu Zeit hob er den Kopf, um uns mit einem dolchähnlichen Blicke zu durchbohren; als wir uns aber weder durchbohren noch zum Reden bringen ließen, fuhr er uns, da er sich nicht länger halten konnte, ganz plötzlich und unerwartet an:
»Meine Ohren sind offen, also redet!«
Winnetou sagte nichts, und ich sagte nichts. Darum kam nach einiger Zeit die Drohung hervorgepoltert: »Wenn ihr nicht redet, laß ich auf euch schießen!«
Da deutete Winnetou nach unserer Seite hinüber, welcher der Alte den Rücken zukehrte; er drehte sich um und sah sämtliche Mimbrenjos, die sich bei uns befanden, auf der Erde mit ihren Gewehren im Anschlage liegen.
»Uff! uff! Was ist das?« rief er aus. »Wollt ihr mich erschießen lassen!«
»Nein,« antwortete der Apatsche. »Die Gewehre sind so lange auf dich gerichtet, bis wir uns wieder dort bei unsern Kriegern befinden; mehr brauche ich dir nicht zu sagen.«
Es ist keineswegs angenehm, zu wissen, daß man einen Rücken hat, auf den über vierzig geladene Gewehre gerichtet sind. Es braucht nur ein Finger sich ein wenig zu fest an den Drücker zu legen, so ist das Unheil geschehen. Man sah es dem »großen Munde« deutlich an, daß er sich von jetzt an nicht allzusehr behaglich fühlte. Um die ängstliche Situation abzukürzen, versuchte er nun nicht mehr, uns zum Reden zu bringen, sondern ging uns mit gutem Beispiele voran, indem er drolligerweise behauptete:
»Winnetou und Old Shatterhand sind in meine Hände geraten; der heutige Tag wird ihr letzter sein!«
Der Apatsche forderte mich durch einen stillen Blick auf, zu antworten; darum entgegnete ich:
»Und der "große Mund" ist uns in das Netz gegangen; er wird noch in dieser Stunde geschlachtet werden! Soll dieser Tag unser letzter sein, so schicken wir dich voran!«
»Zählt eure Männer und zählt die unserigen! Wer ist dem andern überlegen?«
»Winnetou und Old Shatterhand zählen niemals ihre Gegner. Ob einer oder zehn, ist ihnen gleich. Der "große Mund" mag zählen!«
»Wir werden euch erdrücken!«
»Wurden wir in Almaden erdrückt, wo über dreihundert gegen vierzig waren?«
»Da war ich nicht dabei und werde es genau untersuchen. Wer als Feigling handelt, wird aus der Reihe der
Krieger gestoßen.«
Das ging gegen »listige Schlange«, welche sofort zornig ausrief:
»Wer ist feig? Verbünde dich nicht mit Verrätern, so kommen deine Krieger nicht in die Gefahr, mutlos zu erscheinen!«
»Schweig! Ich werde mit Melton sprechen und von ihm erfahren, was geschehen ist und wer die Schuld an allem trägt.«
»Du wirst nicht mit ihm sprechen! Das Bleichgesicht gehört mir und niemand darf ohne meine Erlaubnis mit ihm sprechen!«
»Auch ich, dein Häuptling nicht?«
»Nein. Du bist mein Häuptling nicht. Du bist ein Häuptling wie ich, und weil du der ältere bist, ist dir von den Stämmen der Yumas der Befehl übertragen worden; aber keiner braucht, wenn er nicht will, dir zu gehorchen. Darüber, daß du mich einen Feigling nennst, mag die Beratung der Aeltesten entscheiden; sagst du es aber noch einmal, so steche ich dich augenblicklich nieder!«
Er sprach die Drohung in solcher Erregung aus, daß anzunehmen war, er werde sie zur Wahrheit machen. Jetzt hatte der Alte sogar von seinem eigenen Stammesgenossen einen kräftigen Hieb empfangen, that aber so, als ob er ihn nicht gefühlt habe, und wendete sich von der »Schlange« ab zu mir:
»Ich wiederhole, daß ihr in meine Gewalt geraten seid. Alle, die sich bei euch befinden, sind verloren. Es giebt nur eine einzige Möglichkeit, sie zu retten, du lieferst dich und einen Sohn des "starken Büffels" an uns aus, damit ihr an dem Marterpfahle sterbt.«
»Wenn ich das thue, welche Folgen hat es für meine Genossen?«
»Sie können weiterziehen, ohne daß wir sie mit dem Finger berühren.«
»Warum soll gerade ich es sein?«
»Weil du meinen Sohn erschossen hast.«
»Und warum einer der beiden Knaben?«
»Weil sie schuld waren, daß du ihn erschossest. Ich habe gehört, daß der eine sich Yurnatöter nennt?«
»Ich selbst habe ihm den Namen gegeben, und ich hoffe, daß sein Bruder bald einen ähnlichen tragen wird.«
»Damit deine Hoffnung zu Schanden wird, verlange ich gerade diesen Knaben, obwohl ich erst den Yumatöter fordern wollte.«
»Was forderst du noch?«
»Alles, was deine Gefährten bei sich tragen, auch ihre Pferde und Winnetous Pferd und Silberbüchse.« »Höre, mein geliebter roter Bruder, ich gestehe, daß ich mich in dir geirrt habe, denn ich habe dich bisher
für einen Dummkopf gehalten, nun sehe ich ein, daß du ein pfiffiger alter Onkel bist. Aber nun frage uns doch auch einmal, was wir wollen.«
»Ihr? Was könntet ihr wollen?«
»Zunächst dich, der sich mit Melton gegen meine weißen Brüder, die jetzt bei mir sind, verbündet hat. Auch hast du die Hazienda del Arroyo niedergebrannt, weshalb ich auch ein Wort mit dir zu sprechen habe. Also dich wollen wir; dann können deine Leute weiterziehen, ohne daß wir sie anrühren.«
Da fuhr er mich an:
»Hat dir ein Geier den Verstand aus der Hirnschale euch in meiner Hand befindet!«
gefressen? Wie könnt ihr Forderungen stellen, da ihr
und wir denken, wir haben dich. Die Beratung ist zu
»So ist alles Reden unnütz. Du denkst, du hast uns, Ende.«
Dabei stand ich auf. Da rief er:
»Halt, noch sind wir nicht fertig! Hört noch ein Wort: Wenn ich in einer Viertelstunde nicht den Knaben und Old Shatterhand ausgeliefert bekommen habe, fallen wir über euch her und vernichten euch bis auf den letzten Mann!«
Winnetou war zu stolz, ihm darauf noch zu antworten, und mir fiel es auch nicht ein. Da aber stand der andere Häuptling auch auf und erklärte dem Alten:
»Ich bin "Listige Schlange" und habe noch nie mein Wort gebrochen; ich werde auch den Vertrag halten, den ich mit diesen Männern abgeschlossen habe.«
Da sah ihn der Alte groß an und fragte:
»Wie willst du ihn halten, wenn ich ihn für ungültig erkläre?«
»Das kannst du nicht. Ich bin's, der ihn abgeschlossen hat, und ich bin's, der zu sagen hat, ob er gelten soll oder nicht.«
Da stampfte der Alte, der sich auch erhoben hatte, mit dem Fuße auf den Boden und schrie:
»Und ich befehle aber, daß er nichtig ist! Wer wagt es, sich gegen den "großen Mund" zu empören?«
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