Das war eine lange, kraftvolle Rede, auf welche weder hüben noch drüben ein Laut erfolgte. Sie saßen am Feuer und berieten. Sollte denn die ganze Nacht vergehen, ehe man mit dieser Kinderei zu Ende kam! Da endlich sahen wir den »großen Mund« sich erheben. Er rief herüber:
»Was Winnetou, der Häuptling der Apatschen, vor- vorgeschlagen hat, ist angenommen worden. Er mag zur Buche kommen, wo ich mit ihm zusammentreffen werde!«
Jetzt, da die »listige Schlange« zu uns übergegangen war, brauchten wir nicht mehr an Vorsichtsmaßregeln gegen eine etwaige Hinterlist zu denken. Winnetou ging hinüber, und der Häuptling kam zu ihm. Die fünfzehn Lanzen wurden gebracht. Hatte man vorhin für mich die schadhaftesten ausgesucht, so war dies nun nicht mehr möglich. Winnetou warf einige fort und ließ an deren Stelle bessere kommen; dann wurden sie geteilt und zu je fünf verlost. Hierauf wurde die Distanz abgeschritten und markiert. »Langes Haar« und »Starker Arm« kamen herbei und hielten sich in gleicher Entfernung von meinem Platze, drei Schritte voneinander entfernt. Der Häuptling stellte sich nicht weit von ihnen auf; er hatte eine Pistole in der Hand, um mir eine Kugel zu geben, falls ich gegen die Verabredung handeln sollte. Nun wurde ich gerufen, legte die Jacke ab und ging hin. Winnetou postierte sich mit seiner Silberbüchse in gemessener Entfernung neben mich. Das dumme Ding, welches diese Leute Kampf nannten, konnte beginnen.
Meine Gegner traten sehr zuversichtlich auf; hatte doch sogar Winnetou behauptet, daß noch niemand eine Lanze in meiner Hand gesehen habe.
»Wünschest du, daß ich ihnen eine Lehre gebe?« fragte ich ihn leise.
»Ja; sie verdienen es. Du kennst meinen Doppelwurf; eine Lanze als Finte und sofort hinterher die nächste als Treffer.«
Ich nahm die fünf Waffen vom Boden auf, wo sie lagen; sie waren leicht und dünn, aber von zähem Holze, nur durch Absicht zerbrechlich. Ich konnte alle fünf zugleich umspannen und nahm sie als Bündel in beide Hände, sie zunächst wie ungefähr eine Balancierstange haltend. Bei dieser Haltung ist das Parieren, das Seitwärtsdirigieren der heransausenden Wurfgeschosse für den Anfänger freilich sehr schwer und sogar gefährlich, für den Geübten dafür aber dreifach leicht.
Jetzt gab Winnetou das Zeichen zum Beginne. Ich richtete mich zur Seite und sah scheinbar über den See hinüber, hatte aber in Wirklichkeit die Gegner, denen ich das linke Profil zukehrte, scharf im Auge. Hinter ihnen brannte ihr helles Feuer; hinter mir war es dunkel, da das unserige verlöscht war; ich befand mich also gegen sie im Vorteile, da ich ihre Speere, wenn sie dieselben warfen, viel deutlicher sehen konnte, als sie die meinigen; die ihren kamen aus dem Hellen, die meinen aus dem Dunkeln geflogen.
Auch sie bewegten sich nicht; sie warteten, daß ich beginnen Solle; das fiel mir aber nicht ein. Wer seine Lanzen verschossen hatte, mußte stehen bleiben und auf sich zielen lassen, bis der Gegner auch keine mehr hatte. So lautete das Uebereinkommen, und das wollte ich benutzen; sie sollten Todesangst ausstehen.
So vergingen fünf Minuten und wieder fünf. Sie wurden ungeduldig. Sie mochten wirklich glauben, daß ich die Augen zur Seite und nicht auf sie gerichtet hielt, denn "Langes Haar" trat ganz plötzlich einen Schritt zurück, um auszuholen, und warf. Mir war zum Ausweichen auch ein Schritt erlaubt; ich that ihn, und das Geschoß flog an mir vorüber, ohne daß ich zu parieren brauchte. Dann warf der "Starke Arm" zweimal und "Langes Haar" noch einmal. Jeder hatte noch drei Lanzen. Ich hörte, daß sie einander Vorwürfe machten, schlecht gezielt zu haben, und rief ihnen zu:
»Die Krieger der Yumas sind Kinder, welche keine
Gedanken und keine Erfahrung haben; sie zielen ganz leidlich, werden mich aber auf diese Weise niemals treffen.«
»Meint Old Shatterhand dies wirklich?« höhnte der »starke Arm«. »Wir wissen, daß er vom Lanzenwerfen nichts versteht, obwohl er ein Meister im Gebrauche anderer Waffen ist. Mein nächster Wurf wird ihn durchbohren. Hat er vor seinem Tode noch etwas zu bestellen?«
»Ja. Gieb, sobald ich gefallen bin, dem "langen Haar" als Vermächtnis von mir zehn tüchtige Ohrfeigen, und laß sie dir dann von ihm wiedergeben, Das wiederholt ihr so zehnmale, bis jeder hundert hat!«
»Das werde ich sofort ausrichten, und zwar an dir, mit dieser Lanze. Da, hast du sie!«
Der Aerger vermehrte seine Kraft, nahm ihm aber die Sicherheit des Zielens und Wägens. Die Lanze sauste an mir vorüber und dann auch diejenige des »langen Haares«.
»Ich sagte es ja,« lachte ich. »Ihr seid Kinder, die sich reizen lassen und weder Ueberlegung noch Berechnung haben. Ich will euch sagen, wie ihr es machen müßt. Warum seid ihr zu zweien? Warum werft ihr einzeln? Einer Lanze weicht man doch leichter aus als zweien!«
»Uff!« rief das Lange Haar«, und »Uff!« rief auch der »starke Arm«.
Sie sahen einander verwundert an, denn ein so einfacher, so selbstverständlicher Gedanke war ihnen nicht gekommen. Es war nicht klug von mir, sie darauf aufmerksam zu machen, aber ich fürchtete mich nicht, denn ich hatte, ebenso wie Winnetou, auch darin Uebung, zwei Lanzen, die zu gleicher Zeit geworfen werden, zu entgehen. Die eine pariert man, und der andern weicht man durch einen Schritt zur Seite aus. Freilich dürfen sie nicht von Kennern geworfen werden, sonst ist man unbedingt verloren. Zielen beide nach demselben Punkte, dem Kopfe, oder der Brust, und wirft dabei der eine auch nur einen Moment später als der andere, so wird die erste wahrscheinlich pariert, die zweite trifft das Ziel aber gewiß.
Das wußten die beiden Yumas glücklicherweise nicht. Sie handelten zwar nach meiner Anweisung, sagten aber einander nicht, wohin zu zielen sei; ihre Lanzen nahmen nicht denselben Flug - ein Schlag mit den meinigen, ein schneller Seitentritt, ich wurde nicht getroffen. Der Aerger darüber verleitete sie, das Manöver sofort zu wiederholen, und zwar mit demselben Erfolge oder vielmehr Mißerfolge. Sie hatten nun keine Lanzen mehr, während ich die meinigen alle noch besaß.
Jetzt ging Winnetou von mir fort und näherte sich ihnen, um sie durch sein Gewehr zum Bleiben zu nötigen, falls sie die Absicht zeigen Sollten, sich meinen Würfen durch die Flucht zu entziehen. Ich aber nahm eine Lanze in die Rechte, die andern vier in die Linke und sagte:
»Jetzt werden die Krieger der Yumas erfahren, ob Old Shatterhand den Gebrauch dieser Waffe kennt. Ihr seid unehrlich gegen mich gewesen; es soll euch aber nichts nützen.
Selbst meinem Bruder Winnetou ist die Unehrlichkeit entgangen, obgleich jeder, der ein Auge oder ein Ohr besitzt, sie sogleich erkennen mußte.«
»Eine Unehrlichkeit?« fragte der Apatsche. »Welche? Ich weiß von keiner!«
»Sind nicht zehn Speere gegen mich gewesen, zehn gegen einen, und ich habe nur fünf gegen zwei?« »Uff! Das ist richtig!« rief er verwundert aus.
»Rechne nach! Sie hatten zehn gegen mich; ich habe nur zwei und einen halben gegen den Mann, also waren sie viermal besser gegen mich gestellt, als ich gegen sie. Ist das gerecht?«
»Nein; aber niemand hat daran gedacht!«
»Ich dachte daran, sagte aber nichts, da ich die Ungleichheit ausgleichen werde. Jetzt der erste Wurf!«
Winnetou sah mich an und nickte bedeutungsvoll zur Seite. Damit fragte er, ob der erste Wurf, sowie wir zu thun pflegten, ein Versuch sein solle. Ich nickte wieder. Links hinter den Gegnern stand ein Baum, ich weiß nicht mehr, welcher Art, der hatte unter seinem ersten Aste einen Schwamm; den wollte ich treffen. Ich setzte den linken Fuß vor, wog und wägte den Speer in der Rechten, indem ich dieselbe auf- und niedergehen ließ, hob sie hoch empor, nahm den Schwamm scharf ins Auge, gab dem Speer durch eine Daumenbewegung die nötige Selbstdrehung und schleuderte ihn - er kam mitten in den Schwamm zu stecken. Die Yumas lachten hell auf, denn die Lanze war wenigstens vier Schritte weit an ihnen vorübergeflogen. Winnetou blickte nach dem Baume, nickte befriedigt über seinen Schüler und rief den Lachern zu:
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