Da kam der Mimbrenjo nach oben. Er ruderte mit den Beinen und einem Arme dem Ufer zu und zog mit dem andern Arme etwas hinter sich her. Dann deckten ihn die Büsche, deren Gezweig tief herniederhing. Ich wendete mich zurück und rief mit halblauter Stimme:
»Er hat den Biber getötet und bringt ihn nach dem Ufer, um ihm dort den Skalp zu nehmen, was im Wasser sehr schwer sein würde. Haltet die Waffen bereit! Ich fürchte, daß die Yumas ihren Grimm nicht zu zähmen vermögen und losbrechen werden.«
Da kam der Knabe wieder unter den Büschen hervor und zu uns herübergeschwommen, erreichte das Land und stieg heraus.
»Halt!« schrie drüben der "große Mund". »Nur der Sieger darf heraus, und der andere muß tot sein!«
Da schwang der Knabe das Messer, welches er in der rechten und den Skalp, den er in der linken Hand gehalten hatte und rief antwortend:
»Der "große Mund" mag sich den Biber ansehen, der dort im Busche liegt, ob er noch lebt. Hier ist die Haut seines Schädels, die ich ihm genommen habe!«
Der kleine Sieger wurde von den Seinigen begrüßt.
Er hatte nicht die geringste Verletzung oder gar Wunde. Die Yumas aber wußten sich vor Wut nicht zu fassen. Sie brüllten wie die wilden Tiere und rannten vom Wasser, an welchem sie gestanden hatten, weg, um ihre Waffen zu holen. Ich rannte auch, nämlich am Ufer hin zu Winnetou, der noch bei dem »großen Munde« stand und die scharfen Augen offen hielt.
»Deine Krieger laufen zu den Waffen,« sagte ich. »Verbiete es ihnen!«
»Das fällt mir nicht ein!« antwortete er finster, indem er mit der Hand in den Gürtel nach der Pistole griff. »Wenn ein einziger Schuß oder Hieb von ihnen fällt, seid ihr verloren!« »Wollen sehen! Wir zählen ebenso viele Krieger wie ihr.« »Nein. Komm, und sieh.«
Ich nahm ihn beim Arme und riß ihn zwischen den Büschen und Bäumen hindurch hinaus ins Freie, wo jetzt, am hellen Morgen, der Ring der Mimbrenjokrieger, welcher den See umschlossen hielt, deutlich zu sehen war.
»Was ist das! Wer sind die Leute?« fragte er erschrocken.
»Es ist der "starke Büffel" mit seinen Hunderten von Kriegern. Während wir euch am Wasser haben, halten sie euch von außen eingeschlossen. Siehst du nicht ein, daß der Kampf euch den Untergang bringen muß? Sei klug! Hörst du deine Leute heulen! In einer Minute ist's vielleicht schon zu spät!«
Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn, als ob er seine Gedanken mit Gewalt zusammenstreichen müsse, und fragte:
»Giebt es für uns Gnade oder den Marterpfahl?«
»Gnade.« »Ich vertraue dir. Komm schnell!«
Wir rannten durch das Gebüsch dem Wasser wieder zu, und es war hohe Zeit, daß wir kamen, denn die Yumas standen am obern Teil des Sees zum Angriffe bereit, der nur deshalb unterblieben war, weil sie ihren Häuptling nicht gesehen hatten. Er eilte zu ihnen hin, um sie über die Lage der Dinge aufzuklären, und ich schickte den »starken Büffel« hinaus, seinen Leuten zu sagen, daß die Entscheidung jetzt auf einem Augenblicke stehe. Sie hatten bisher am Boden gelegen oder gekauert, standen nun aber auf und boten so einen weit mehr einschüchternden Anblick als vorher.
Der »große Mund« mußte seine ganze Redekunst aufwenden, um seine Leute vom Losbruche zurückzuhalten. Sie ergaben sich erst dann in ihr Schicksal, als sie selbst die lebendige Mauer von Kriegern sahen, von welcher sie umgeben waren. Der »starke Büffel« kam, als er seine Leute aufgeklärt hatte, wieder herein zu mir, deutete auf die Yumas und fragte:
»Denkst du, daß sie sich wehren werden?«
»Nein. Ich habe mit ihrem Häuptling gesprochen.«
»So ergeben sie sich?«
»Ich denke es. «
»So sterben sie nun doch am Marterpfahle!«
»Das glaube ich nicht. Denn bietest du ihnen nichts als den Marterpfahl, so werden sie sich nicht ergeben, sondern wehren bis auf den letzten Mann.«
»Das mögen sie thun!«
»So kostet es viel, sehr viel Blut.«
»Sprich doch nicht immer vom Blut! Mögen sie erschossen werden!« »Und viele deiner Krieger auch!«
»Schwerlich! Der Kampf wird nur einige Augen- Augenblicke währen. Bedenke, welche Macht wir gegen sie haben. Ich mit meinen Mimbrenjos, Winnetou und du mit deinen Bleichgesichtern, und die "listige Schlange" mit dreihundert Kriegern, die zu dir halten!«
»Ja, sie werden zu mir halten, aber gegen dich.«
»Was soll das heißen?«
»Das soll heißen, daß ich dem "großen Munde" sowie allen seinen Leuten Gnade versprochen habe.«
»Gnade? Wie durftest du das! Befanden sie sich in meiner Hand oder in der deinigen?«
»Zunächst in der meinigen. Willst du sie etwa wieder zum Marterpfahle führen und unterwegs entfliehen lassen? Oeffne deine Augen, um zu sehen, wie es steht! Ich helfe nicht, sie niederzumetzeln, und Winnetou auch nicht; da kennst du uns. Der Häuptling "listige Schlange" wird, wenn er deine Absicht erkennt, augenblicklich dem "großen Munde" helfen. Denke ja nicht, daß er eines Zerwürfnisses wegen seinen bisherigen Feinden, den Mimbrenjos, hilft, seine Brüder, die Yumas abzuschlachten! Ein Friedensschluß
aber bringt allen Segen, euch und ihnen, und du machst gute Beute dabei.«
»Beute? Hast du ihnen denn nicht auch versprochen, daß keine Beute gemacht werden solle? Das sollte mich sehr wundern!«
»Nur Gnade, also das Leben, habe ich ihnen versprochen, weiter nichts. Gegen das Beutemachen habe ich nichts einzuwenden, ja ich rate dir sogar dazu. Nimm ihnen ihre Waffen und Pferde, so sind sie geschwächt für lange Zeit. Was der "große Mund" in der letzten Zeit gesündigt hat, darf nicht ohne Strafe bleiben.«
»So sprich mit der "listigen Schlange", was sie dazu sagt!«
Das that ich denn auch und fand den Boden dazu sehr gut vorbereitet. Ich hatte schon längst bemerkt, daß der junge und ehrliebende Häuptling eifersüchtig auf den alten war. Dazu kam die Kränkung, welche er während der vergangenen Nacht von ihm erfahren hatte, und die Trennung der Krieger des einen Stammes von denen des andern. Wenn die Mimbrenjos Beute nahmen, so wurde der »große Mund« in seinem Vermögen und Ansehen schwer geschädigt; das sah »listige Schlange« sehr wohl ein. Diejenigen, welche sich von dem Alten getrennt hatten, mußten dann ihm zufallen; sein Anhang wuchs, und es konnte leicht kommen, daß er bald an Stelle des »großen Mundes« zum Kriegshäuptling ernannt wurde, was ihn, wie er wohl hoffte, auch in den Augen der Jüdin einige Stufen höher hob. Darum antwortete er, als ich ihn fragte, was er wohl meine, was mit dem »großen Munde« und seinen Leuten geschehen werde:
»Thut, was ihr wollt, nur tötet sie nicht. Auch ihrer Gefangennahme würde ich mich widersetzen, denn sie sind meine Brüder.«
»Du weißt, was der "große Mund" begangen hat, und giebst wohl zu, daß er Strafe verdient hat?«
»Das geht mich nichts an, denn ich habe ihm bei dem, was du bestrafen willst, beistehen müssen. Nehmt ihm alles ab, und laßt ihn dann mit seinen Leuten laufen!«
Diesen Bescheid brachte ich dem »starken Büffel«, welcher mir die fatale Bitte vorlegte, zu dem Alten zu gehen und die Kapitulation abzuschließen. Es war mir aber interessant, ihn zu beobachten, wenn er jetzt sein Schicksal aus meiner Hand nehmen mußte, der ich von ihm auch schon für den Marterpfahl bestimmt gewesen war.
Als ich zu ihm kam, befand er sich inmitten seiner Krieger, welche mich mit nicht sehr freundlichen Blicken betrachteten. Sie hatten ihre Waffen noch; darum war es beinahe ein Wagnis, daß ich den »großen Mund« nicht hatte zu mir kommen lassen, sondern zu ihm gegangen war.
»Du willst mir sagen, was beschlossen worden ist?« fragte er.
»Zunächst will ich dir sagen, daß ich für euch gesprochen habe, obgleich du es nicht um mich verdient hast. Du stehst allein, denn "listige Schlange" hat sich von dir gewendet, weil du ihn einen Feigling nanntest. Der "starke Büffel" bestand darauf, euch an den Marterpfahl zu führen; ich redete es ihm aus. Dann wollte er euch wenigstens als Gefangene mit sich führen, um euch den Weibern der Mimbrenjos zu zeigen; auch darauf hat er verzichtet. Weiter aber darfst du nichts verlangen.«
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