Unser Zug erlitt also keine Unterbrechung, bis wir bei dem See ankamen, wo wir abstiegen und zunächst die Pferde erst trinken und dann laufen ließen; die Indianer aber sorgten zuerst für sich und dann erst für die Pferde. Melton wurde an einen Baum gebunden, und für Judith richtete man ein Lager im Gebüsch her.
Bei der Verteilung des Proviants mußte ich zugegen sein, denn hätte ich dieselbe nicht geleitet, so wäre von den Roten wahrscheinlich alles auf einmal verzehrt worden. Während ich dadurch an den Ort gebunden war, entfernte sich der Apatsche, um nach seiner vorsichtigen Weise die See Oase zu umschreiten. Als er von diesem Gange zurückkehrte, sah ich ihm an, daß er etwas Wichtiges entdeckt hatte, und ging also hin zu ihm.
»Mein roter Bruder hat noch anderes entdeckt als nur den Reiter, den wir vorhin gesehen haben?« fragte ich ihn.
»Ja,« antwortete er. »Rund um den See grasen unsere Pferde, man kann sie weit sehen, da es noch nicht dunkel, die Gegend um das Wasser aber ganz eben ist. Ich schaute zunächst nach Ost, wo der Reiter verschwunden war; der Eingang des Thales war leer. Dann blickte ich nach Norden und sah Reiter kommen. Sie wollten auch nach dem See; aber als sie unsere Pferde sahen, zogen sie sich schnell zurück.«
»So haben wir es also mit zwei verschiedenen Trupps zu thun, welche jedenfalls nichts von einander wissen.«
»So ist's,« nickte er. »Der eine kommt von Norden, der andere von Osten her; beide wollen nach dem See und sind, als sie uns bemerkten, zurückgewichen.«
»Mein roter Bruder weiß, wer diese Leute sind?«
»Old Shatterhand weiß es auch.«
»Wenigstens kann man es sich leicht denken. Es ist der "große Mund" mit seinen Yumas und der "starke Büffel" mit seinen Mimbrenjos. Wo aber ist der eine und wo der andere? Wir wissen nicht, welcher von ihnen von Norden und welcher von Osten kommt.«
»Wir werden es bald erfahren, denn beide werden Kundschafter senden, sobald es dunkel geworden ist. Man muß ihnen zuvorkommen. Wohin will mein weißer Bruder gehen?«
»Hinüber nach Ost.«
»So gehe ich nach Nord. Wir brauchen nur zehn Minuten zu warten, dann ist es Nacht.«
Wir lagerten uns, um unsern Imbiß zu verzehren, und standen dann, als die schnelle Dämmerung vorüber war, wieder auf, um uns auf den Weg zu machen, die beiden Reitertrupps zu beschleichen. Daß wir uns entfernten, fiel nicht auf. Man glaubte wohl, daß wir nach unsern Pferden sehen wollten, zumal wir die Gewehre nicht mitnahmen. Sobald wir nicht mehr gesehen werden konnten, trennten wir uns. Winnetou ging nord- und ich ostwärts.
Es war anzunehmen, daß diejenigen, welche wir suchten, jetzt noch keine Kundschafter aussenden würden, doch war ich noch nicht weit gegangen, so vernahm ich vor mir ein Geräusch, wie wenn ein Fuß einen Stein von seiner Stelle stößt. Sofort legte ich mich nieder und wartete. Ich hörte die leisen Schritte eines Menschen, welcher gerade auf mich zukam. Jetzt sah ich ihn; Jetzt war er noch acht, noch sechs, noch vier Schritte von mir entfernt. Er bemerkte mich nicht, da er den Blick vorwärts und nicht zu Boden richtete. Als er noch einen Schritt gethan hatte, fuhr ich auf und nahm ihn mit beiden Händen beim Halse. Er ließ die Arme sinken; seine Beine schlotterten und suchten nach festem Halt auf der Erde. Ich zog, oder vielmehr ließ ihn nieder, nahm die rechte Hand von seinem Halse, hielt diesen aber mit der Linken fest und griff mit der Rechten in seinen Gürtel. Er hatte dort ein Messer stecken und sonst keine Waffe bei sich. Ein Kundschafter pflegt sich nicht mit schweren Gewehren zu belästigen. Ich zog das Messer heraus und nahm es zu mir, ließ ihm ein wenig Luft und sagte, natürlich nicht so laut, daß man es weit hören konnte:
»Von welchem Stamm bist du? Sprich die Wahrheit, sonst bekommst du dein eigenes Messer in den Leib.
«
»Mim - bren - jo,« antwortete er, nach Atem ringend, in abgerissenen Silben. Da er mich auch belügen konnte, so fragte ich, um ganz sicher zu gehen: »Wer führt Euch an?« »Der "starke Büffel".« »Wohin wollt Ihr?«
»Nach Almaden zu Old Shatterhand und Winnetou.« Da gab ich ihm den Hals ganz frei und sagte:
»Sprich ganz leise! Schau mir einmal ins Gesicht! Kennst du mich?«
»Uff! Old Shatterhand!« antwortete er mir, nachdem er sein Gesicht ganz an das meinige gebracht hatte.
»Steh auf, und führe mich zu dem "starken Büffel"! Da hast du dein Messer wieder.«
Er erhob sich, kehrte um und ging neben mir her, ohne ein Wort zu sagen. Als wir in der Nähe des Thales angekommen waren, blieb er stehen und sagte:
»Old Shatterhand ist ein Freund der roten Männer und ein Meister in allem. Er muß nicht denken, daß jeder Krieger es ihm gleich thun kann. Wird er dem Häuptling sagen, daß er mich ergriffen und entwaffnet hat?«
»Ich sollte es thun, denn eure Sicherheit erfordert, daß nur der Fähigste zu solchen Diensten ausgewählt wird.«
»Dann wird man mich zu den Weibern schicken, und ich stoße mir das Messer in das Herz!«
»Dann will ich schweigen. Aber merke dir, daß man sich selbst von dem größten Schreck nicht überraschen
lassen darf!«
Als wir ein kleines Stück in das Thal hinein gegangen waren, ließ sich das Zirpen einer Grille hören; mein Begleiter antwortete durch ein gleiches Zirpen, wodurch er sich vor dem Posten legitimierte. Bald sah ich trotz der Dunkelheit viele Männer beisammensitzen. Sie hatten natürlich kein Feuer angebrannt. Aus ihrer Mitte erhob sich einer und meinte:
»Zwei kommen! Wer ist der andere?«
»Old Shatterhand,« antwortete mein Begleiter.
»Old Shatterhand, Old Shatterhand!« hörte ich es weiter und weiter flüstern.
Der Frager war kein anderer als der »starke Büffel« der Häuptling der Mimbrenjos. Er gab mir die Hand und sagte im Tone froher Ueberraschung:
»Mein berühmter weißer Bruder ist's? Das macht mir das Herz leicht, denn ich habe große Sorge um ihn gehabt. Wie aber kommt er in diese Gegend, da wir ihn entweder tot oder in einer andern Gegend glauben mußten?«
Er hatte sich um mich wohl weniger gesorgt als um seine beiden Knaben, durfte sich aber nicht die Blöße geben, dies zu sagen. Um ihn gleich von vornherein zu beruhigen, antwortete ich:
»Tot? Alle, die sich bei mir befinden, sind wohlauf, und es ist keinem ein Leid geschehen. Die Krieger der Mimbrenjos, welche mich begleiteten, und die beiden Söhne des "starken Büffels" haben sich so tapfer gehalten, daß ich ihnen großes Lob zollen muß. Ich werde später von ihnen und ihren Thaten erzählen; jetzt muß ich vor allen Dingen hören, wieviel Krieger der "starke Büffel" mitgebracht hat.«
»Zweihundert und einige mehr,« antwortete er.
»Er wollte die gefangenen Yumas, unter denen sich auch der Häuptling derselben, der "große Mund", befand, zu den Marterpfählen führen. Sind sie mutig gestorben, oder haben sie vor Schmerzen ihre Stimmen erschallen lassen?«
Ich wußte längst, daß sie dem alten, groben, aber sonst ganz wackern Kerl entkommen waren, sprach die Frage aber dennoch aus, um ihn dafür zu bestrafen, daß er mir zugemutet hatte, ich wolle den »großen Mund« absichtlich entfliehen lassen. Er zögerte auch lange mit der Antwort, bis er eingestand:
»Der große Geist hat nicht gewollt, daß wir uns über den Tod dieser Hunde freuen sollten. Es hatte sich einer von ihnen losgemacht und auch die Fesseln der andern geöffnet; sie entflohen und nahmen viele Pferde mit.«
»Das ist eine große Heldenthat von Euch gewesen. Die Yumas werden noch lange darüber lachen. Wie hat der "starke Büffel" gezürnt, wenn ich einmal mit dem "großen Munde" sprach! Nun hat er nicht nur ihn, sondern alle Gefangenen mit ihm laufen lassen!«
»Der große Geist hat es so gewollt. Er ließ einen so tiefen Schlaf über uns kommen, daß wir weder sahen noch hörten.«
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