»Das ist die Ansicht meines roten Bruders. Ich bin anderer Meinung. So oft ein Fehler von mir geschehen ist, habe ich niemals dem großen Geiste die Schuld gegeben, denn Manitou begeht keinen Fehler. Aber was vergangen ist, soll man als unvermeidlich betrachten und sich die beste Lehre daraus ziehen. Wissen die
Krieger der Mimbrenjo, wo der "große Mund" sich jetzt befindet?«
»Nein; aber wir nehmen an, daß er auch hinauf nach Almaden ziehen wird. Als er uns entflohen war, habe ich mich beeilt, frische Pferde und Krieger zu holen, um ihn wieder zu fangen; diejenigen welche ich bei mir hatte, mußten ihn augenblicklich verfolgen. Sie werden hinter ihm her sein, und wenn ich mit diesen neuen Kriegern dazukomme, wird er sich zwischen zwei Haufen befinden, welche ihn erdrücken.«
»So hast du klug und umsichtig gehandelt. Deine erste Schar wird ihm die Herden, welche er sich holte, inzwischen wieder abgenommen haben. Uebrigens kann ich dir sagen, daß er sich nicht weit von hier befindet, am nördlichen Ausgange des Thalkessels, in welchem wir lagern.«
»So müssen wir hin, um ihn anzugreifen!«
»Uebereile dich nicht! Du mußt erst wissen, was geschehen ist und wie die Dinge jetzt stehen.«
Ich hatte nicht Zeit zu einem langen, ausführlichen Berichte und erzählte ihm also in Kürze, aber so, daß er alles erfuhr, was seit meiner Trennung von ihm vorgekommen war.
Seine Leute drängten sich herbei und lauschten atemlos. Obgleich ich nur Umrisse geben und keinerlei Malerei bringen konnte, ließ er doch von Zeit zu Zeit einen Ausruf des Erstaunens hören, und als ich fertig war, rief er aus:
»Nicht ganz fünfzig unserer Krieger haben das vollbracht! Hört ihr es, nicht ganz fünfzig! Und meine Knaben waren auch dabei!«
Ich hatte bei meinem Berichte weder von Winnetou noch von mir im einzelnen gesprochen, sondern stets das Fürwort »wir« gebraucht. Dadurch wurde allerdings die Vorstellung erweckt, daß einer ganz denselben Ruhm zu beanspruchen habe wie der andere.
»Also der Häuptling "listige Schlange" lagert jetzt da draußen im Thale mit dreihundert Kriegern und unsern Brüdern?! Welch ein Zufall! Hättest du nicht Frieden mit ihnen geschlossen, so wären mit Tagesanbruch alle ihre Skalpe unser Eigentum!«
»Ich hoffe, daß ihr den Vertrag respektiert, den wir mit der "listigen Schlange" abgeschlossen haben. Euer Verlangen nach Skalpen wird vielleicht auf andere Weise erfüllt werden.«
»Wie?«
»Ich habe dir doch gesagt, daß der "große Mund" sich auch in der Nähe befindet. Zwar habe ich ihn noch nicht gesehen, aber er wird und muß es sein. Er wird in Zorn entbrennen, wenn er hört, daß die "listige Schlange" Freundschaft mit uns geschlossen hat, und ich denke, daß er sich weigert, dem Vertrage beizutreten. Dann kommt es unbedingt zum Kampfe.«
»Was denkt mein weißer Bruder, daß die "listige Schlange" dann thun wird?«
»Dieser Krieger ist ehrlich; er wird sein Wort gewiß halten. Aber von den dreihundert Männern, welche bei ihm sind, ist es nicht auch so gewiß, daß sie sich aller Falschheit enthalten werden. Wenigstens vermute ich in Beziehung auf die vierzig Mann, welche wir an der Fuente und den andern Posten festgenommen haben, daß sie deshalb heimliche Rachepläne gegen uns hegen. Man muß abwarten, was geschieht.«
»Nein, nicht abwarten, sondern ihnen zuvorkommen sollte man!« »Mute mir das nicht zu! Eines Treubruches soll man Old Shatterhand und Winnetou niemals zeihen!«
»So sage, was zu geschehen hat! Sollen wir gleich jetzt mit hinüber nach euerm Lager reiten?«
»Nein. Ich will erst hören, was Winnetou sagt, der den "großen Mund" beschlichen hat. Da letzterer auch Kundschafter senden wird, so ist es besser, du schickst keinen Späher mehr hinüber, denn dieser könnte von dem Späher des Feindes gesehen werden.«
»Wie aber erfahre ich, was geschehen soll?«
»Durch einen Boten, den ich dir sende. Er wird zirpen, wenn er in eure Nähe kommt, und du wirst gewissenhaft das thun, was ich dir durch ihn sagen lasse. Mag es kommen, wie es will, wir sind den Yumas überlegen. Haben sie auch mehr Krieger als wir, so besitzen wir Schießwaffen, von denen sie nur wenige haben, und bei uns giebt es einzelne Männer, von denen jeder es mit zehn und noch mehr Feinden aufnimmt. Jetzt gehe ich. Haltet euch bereit!«
Ich ging. Als ich wieder in das Lager kam, war Winnetou schon da, obgleich er weiter zu gehen gehabt hatte, als ich. Ja, ich erfuhr, daß er noch viel weiter gegangen war, als ich dachte. Wir legten uns abseits nebeneinander, um nicht gehört zu werden, und ich sagte ihm, welchen Erfolg ich gehabt hatte. Als ich ihn dann nach dem seinigen fragte, antwortete er:
»Winnetou hat erst den "großen Mund" mit seinen Kriegern gesehen und dann auch die Mimbrenjos, die ihm folgen.«
»Was?« fragte ich, im höchsten Grade überrascht. »Sind sie schon hier? Sind sie ihm so nahe?« »Old Shatterhand weiß, daß sie hinter ihm her sind?«
»Ja; der "starke Büffel" sagte es mir. Er sandte, als die Yumas ihm entwischt waren, die Mimbrenjos hinter ihm her und eilte fort, um neue Krieger und neue Pferde zu holen. Hast du sie nur gesehen, oder auch mit ihnen gesprochen?«
»Gesprochen. Ich kam in das Thal und beschlich die Leute, welche sich dort befanden. Es war der "große Mund". Als ich hinter einem Felsen lag, huschte ein anderer vorüber, welcher sie auch belauschen wollte. Ich hielt ihn fest. Er mußte, da er sich ihnen nicht zeigte, ein Feind von ihnen sein; darum nannte ich ihm meinen Namen. Da freute er sich und teilte mir mit, daß die Mimbrenjoschar, zu welcher er gehöre, am Nachmittage dem "großen Munde" ganz nahe gefolgt sei und nur tausend Schritte entfernt liege, um über ihn herzufallen. Ich ließ mich hinführen und sprach mit ihnen.«
»Was hast du ihnen geboten, daß sie thun sollen?«
»Sie sollen ihn nicht überfallen, sondern ruhig liegen bleiben, bis ich entweder selbst komme, oder ihnen einen Boten sende. Dann eilte ich zurück, um mit dir darüber zu sprechen.«
»Das war das Richtige. Wir müssen nun unser Verhalten ganz nach demjenigen des "großen Mundes" richten. Ist er zur Freundschaft geneigt, so soll es mich freuen, wo nicht, so mag er erfahren, daß wir ihn nicht fürchten.«
»Er wird den Frieden nicht anerkennen. Du hast seinen Sohn getötet. Selbst wenn er den Mimbrenjos die Hand zur Versöhnung bieten wollte, dir würde er sie verweigern.«
»Zu seinem eigenen Schaden, denn er wird, wenn der Tag anbricht, sehen, daß er rings umschlossen ist. Ich
schlage vor, daß du noch einmal - -«
Ich wurde durch einen lauten Ruf unterbrochen, welcher sich in einiger Entfernung von uns hören ließ. Dort trat nämlich ein Indianer aus den Büschen und ging unter frohen Ausrufungen auf »listige Schlange«, welche am Wasser lag, zu. Der Mann war ein Kund- Kundschafter des "großen Mundes", der ihn abgeschickt hatte, um zu erfahren, wer wir seien. Als er gesehen hatte, daß die meisten Anwesenden Yumas waren, kam er aus den Sträuchern, in denen er steckte, hervor, um den Häuptling zu begrüßen. Beide sprachen einige Zeit miteinander und kamen dann auf uns zu; deshalb standen wir auf. Der Kundschafter betrachtete uns mit finsterem Blicke. »Listige Schlange« sagte:
»Der Krieger der Yumas meldet mir, daß der "große Mund" hier angekommen ist und wissen will, wer hier am Wasser liegt. Da er der oberste Kriegshäuptling unsers Stammes ist, muß ich ihn einladen, mit seinen Kriegern hierher zu kommen. Was sagen meine beiden Brüder dazu?«
»Hast du dem Kundschafter gesagt, daß wir Frieden geschlossen haben?« antwortete Winnetou. »Ja.«
»Wir wissen, daß du dein Wort halten wirst, und müssen nun erst hören, ob der "große Mund", dir zustimmt. Bis wir dies erfahren, müssen wir vorsichtig sein. Er mag mit seinen Leuten kommen und sich mit ihnen hier an das Wasser setzen. Die eine Hälfte desselben, bis zur großen Buche da, wo du gelegen hast, soll ihm und ihnen, die andere aber uns gehören. Wer über die Buche hinausgeht, wird erschossen. Brennt ein Feuer da drüben auf seiner Hälfte an, damit er sich gut umschauen kann! Ich habe gesprochen.«
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