Карл Май - Satan und Ischariot III

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Über den Autor Karl May wurde am 25.2.1842 in Hohenstein-Ernstthal als Sohn eines armen Webers geboren und war bis zum 5. Lebensjahr blind. Als Volksschullehrer wurde May wegen Diebstahls entlassen und verbrachte insgesamt 7 1/2 Jahre wegen Eigentumsvergehen und Betrügereien aus finanzieller Notlage im Gefängnis. Zunächst schrieb er erzgebirgische Dorfgeschichten und Humoresken für Zeitschriften in Dresden, später Kolportageromane. Mit seinen Reiseerzählungen, die in Nordamerika oder im Orient spielten, wurde May berühmt. Karl May starb am 30.3.1912 in Radebeul bei Dresden.
Entstehungsgeschichte Ab 1892 brachte der Freiburger Verleger Friedrich Ernst Fehsenfeld eine Buchreihe mit Mays Reiseerzählungen heraus. Nach dem großen Erfolg des Orientzyklus (Band 1 bis 6) kamen weitere Bände hinzu. »Satan und Ischariot« erschien zunächst ohne Obertitel in der Wochenzeitschrift »Deutscher Hausschatz in Wort und Bild« und wurde später als Band 20 bis 21 veröffentlicht. Ein gestrichener Manuskriptteil wurde sehr viel später vom Karl-May-Verlag in Band 79 aufgenommen. Der vorliegende Text wurde nach den jeweiligen Buch-Erstauflagen von 1896/1897 und 1897 erfaßt.

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Die alte Kutsche war so baufällig geworden, daß wir sie zurücklassen mußten. Dafür bauten die Nijoras aus Stangen, gegerbten Häuten und Riemen eine allerliebste Sänfte für Martha.

Am letzten Tage vor unserm Aufbruche ritt ein Trupp Nijoras auf die Antilopenjagd; wir blieben daheim. Als die Jäger zurückkehrten, erhob sich großer Lärm im Dorfe.

Wir hatten im Zelte des Häuptlings gesessen und traten hinaus, um die Ursache zu erfahren. Die Jäger hatten einen sonderbaren Fang gemacht; sie brachten keine Antilopen, sondern zwei Gefangene mit, nämlich einen Mogollonindianer und -- eine weiße Squaw, Sennora Judith genannt.

Die Jäger waren eine Stunde von dem Dorfe auf sechs Mogollons und die Jüdin gestoßen; es hatte ein Scharmützel gegeben, bei welchem ein Mogollon und die »Squaw« ergriffen worden waren; die andern fünf Gegner hatten das Weite gesucht. Am sonderbarsten kam mir der Umstand vor, daß alle sechs Mogollons mit Flinten bewaffnet gewesen waren. Woher hatten sie die?

Wir nahmen erst den Gefangenen vor. Er schwieg beharrlich; es war nichts aus ihm herauszubringen. Dann wurde Judith vorgeführt. Sie trat nicht etwa verlegen auf, sondern sah uns frech in die Gesichter.

»Was haben Sie in der Nähe des Dorfes zu suchen?« fragte ich sie.

»Das können Sie sich denken!« lachte sie mich an.

»Natürlich Ihren Jonathan?«

»Ich habe Ihnen gesagt, daß ich zu ihm gehöre!«

»Sogar sehr gehören Sie zum ihm, sehr! Aber Sie wissen, daß wir auf Ihre Gesellschaft verzichtet haben. Wissen Sie, daß Ihre Begleiter ihr Leben auf das Spiel gesetzt haben, indem sie sich so nahe an die Nijoras wagten?«

»Das ist mir gleich.« »Wo haben die Kerls die Flinten her?« »Das brauchen Sie nicht zu wissen.«

»Sind Sie etwa gekommen, mich noch einmal zu veranlassen, Sie mitzunehmen?« »Welche Absicht sollte ich sonst haben?« »Melton zu befreien.«

»Sie meinen, daß wir uns in dieses große Lager wagen wollten? So dumm waren wir nicht.«

»Des Nachts hätte man es immer wagen können. Ihre eigentliche Absicht aber war eine andere. Sie haben sich auf die Lauer gelegt, um unsere Abreise zu bemerken. Dann wollten Sie uns folgen und uns überfallen. Sie hätten Ihren Jonathan und das Geld bekommen, und nebenbei hätten die MogolIons sich für ihre Niederlage gerächt.«

»Wunderbar, wie klug Sie sind!« rief sie lachend aus; aber es war ein erzwungenes Lachen; ich hatte wahrscheinlich das Richtige getroffen.

»Um so thörichter sind Sie. Ihr Leben war und ist ein trauriges, und ebenso traurig wird Ihr Ende sein!«

»Was geht das Sie an! Mein Leben und mein Ende ist meine Sache, aber nicht die Ihrige!«

»Doch auch mit die meinige! Wenn Sie sich stets in unsere Wege drängen, besitzen wir gar wohl das Recht, uns um Sie zu bekümmern. Aber wir werden dafür sorgen, daß Sie uns nicht sogleich wieder belästigen können. Der Häuptling der Nijoras, unser Bruder, wird Sie einige Wochen hier gefangen halten; das wird das einzige Ergebnis Ihres jetzigen, unweiblichen Abenteuers sein.«

Man sah deutlich, daß sie erschrak; sie nahm sich aber zusammen und sagte, jetzt in bittendem Tone:

»Sie fügen mir damit ein großes Unrecht zu. Ich will Melton nicht befreien, sondern bin nur in der Absicht gekommen, Sie zu bitten, mich mitzunehmen.«

»Bitten? Mit sechs Begleitern? Und in dieser Weise bewaffnet? Pah! das machen Sie einem andern weiß, aber mir doch nicht. Sie bleiben einige Wochen hier gefangen. Was dann aus Ihnen wird, das mag allerdings Ihre Sache und nicht die unserige sein. Fort mit Ihnen, hinaus! Wir mögen Sie nicht mehr sehen.«

Sie ging; aber unter dem Eingange drehte sie sich noch einmal um und fragte:

»Melton soll also wirklich fortgeschafft und bestraft werden?«

»Ja.«

»So reisen Sie! Aber Sie werden bald etwas erleben, wenn ich nun auch nicht dabei sein kann!«

Aus dieser Drohung war mit größter Deutlichkeit zu ersehen, daß wir unterwegs hatten überfallen werden sollen. Noch waren fünf Mogollons da; wir mußten also vorsichtig sein. Es stand zu erwarten, daß sie sich heute abend näherschleichen würden, um das Schicksal ihrer Anführerin und ihres Kameraden zu erfahren. Darum zogen wir, sobald es dunkel geworden war, einen Ring von Lauschern, welche sich in das hohe Gras legen und dort unbeweglich halten mußten, um das Dorf. Das hatte Erfolg. Vier Mogollons wurden

erwischt; der fünfte entkam.

Nun konnten wir am andern Morgen unsere Reise ohne Sorge antreten. Wir wurden von einer Schar Nijoras mehrere Stunden weit begleitet und waren von da unsere eigenen Herren. Die Sänfte Marthas wurde von Pferden getragen; die Nijoras hatten dafür gesorgt, daß wir alle gut beritten waren, und so legten wir ganz stattliche Tagesmärsche zurück. Wir vermieden die Gegend des Schlangenberges und den Flujo blanco mit dem Pueblo, welches wir auf dem Herwege erobert hatten. Von da an aber lenkten wir genau dahin ein, woher wir gekommen waren.

Hatte Jonathan Melton Hoffnung gehabt, befreit zu werden, so schien sie von Tag zu Tag mehr zu schwinden. Wir sorgten dafür, daß er kein Wort mit seinem Vater sprechen konnte. Dieser befand sich in einem eigenartigen Zustande. Er murmelte immer unverständliches Zeug vor sich hin, fuhr des Nachts angstheulend aus dem Schlafe auf und trieb allerhand Allotria, die uns um seinen Verstand bange machten.

So kamen wir jenseits des kleinen Colorado und vor Acoma gegen Abend in die Gegend, wo der alte Melton seinen Bruder ermordet hatte. Ohne daß etwas darüber gesprochen oder gar bestimmt worden war, hielten wir an der Stelle an, wo wir den Toten mit Steinen bedeckt hatten. Wir wollten die Nacht da lagern. Noch lag das Gerippe des gestürzten Pferdes da; die Geier hatten es rein abgenagt. Es war ein schauerlicher Ort, der Ort des Brudermordes. Hätte man uns gefragt, warum wir gerade ihn für die Nacht gewählt hatten, es wäre wohl keiner von uns imstande gewesen, eine befriedigende Antwort zu geben.

Wir aßen, der alte Melton aber nicht. Er lag mit emporgezogenen Knieen an der Erde und stöhnte vor sich hin. Plötzlich, der Mond war eben aufgegangen, bat er mich:

»Sir, bindet mir die Hände vom Rücken nach vorn!«

»Warum?« fragte ich.

»Damit ich sie falten kann. Ich muß beten!«

Welch eine unerwartete Bitte! Durfte ich die Erfüllung verweigern? Gewiß nicht. Ich gab also dem langen Dunker die Genehmigung, weil dieser neben ihm saß. Er band die Hände hinten los. Noch ehe er sie vorn wieder zusammen gebunden hatte, fragte mich der Alte:

»Wo liegt mein Bruder, Sir?«

»Gleich neben Euch, unter dem Steinhaufen.«

»So begrabt mich bei ihm!«

Dunker stieß einen Schrei aus. Wir sahen, daß er Melton bei den Händen faßte. »Was giebt's denn, was ist los?« fragte ich.

»Er hat mir mein Messer aus dem Gürtel gezogen,« antwortete Dunker. »So nehmt es ihm rasch!«

»Es geht nicht; er hält zu fest! Er ersticht sich - er ersticht sich - es ist zu spät!«

Ich sprang hin, riß Dunker weg und bückte mich auf den Alten nieder. Ein Röcheln drang aus seinem offenen Munde. Das Messer mit beiden Händen fest am Griffe haltend, hatte er sich die lange Klinge bis an

das Heft ins Herz gestoßen; noch höchstens einige Sekunden, dann war er tot.

Was soll ich weiter sagen! Solche Augenblicke muß man erleben, aber darüber sprechen, darüber schreiben kann man nicht. Das ist das Gericht Gottes, welches schon hier auf Erden beginnt, und sich bis jenseits des jüngsten Tages in alle Ewigkeit erstreckt! Auf derselben Stelle auch ganz derselbe Tod! Erstochen! Ich hatte ihm gesagt, er werde sterben wie Ischariot - von seiner eigenen Hand. Wie schnell war das in Erfüllung gegangen!

Wir waren so ergriffen, daß wir zunächst nur stumm beten konnten. Und Jonathan, sein Sohn? Der lag da, sah in den Mond und sagte kein Wort, gab keinen Laut von sich.

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