Da drehte er sich hastig wieder herum, und schrie mich an:
»Nicht nur entfliehen werde ich, sondern auch das Geld wieder bekommen.«
»Gratuliere Euch im voraus dazu! Habe übrigens eine freudige Ueberrraschung für Euch.«
Ich gab, ohne daß er es hörte, den Befehl, seinen Vater über die Höhe herüberzuschaffen. Als man ihn brachte, kamen
Franz Vogel und Martha mit. Der Alte wurde zu dem jungen geführt. Als der erstere den letzteren erblickte, schien er zunächst vor Schreck stumm geworden zu sein; dann rief er aus:
»Also doch, doch, doch! Du bist gefangen, auch gefangen! Wem hast du das zu verdanken?«
»Dem da!« antwortete Jonathan, nach der Stelle nickend, an welcher ich stand.
»Dem deutschen Hunde, dem wir überhaupt alles schulden! Wo hast du dein Geld?«
»Es ist fort, der Deutsche hat es.«
»Nein, nicht mehr. Vorhin habe ich es bei ihm gesehen; jetzt aber hat es dieser Musikant, dem wir in Albuquerque zugehört haben.«
»Du irrst dich!«
»Nein. Ich habe die Brieftasche bei ihm gesehen. Die Sängerin hat sie ihm gebracht; dann zählte sie das Geld.«
»Ja, es ist so, Mr. Melton,« sagte ich zu Jonathan. »Die Lady und der junge Master sind, wie Ihr bereits wißt, die rechtmäßigen Erben Mr. Hunters. Darum habe ich ihnen die Brieftasche übergeben.«
»Meinetwegen!« lachte er höhnisch. »Sie werden sie nicht lange haben!«
»Dann kommt sie wieder in Eure Hände, wie Ihr meint? Ich habe schon einmal dazu gratuliert, und thue dies jetzt zum zweitenmale. Wenn Ihr sie dann habt, gratuliere ich zum dritten- und letztenmale. Dabei wollen wir es jetzt bewenden lassen.«
Während dieser kurzen Szene bemerkte ich, daß die Jüdin mit Jonathan Blicke des Einverständnisses wechselte. Sie schienen sich ausgesöhnt zu haben. Ich hatte sie in letzter Zeit nicht selbst beobachten können und mußte wissen, woran ich war; darum sagte ich kurze Zeit später, sodaß niemand es hören konnte, zu ihr:
»Sennora, Ihre Yumaindianer sind mit den Mogollons fort; jedenfalls haben sie sich nach dem Pueblo gewendet. Möchten Sie nicht gern auch dort sein?«
Sie sah mich fragend an. Sie sagte sich wohl, daß mich nicht eine freundliche Teilnahme zu dieser Frage treibe, konnte aber meine Absicht nicht erraten.
»Wollen Sie mich vielleicht freigeben, daß ich ihnen dorthin folgen kann?« antwortete sie. »Vielleicht.«
»So haben Sie Ihre Ansicht über mich geändert!«
»Das würde wohl nicht das Zeichen von Charakterschwäche sein.«
»Ein Mann soll nicht heute so, und morgen anders denken!«
»Auch wenn er sich heute irrt? Zum Eingeständnisse eines Irrtums gehört wohl mehr Mut oder Ueberwindung, als zum Festhalten einer irrigen Meinung. Ich habe mich in Ihnen geirrt.«
»Ah! Wieso?«
»Indem ich Sie für schlecht hielt. Sie sind aber nur leichtsinnig.« »Das ist kein Kompliment!«
»Soll es auch nicht sein. Sie haben sich nicht aus Bosheit, sondern aus Lebe an Jonathan Melton gehängt; Ihre Schuld oder vielmehr Mitschuld ist also nicht so schwer, wie ich bisher angenommen habe. Sie sind jetzt schon bestraft genug; ich will Sie nicht noch unglücklicher machen und Sie mitnehmen, um Sie den Gerichten auszuliefern. Sie sind frei. Sie können gehen, wohin Sie wollen.«
Diese Worte hatten eine ganz andere Wirkung, als man, wenn man nicht meiner heimlichen Ansicht war, hätte erwarten sollen.
»Ich bleibe!« antwortete sie kurz entschlossen. »Welchen Grund haben Sie dazu?«
»Ich gehöre zu Jonathan. Wo er ist, da bin ich auch, und wo er hingeht, da gehe ich auch hin.«
»Die reine Ruth! Leider aber heißen Sie Judith. Gestern hätten sie einander beinahe umgebracht, und heute wollen Sie nicht von ihm lassen. Diese plötzliche neue Anhänglichkeit muß einen guten Grund haben. Darf ich ihn vielleicht erfahren?«
»Wenn Sie ihn wissen wollen, so raten Sie. Sie sind doch sonst so klug, warum nicht auch hier in diesem Falle?«
»Auch hier!«
»So? Nun, so sagen sie doch einmal!«
Sie sah mir dabei mit einem solchen Hohne in das Gesicht, daß ich beschloß, meinen Vorsatz auszuführen. Ich antwortete:
»Als Sie glaubten, das Geld sei im Wasser verschwunden, war es mit Ihrer Liebe aus. Jetzt wissen Sie, daß Mr. Vogel es besitzt, und Jonathan behauptet, daß er es wiederbekommen werde; sofort ist die alte Liebe und eine neue, rührende Anhänglichkeit wieder da. Ich kann Sie unterwegs unmöglich so streng halten, wie die männlichen Gefangenen; vielleicht gelingt es Ihnen, sich in einem unbewachten Augenblicke von Ihren Fesseln zu befreien; dann ist es Ihnen leicht, auch Jonathan freizumachen; das geschieht natürlich in der Nacht; Sie nehmen Mr. Vogel das Geld ab, und verschwinden beide damit. Was sagen Sie zu dieser meiner Gedankenleserei?«
»Daß - daß sie nichts wert ist.«
Sie antwortete stockend; ich hatte also wohl das Richtige getroffen. Darum fuhr ich fort: »Wert oder nichts wert, ich werde darnach handeln. Ich gebe Sie frei.« »Ich will aber nicht frei sein!«
»Schön! Das steigert meinen Verdacht. Ich sollte Sie allerdings mitnehmen, denn Sie haben Strafe verdient; aber ich müßte Sie doppelt beaufsichtigen lassen, und so ist es bequemer für uns, wenn wir uns Ihrer entledigen.«
»Das bringen Sie nicht fertig. Weisen Sie mich immer fort; ich bleibe hier!« »Mr. Dunker!«
Der lange Dunker kam herbei.
»Mr. Dunker, getraut Ihr Euch, diese Lady, auch wenn sie sich dagegen wehren sollte, zu Euch auf das Pferd zu nehmen?«
»Mit Vergnügen!« lachte er. »Je mehr sie sich wehrt, desto lieber ist es mir. Werde ein sehr stilles und ruhiges Tabaksbündel aus ihr machen. Soll ich?«
»Ja. Nehmt Euch zwei Nijoras mit, die Euch helfen können. Ihr reitet nach der Quelle des Schattens; dorthin sind die Mogollons und die Yumas gezogen. Sobald Ihr auf solche Rote trefft, übergebt Ihr ihnen die Lady und kehrt dann schnell zurück.«
»Well, soll prompt besorgt werden.«
Da kam der Häuptling der Nijoras zu mir. Während ich mit ihm sprach, konnte ich beobachten, wie Judith sich gegen das Fortbringen wehrte. Dunker machte kurzen Prozeß mit ihr; sie wurde gebunden und in eine Schlafdecke gewickelt; die zwei Nijoras, welche ihm dabei halfen, hoben sie zu ihm aufs Pferd und ritten mit ihm davon.
Der Häuptling legte mir die Frage vor, wo wir heute lagern wollten. Ich stimmte nicht dafür, hier auf der Platte zu bleiben, denn man konnte den Mogollons, obgleich sie entwaffnet waren, doch nicht recht trauen.
Wenn sie des Nachts in Masse zurückkehrten, war, wenn auch Keine Gefahr, aber doch große Störung zu erwarten. Dazu kam, daß es den Häuptling und alle seine Leute nach ihrem Dorfe zog, und so wurde einstimmig beschlosssen, dorthin aufzubrechen.
Nach Verlauf einer Stunde waren wir marschbereit. Die erbeuteten Waffen und Pferde waren einstweilen verteilt worden; die Gefangenen hatte man auf die Sättel festgebunden; Martha saß in dem Wagen und ich auf dem Bocke; es ging fort. Ein Roter aber blieb zurück, um den langen Dunker und seine beiden Begleiter nachzubringen.
Es wäre überflüssig, die Fahrt, welche sehr beschwerlich war, zu beschreiben. Nach zwei Stunden kamen wir durch das schon wiederholt erwähnte »dunkle Thal«; später wurden wir von Dunker eingeholt - er hatte sich, wie er lachend erklärte, der Lady mit Eleganz entledigt und sie einigen sehr roten Gentlemen anvertraut - und ungefähr eine Stunde vor Abend sahen wir die Bewohner des Lagerdorfes der Nijoras uns unter lautem Jubel entgegenkommen. Sie waren durch einen uns voranreitenden Boten von unserer Ankunft unterrichtet worden.
Es verstand sich ganz von selbst, daß der leichte Sieg heute und dann noch mehrere Tage gefeiert wurde. Winnetou, Emery, Dunker und ich waren hochangesehene Gäste. Wir wurden angestaunt und mit einer Aufmerksamkeit behandelt, als ob wir Abkömmlinge der Götter seien. Wir mußten fünf Tage bleiben, halb gezwungen und halb freiwillig, denn wir hatten uns wirklich einmal tüchtig auszuruhen, und vor uns lag noch ein weiter, weiter Weg.
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