Herr Sergius und seine Gefährten hatten sich sofort zur Belle-Roulotte begeben. Dort drängte sich eine dichte Menge in hellem Entzücken um John Bull, der sie mit seinen prächtigsten Grimassen regalierte. Da sie nie einen Affen gesehen hatten, bildeten sie sich wahrscheinlich ein, daß dieses vierhändige rothaarige Geschöpf zur menschlichen Rasse gehöre.
»Gehören sie doch dazu!« bemerkte Cornelia.
»Jawohl. und gereichen ihr zur Schande!« versetzte Herr Cascabel.
Dann besann er sich.
»Ich habe sogar unrecht gehabt,« fügte er hinzu, »diese Wilden Affen zu nennen! Sie stehen denselben in jeder Hinsicht nach und ich bitte dich deshalb um Verzeihung, mein kleiner John Bull!«
John Bull bedankte sich mit einem Purzelbaum. Aber als einer der Eingeborenen seine Hand ergreifen wollte, biß er ihn bis aufs Blut.
»Bravo, John Bull!. Beiße sie!. Beiße sie gehörig!« rief Xander.
Indessen hätte die Sache ein schlimmes Ende für den Affen nehmen können und sein Biß wäre ihm vielleicht teuer zu stehen gekommen, wenn die Aufmerksamkeit der Wilden nicht durch Jakos Erscheinen abgelenkt worden wäre, dessen Käfig man geöffnet hatte und der gravitätisch einherwatschelte.
In Neusibirien waren die Papageien ebensowenig bekannt wie die Affen. Nie hatte man einen Vogel dieser Art erblickt, einen Vogel mit solch buntem Gefieder, solch runden, schneebrillenförmigen Augen und so hakenartig gekrümmtem Schnabel.
Und welchen Eindruck Jako erst machte, als einige deutlich artikulierte Worte aus seinem Schnabel erklangen! Das ganze Repertoire des gesprächigen Vogels wurde erschöpft - zum starren Erstaunen der Eingeborenen. Ein redender Vogel!. Abergläubisch wie sie waren, warfen sie sich so erschrocken zur Erde, als ob diese Worte aus dem Munde ihrer Götzen gekommen wären. Und Herr Cascabel belustigte sich damit, seinen Papagei anzueifern.
»Nur zu, Jako!« rief er ermunternd. »Geniere dich nicht, Jako; sag diesen Dummköpfen deine Meinung!«
Und Jako gehorchte mit Vergnügen. Und er stieß ein solches Trompetengeschmetter aus, daß die Eingeborenen mit den Zeichen des größten Schreckens davonliefen. Wie herzlich da die »Familie«, wie ihr berühmtes Oberhaupt sie nannte, trotz ihrer Besorgnisse lachte!
»Ja!. ja!« sagte Herr Cascabel, ein wenig von seiner guten Laune wiederfindend; »es müßte doch mit dem Teufel zugehen, wenn es uns nicht gelingen sollte, mit dieser Herde von Einfaltspinseln fertig zu werden!«
Die Gefangenen waren allein geblieben, und da Tschu-Tschuk die Belle-Roulotte zu ihrer Verfügung zu lassen schien, konnten sie nichts besseres thun, als sich wieder in ihrer alten Wohnung zu installieren. Ohne Zweifel fanden die Neusibirier, daß dieselbe sich nicht mit ihren Löchern unterm Schnee messen könne.
Um die Wahrheit zu sagen, waren nur einige Gegenstände von geringerer Bedeutung aus dem Gefährt geraubt worden, aber auch das noch übrige Geld des Herrn Sergius, - eine Beute, welche Herr Cascabel nicht gesonnen war, selbst in der Form eines Lösegeldes fahren zu lassen. Einstweilen konnte man von Glück sagen, daß man den Salon, das Speisezimmer, die Schlafkammern der Belle-Roulotte wieder bewohnen durfte, statt sich in den ungesunden Raubtierhöhlen von Turkef aufhalten zu müssen. Von der Einrichtung fehlte nichts. Bettzeug, Küchengeräte und Konservenvorrat schienen nicht das Glück gehabt zu haben, den eingeborenen Herren und Damen zu gefallen. Wenn man, einer Gelegenheit zur Flucht harrend, auf der Kotelnii-Insel überwintern mußte, nun, so hatte man während der Zeit wenigstens ein freundliches Obdach.
Da man sie unbehindert gehen und kommen ließ, beschlossen Herr Sergius und seine Gefährten, sich mit den beiden Matrosen in Verbindung zu setzen, welche ein Schiffbruch auf die Liakhoff-Inseln verschlagen haben mochte. Vielleicht konnten sie irgend eine Verabredung mit denselben treffen, um Tschu-Tschuks Aufmerksamkeit zu täuschen und, sobald die Umstände sich günstiger anließen, die Flucht zu bewerkstelligen.
Man verwendete den Rest des Tages darauf, im Innern der Belle-Roulotte wieder alles an Ort und Stelle zu bringen. Ein tüchtiges Stück Arbeit! Und wie Cornelia, die ordnungliebende Hausfrau, sich ärgerte! Kayette, Napoleone und Clou-de-Girofle hatten bis zum späten Abend die Hände voll zu thun.
Nebenbei ist zu bemerken, daß Herr Cascabel, seitdem er bei sich beschlossen, Seiner Majestät Tschu-Tschuk einen schlimmen Streich zu spielen, all seine frühere, durch die letzten Schicksalsschläge so hart mitgenommene gute Laune wiedererlangt hatte.
Am nächsten Morgen machten Herr Sergius und er sich auf die Suche nach den beiden Matrosen. Letztere genossen vermutlich derselben Freiheit, welche man den neuen Ankömmlingen ließ. Sie waren in der That nicht eingekerkert und die Begegnung fand vor dem Eingang des von ihnen bewohnten Gelasses am äußersten Ende des Dorfes statt, ohne den geringsten Widerstand seitens der Eingeborenen hervorzurufen.
Diese Matrosen, von denen der eine fünfunddreißig, der andere vierzig Jahre zählte, waren moskowitischen Ursprungs. Ihre zerfetzten Pelzhüllen und Seemannskleider, ihre durch Hunger und Kälte verzerrten, hohläugigen Gesichter und langen, wirren Haare und Bärte gaben ihnen ein sehr elendes Aussehen. Trotzdem waren es gesunde, kräftig gebaute Männer, die gelegentlich tüchtige Dienste zu leisten vermocht hätten. Indessen schienen sie nicht sehr geneigt, mit den Fremden, deren Ankunft auf der Kotelnii-Insel sie bereits erfahren hatten, in Verbindung zu treten. Und doch hätte die Gleichheit ihrer Lage, der gemeinsame Wunsch, sich mit vereinten Kräften daraus zu befreien, sie der Familie Cascabel näher bringen müssen.
Herr Sergius redete die beiden Männer auf russisch an. Der ältere erklärte Ortik zu heißen, der jüngere Kirschef. Nach einigem Zaudern ließen sie sich herbei, ihre Geschichte zu erzählen.
»Wir sind Matrosen aus der Hafenstadt Riga,« sagte Ortik. »Vor einem Jahre schifften wir uns an Bord des Walfischfahrers »Seraski« ein, um dem Fange im nördlichen Eismeer obzuliegen. Zum Unglück vermochte unser Schiff zu Ende der günstigen Jahreszeit die Beringstraße nicht rechtzeitig zu erreichen, sondern blieb im Eise stecken, welches es nördlich von den Liakhoff-Inseln zertrümmerte. Die ganze Mannschaft, mit Ausnahme von Kirschef und mir, ging zu Grunde. Wir waren in ein Boot gesprungen und der Sturm schleuderte uns auf die neusibirischen Inseln, wo wir in die Gewalt der Eingeborenen gerieten.«
»Um welche Zeit?« fragte Herr Sergius.
»Vor zwei Monaten!«
»Und was für einen Empfang hat man Ihnen bereitet?«.
»Zweifellos einen ähnlichen wie Ihnen,« antwortete Ortik. »Wir sind die Gefangenen Tschu-Tschuks und er will uns nur gegen ein Lösegeld entlassen.«
»Und woher sollen wir eines nehmen?« warf Kirschef ein.
Ortik fügte in ziemlich rauhem Tone hinzu:
»Wenn Sie nicht etwa Geld haben. für sich und für uns. denn wir sind Landsleute, wenn ich nicht irre?.«
»Das sind wir,« antwortete Herr Sergius. »Aber das Geld, das wir besaßen, ist von den Eingeborenen gestohlen worden, und wir sind so völlig von Hilfsmitteln entblößt, wie Sie es nur immer sein können!«
»Um so schlimmer!« versetzte Ortik.
Darauf schilderten die beiden ihre Lebensweise. Jene enge, dunkle Höhle diente ihnen zur Wohnung und man ließ ihnen eine gewisse Freiheit, bewachte sie aber doch. Ihre Kleidung war zersetzt und sie hatten keine andere Nahrung als die gewöhnliche Nahrung der Eingeborenen, die ihnen kaum genügte. Im übrigen glaubten sie, daß die Überwachung beim
Anbruch der milderen Jahreszeit, wo ein Entweichen möglich wäre, viel schärfer werden würde.
»Da man sich dann bloß eines Fischerkanoes zu bemächtigen braucht, um das Festland zu gewinnen. so werden die Eingeborenen sicher mißtrauischer werden und uns vielleicht gar einsperren.«
Читать дальше