So aber blieb er zur großen Befriedigung seines Stammes am Leben, - was die Familie Cascabel um den Anblick der
Ceremonien brachte, welche die Beerdigung eines Herrschers begleiten. Nebenbei gesagt, ist das Wort Beerdigung nicht zutreffend, wenn es sich um eine indianische Totenfeier handelt. Denn der Tote wird einige Fuß über der Erde in der Luft aufgehängt. Auf dem Grunde seines Sarges liegen, als sollten sie ihm im Jenseits dienen, seine Pfeife, sein Bogen, seine Pfeile, seine Schneeschuhe und die mehr oder weniger kostbaren Pelze, die er im Winter trug. Und der Wind schaukelt ihn während seines ewigen Schlafes wie ein Kind in der Wiege.
Die Familie Cascabel verbrachte nur vierundzwanzig Stunden bei Fort Selkirk, verabschiedete sich dann von den Indianern und den Beamten und nahm eine ausgezeichnete Erinnerung an jenen ersten Aufenthalt am Ufer des Flusses mit sich fort. Sie mußte längs des Pelly-River stromaufwärts ziehen, auf einem ziemlich schwierigen Wege, den das Gespann nicht ohne Anstrengung zurücklegte. Endlich, am 27. Juli, siebzehn Tage nachdem sie Fort Selkirk verlassen, erreichte die Belle-Roulotte Fort Youkon.
XIII. Ein Einfall Cornelia Cascabels
Die Belle-Roulotte hatte die Fahrt vom Fort Selkirk nach Fort Youkon auf der rechten Seite des Flußufers zurückgelegt. Sie hatte sich in häufig wechselnder Entfernung von seinem Laufe gehalten, um den Umwegen zu entgehen, zu welchen das vielfach zerklüftete und von unwegsamen Lagunen unterbrochene Ufer sie genötigt haben würde. Wenigstens gilt dies von der rechten Flußseite, denn auf der linken säumen mittelhohe, nach Nordwesten ziehende Hügel das Thal ein. Vielleicht wäre es auch unbequem gewesen, gewisse kleine Nebenflüsse des Youkon, unter anderen den Stewart, auf dem keine Fähre den Dienst versieht, zu passieren, wenn nicht während der heißen Jahreszeit eine Furt mit blos knietiefem Wasser den Übergang gestattet hätte. Und ohne Kayettens Hilfe wären Herr Cascabel und die Seinigen auch da noch in großer Verlegenheit gewesen. Kayette kannte dieses Flußthal gut und konnte ihnen somit die Übergänge zeigen.
Es war wirklich ein glücklicher Zufall, der ihnen diese junge Indianerin zur Führerin gegeben. Und sie ihrerseits war so froh, ihren neuen Freunden dienen zu können, so zufrieden, sich im Kreise dieser neuen Familie zu sehen, so gerührt von jenen mütterlichen Liebkosungen, deren sie sich schon auf ewig beraubt geglaubt hatte.
Das Land hatte in seinem mittleren Teile noch Wälder und hie und da kleine Anhöhen aufzuweisen, aber es konnte sich hier nicht mehr mit der Umgegend von Sitka messen.
In der That läßt die Strenge eines Klimas, welches acht Monate lang einem Polarwinter ausgesetzt ist, keine rechte Vegetation mehr aufkommen. Die in diesen Regionen anzutreffenden Baumgattungen gehören, mit Ausnahme einiger verkümmerter Pappeln, zur Familie der Fichten und Birken. Und dann findet man einige seltene Gruppen jener trübseligen, dünnen und farblosen Weiden, welche die vom Eismeere herwehenden scharfen Winde so rasch entblättern.
Da die Jagd auf dem Wege vom Fort Selkirk nach dem Fort Youkon ziemlich ausgiebig gewesen, hatte man die mitgenommenen Vorräte nicht zum Zwecke der täglichen Verköstigung anzurühren gebraucht. Hafen, soviel man wollte! Vielleicht begannen die Gäste sogar insgeheim derselben müde zu werden. Indessen hatte man vermittelst gebratener Gänse und Wildenten Abwechslung in den Speisezettel zu bringen vermocht, gar nicht zu reden von den Eiern dieses Geflügels, welche Xander und Napoleone geschickt aufzuspüren wußten. Und Cornelia verstand es - sie war sogar stolz darauf -, die Eier auf so viele Arten zuzubereiten, daß sie immer einen neuen Leckerbissen bildeten.
»Hierzulande lebt sich's wirklich gut!« rief Clou-de-Girofle eines Tages aus, indem er ein großes Gansgerippe abnagte. »Schade, daß die Gegend nicht im Centrum von Europa oder Amerika liegt!«
»Wenn sie inmitten von bewohnten Ländern läge,« antwortete Herr Sergius, »so würde das Wild wahrscheinlich seltener darin sein.«
»Wenn nicht etwa.« erwiderte Clou.
Ein Blick seines Gönners ließ ihn verstummen und ersparte ihm die Dummheit, die er sicher gesagt haben würde.
Wenn die Ebene wildreich war, so muß man auch erwähnen, daß die Creeks, die Rios, die sich in den Youkon ergossen, vorzügliche Fische lieferten insbesondere prächtige Hechte, welche Xander und Clou mit der Angel fingen. Es kostete sie nur die Mühe oder vielmehr das Vergnügen, ihrer Leidenschaft fürs Fischen zu fröhnen, ohne daß sie je einen Sou oder Cent dafür auszugeben brauchten.
Aber die Ausgaben beunruhigten den jungen Xander überhaupt nicht sonderlich. War doch die Zukunft der Cascabels dank seiner Umsicht gesichert! Besaß er doch seinen kostbaren Goldklumpen! Hatte er ihn doch in einem nur ihm bekannten Winkel des Wagens versteckt, jenen wertvollen Kiesel, den er im Cariboo-Thale gefunden! Ja, und bisher hatte der Bursche Selbstbeherrschung genug besessen, um nichts davon zu sagen und geduldig auf den Tag zu warten, wo er seinen Klumpen in schöne Goldstücke verwandeln konnte! Welche Freude es dann sein würde, seinen Reichtum zur Schau zu stellen! Nicht etwa, als ob er den selbstsüchtigen Gedanken gehabt hätte, ihn für sich zu behalten! Bewahre! Er gedachte ihn seinen Eltern zu übergeben; es war ein Vermögen, welches den in der Sierra Nevada erlittenen Verlust reichlich ersetzen würde!
Als die Belle-Roulotte nach einer Reihe sehr heißer Tage Fort Youkon erreichte, waren ihre sämtlichen Bewohner gründlich ermüdet, weshalb man beschloß, daß die Rast an diesem Orte eine volle Woche währen solle.
»Es ist das um so thunlicher,« bemerkte Herr Sergius, »als das Fort nicht über zweihundert Meilen von Port-Clarence entfernt ist. Heute haben wir erst den siebenundzwanzigsten Juli, und es wird nicht vor zwei, vielleicht nicht einmal vor drei Monaten möglich sein, die Meerenge auf dem Eise zu passieren.
»So ist's,« antwortete Herr Cascabel, »und da wir somit Zeit dazu haben: Halt!«
Dieser Entschluß wurde mit ebensoviel Befriedigung von dem zwei-, wie von dem vierfüßigen Personal der Belle-Roulotte aufgenommen.
Die erste Gründung des Fort Youkon datiert vom Jahre 1847 her. Dieser Posten, welcher der entfernteste von allen westlichen Besitzungen der Hudsonbai-Gesellschaft ist, liegt dicht unterm Polarkreise. Da er sich indessen auf alaskischem Gebiete befindet, ist die Gesellschaft genötigt, ihrer Rivalin, der russisch-amerikanischen Gesellschaft eine jährliche Entschädigung zu zahlen.
Erst im Jahre 1864 unternahm man die gegenwärtigen Bauten, welche von einer Palissade umgeben sind; dieselben waren noch kaum vollendet, als die Cascabels Fort Youkon erreichten und einige Tage dort zu verweilen beschlossen.
Die Agenten boten ihnen bereitwilligst ihre Gastfreundschaft innerhalb ihrer Befestigungen an. In den Höfen und Schuppen fehlte es nicht an Raum. Indessen dankte Herr Cascabel ihnen mit einigen pomphaften und sehr verbindlichen Phrasen; er zog es vor, seine bequeme Belle-Roulotte nicht zu verlassen.
Im ganzen genommen bestand die Besatzung des Forts blos aus cirka zwanzig Agenten, zumeist Amerikanern, nebst einigen zu ihrem Dienste bestimmten Indianern, während die Eingebornen an den Ufern des Youkon nach Hunderten zählten.
In der That befindet sich dort, im Mittelpunkte Alaskas, der gesuchteste Markt für Pelz- und Kürschnerwaren, wo die verschiedenen Stämme der Provinz zusammenkommen: die Kotch-a-Koutchins, die An-Koutchins, die Tatanchoks, die Tananas, und besonders auch jene Indianer, welche den wichtigsten Teil der Bevölkerung bilden, die an den Ufern des Flusses wohnhaften Co-Youkons.
Wie man sieht, ist die Lage des Forts sehr vorteilhaft für den Warenaustausch, da es sich in dem Winkel erhebt, welchen der
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