– Ja, das ist die Flagge des Herrn Kymbale.
– O, ein wackerer, liebenswürdiger Mann, dieser Journalist, bemerkte Max Real, der, so viel ich habe sagen hören, die Gelegenheit benutzt, vom Lande zu sehen, so viel…
– Ganz recht, mein Kind, und die »Tribune« bringt fast täglich Berichte von seiner Feder.
– Da werden sich seine Leser nicht zu beklagen haben, und wenn er etwa noch tief nach Oregon oder Washington hineinkäme, dürfte er diesen merkwürdige Dinge zu erzählen haben.
– Er ist aber ziemlich weit zurückgeblieben.
– Das hat bei unserem Spiele nicht viel zu bedeuten, antwortete Max Real. ein einziger glücklicher Wurf, und man überholt die anderen Spieler.
– Ja freilich, das ist wohl möglich.
– Wer ist nun die Flagge hier, die scheinbar ganz traurig noch auf dem vierten Felde steht?
– Das ist Hermann Titbury.
– Ach, der schreckliche Mensch! rief Max Real. Der wird schön wüthen, weil er der letzte… und der gute letzte ist!
– O, er ist zu bedauern, Max, wirklich zu bedauern, denn er hat auf zweimaliges Würfeln nur vier Schritte vorwärts thun können, erst weit hinein nach Maine und von da nach dem entlegenen Utah!«
Heute, am 1. Juni, konnte noch niemand wissen, daß das unbeliebte Ehepaar nach seinem Eintreffen in Great Salt Lake City alles mitgeführten Reisegeldes beraubt worden war.
»Und doch beklage ich ihn nicht! sagte Max Real. Nein, das geizige Paar ist zu unsympathisch, und ich bedauere nur, daß es bisher noch keinen tüchtigen Einsatz zu bezahlen gehabt hat…
– Du vergißt, daß dem Manne in Calais eine hohe Geldbuße auferlegt worden ist, bemerkte Frau Real.
– Desto besser, und diese Summe wird der Halsabschneider nicht erst haben stehlen können! Ich wünsche wahrhaftig, daß für ihn wiederum die geringste Augenzahl, eins und eins, geworfen wird Damit käme er nach dem Niagara, wo ihm der Brückenzoll bare tausend Dollars kostete!
– Du bist grausam gegen die Titburys, Max.
– Es sind auch widerwärtige Menschen, liebe Mutter, die nur durch Wucher reich geworden sind und kein Mitleid verdienen. Das fehlte gerade noch, daß der Zufall sie den freigebigen Hypperbone beerben ließe!
– Möglich ist ja alles, antwortete Frau Real.
– Doch, sage mir, ich sehe ja die Flagge des berühmten Hodge Urrican gar nicht.
– Die orangefarbene?… Nein, sie weht jetzt nirgends, denn das Mißgeschick hat den Commodore nach dem Thale des Todes verwiesen, von wo er nach Chicago zurückkehren muß, um die Partie von vorn anzufangen.
– Es ist hart für einen Seeoffizier, seine Flagge streichen zu müssen! rief Max Real. Da wird er gewiß geschimpft und gewettert haben, daß sein Schiff vom Kiel bis zu den Masttoppen gezittert hat!
– Das ist wohl möglich, Max.
– Und wann wird für den X. K. Z. gezogen?
– In neun Tagen.
– Es ist doch ein närrischer Einfall des Verstorbenen gewesen, den Namen des letzten der Sieben zu verheimlichen!«
Max Real war nun über die Sachlage vollständig unterrichtet. Er wußte, daß er infolge der letzten Entscheidung durch die Würfel, wonach er Virginia aufzusuchen hatte, die dritte Stelle einnahm, und ihm Tom Crabbe als erster und X. K. Z. als zweiter voraus waren. Freilich sollte für diese erst noch zum drittenmale gewürfelt werden.
Darüber ließ er sich, was seine Mutter und Tommy davon auch denken mochten, jedoch kein graues Haar wachsen. Die Zeit des Aufenthaltes in Chicago verbrachte er meist in seinem Atelier, wo er die beiden Landschaften vollendete, die in den Augen eines amerikanischen Bilderliebhabers mit Rücksicht auf die besonderen Verhältnisse, unter denen sie entstanden waren, einen um so höheren Werth gewinnen mußten.
So kam es, daß Max Real in Erwartung seiner Wiederabreise sich ebenso um den Match selbst, wie um die Personen, die als daran Betheiligte im Lande hin und her fuhren, blutwenig kümmerte. Er selbst spielte in der Partie ja eigentlich nur eine Rolle, um seiner vortrefflichen Mutter kein Herzeleid zu bereiten, verhielt sich der ganzen Geschichte gegenüber aber ebenso gleichgiltig wie Lissy Wag, die nur um Jovita Foley’s willen an dem Spiele theilnahm.
Nichtsdestoweniger bekam er während seines Aufenthaltes doch Kenntniß von dem Ausfall des dreimaligen Würfelns im Auditorium. Für Hermann Titbury war das wirklich am 2. Juni ein Unglückswurf gewesen, denn dieser nöthigte ihn, sich nach dem neunzehnten Felde, dem Staate Louisiana zu begeben, wo sich das Gasthaus befand, in dem er bleiben mußte, bis für die anderen zweimal gewürfelt worden war. Mit dem Würfelfall am 4. konnte Harris T. Kymbale sehr zufrieden sein, denn dieser führte ihn nach dem dreiunddreißigsten Felde Norddakota, und stellte dem Reporter damit eine höchst interessante Reise in Aussicht.
Am 6. Juni um acht Uhr früh würfelte der Notar Tornbrock endlich für Lissy Wag. An diesem Morgen begab sich Max Real, getrieben von dem Interesse an dem Schicksale des jungen Mädchens, selbst nach dem Auditorium, von dem er höchst niedergeschlagen wieder heimkam.
Durch den Wurf von sieben, hier auf vierzehn zu verdoppelnden Augen war Lissy Wag vom achtunddreißigsten Felde, dem Staate Kentucky, nach dem zweiundfünfzigsten gewiesen worden. Hier, im Staate Missouri, mußte die unglückliche Partnerin aber im »Gefängnisse« warten, bis ein anderer, zufällig hierher verschlagener Partner ihre Stelle einnahm.
Selbstverständlich blieben die Ergebnisse des dreimaligen Würfelns nicht ohne Rückwirkung auf die Kreise der Spieler oder Wettenden. Tom Crabbe und Max Real wurden schärfer als je verlangt. Für sie eröffneten sich die besten Aussichten, und es war wirklich schwierig, zwischen den beiden Günstlingen des Glückes zu wählen.
Wie bekümmert fühlte sich Max Real, als er, zu seiner Mutter zurückgekehrt, die gelbe Flagge nach Missouri verpflanzen mußte, das nach dem Willen des excentrischen Verstorbenen und für Lissy Wag nach der Laune des Geschicks zum Gefängnisse der Spieler verwandelt war. Er suchte seinen Kummer darüber auch gar nicht zu verhehlen. Das Gefängniß und der Schacht waren die unglücklichsten Plätze, die einem Theilnehmer am Match nur zufallen konnten… sogar noch unglücklicher als der im Thale des Todes, dessen Opfer Hodge Urrican geworden war. Der Commodore erlitt ja nur eine Verzögerung, konnte dann sofort aber weiter mitspielen; wer konnte dagegen wissen, ob der Match Hypperbone nicht überhaupt zu Ende ging, ehe die Gefangene wieder befreit würde?
Am 7. Juni schickte sich Max Real endlich an, Chicago zu verlassen. Seine Mutter wiederholte alle ihre Ermahnungen und warnte ihn besonders, sich unterwegs irgendwo aufhalten zu lassen.
»Und wenn die Depesche, sagte sie, die Du in Richmond erhalten wirst, liebes Kind, Dich nicht gerade ans Ende der Welt hinausschickt…
– Davon kehrt man doch zurück, Mutter, kehrt man allemal zurück, doch aus dem Gefängnisse!… Gestehe nur, daß die ganze Sache höchst lächerlich ist. Wie ein gewöhnliches Rennpferd Gefahr zu laufen, um eine halbe Nasenlänge geschlagen zu werden… wahrlich, das ist albern!
– Nein, mein Kind, o nein! Reise nur ab und Gott sei mit Dir!«
Die würdige Dame, die sich jetzt tief erregt fühlte, sagte diese Dinge in vollem Ernst.
Selbstverständlich hatte es Max Real während seines Aufenthaltes in Chicago kaum abwenden können, von Maklern, Reportern und Wettlustigen aufgesucht zu werden, die sich nach dem Hause in der South Halsted Street drängten. Das war ja auch gar nicht zu verwundern; man taxierte ihn ja gleichhoch mit Tom Crabbe… Welche Ehre!
Seiner Mutter gegenüber hatte sich Max Real natürlich verpflichtet, nach Virginia den kürzesten Weg zu wählen. Doch wenn er nur am 12. in Richmond war – wer hätte ihn getadelt, wenn er jetzt der geradesten Linie eine gebrochene oder gebogene Bahnlinie dahin vorzog? Jedenfalls hatte er sich aber vorgenommen, die Staaten, die er berühren mußte, um Virginia und dessen Hauptstadt Richmond zu erreichen, nämlich Illinois, Ohio, Maryland und Nordvirginia, dabei nicht zu verlassen.
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