Wir geben hier den vom 11. Juni, vier Tage nach der Abfahrt, datierten Brief wieder, den Frau Real erhielt und der sie kurz mit den Vorfällen auf der Reise bekannt machte. Abgesehen von persönlichen Bemerkungen über die berührten Länder, die flüchtig besuchten Städte und zufälligen Begegnungen, gab dessen weiterer Inhalt ihr doch manches zu denken und erfüllte sie mit einiger Unruhe über die Seelenverfassung ihres Sohnes.
»Richmond, Va., am 11. Juni.
Meine liebe, gute Mutter!
Da bin ich denn am Ziele angelangt – nicht an dem des großen Ochsenkopfes von Partie, doch an dem, das mir der dritte Würfelfall zuwies. Nach dem Fort Riley in Kansas, nach Cheyenne in Wyoming, Richmond in Virginia! Beunruhige Dich also nicht über das Wesen, das Du auf Erden am meisten liebst und das Deine Liebe aufrichtig erwiedert… ich bin wohl und munter an meinem Posten!
Oh, könnte ich doch dasselbe von der armen Lissy Wag sagen, die das feuchte Stroh des Kerkers in jener Stadt Missouris erwartet! Wenn ich in ihr, liebe Mutter, auch nur eine Rivalin, doch eine reizende und interessante Rivalin zu sehen habe, so verhehle ich Dir doch nicht, daß mich ihr trauriges Los aufs tiefste betrübt. Je mehr ich an den beklagenswerthen Würfelfall – sieben durch drei und vier, und diese zu verdoppeln – denke, desto schmerzlicher fühl’ ich mich davon berührt, desto mehr beklage ich, daß die gelbe Flagge, die von der unerschrockenen Jovita Foley für ihre Freundin bisher so tapfer hoch getragen worden war, auf der Mauer jenes Gefängnisses aufgepflanzt werden muß!… Und für wie lange wird sie dort wohl wehen?…
Ich bin also am Morgen des 7. abgefahren. Die Bahn verläuft am Südufer des Michigan und gewährt oft einen hübschen Ausblick nach dem See. Doch, unter uns, unseren See kenne ich ja genügend und das Land in seiner Umgebung nicht minder. In diesem Theile der Vereinigten Staaten, ganz wie in Canada, ist es übrigens gestattet, etwas blasiert zu denken über die Seen, über ihr blaues Wasser, das nicht immer blau ist, wie über ihren schlummernden Spiegel, der keineswegs immer schlummert! Wir können einige davon abgeben, und ich frage mich, warum das an Binnenseen so arme Frankreich uns nicht einen nach seiner Wahl abgekauft hat, wie wir 1803 Louisiana von ihm erstanden haben.
Immerhin hab’ ich nach rechts und links durch das Loch in meiner Palette hinausgeguckt, während das Murmelthier von Tommy neben mir in tiefem Schlafe lag.
Sei getrost, liebste Mutter, ich habe Dein Negerbürschchen nicht geweckt. Vielleicht hat er geträumt, ich gewönne genug Millionen Dollars, um ihn in die härteste Sclaverei zurückzustoßen. Stören wir ihn also nicht in seinem Glücke.

Washington. – Das weiße Haus.
Ich folge zum Theil demselben Wege, den Harris T. Kymbale eingehalten hat, als er sich von Illinois nach New York, von Chicago nach dem Niagara begab. In Cleveland City in Ohio eingetroffen, verlasse ich ihn aber und weiche nun nach Südwesten davon ab. Eisenbahnen giebt es übrigens überall. Ein Wanderer wüßte kaum, wohin er neben ihnen den Fuß setzen sollte.
Verlange nicht von mir, liebe Mutter, Dir die Abfahrts-und Ankunftszeiten bei dieser Reise aufzuzählen. Das hätte für Dich kein weiteres Interesse. Ich werde einige Oertlichkeiten anführen, wo unsere Locomotive stillstehend ihre Dampfwolken ausgestoßen hat. Natürlich nicht alle Orte. In dieser industriereichen Gegend giebt es deren so viele wie Zellen im Bienenstocke. Also nur die bedeutendsten.

So weit das Auge reicht, nichts als Pumpengerüste…. (S. 347)
Von Cleveland aus hab’ ich mich nach Warren begeben, einem wichtigen Platze Ohios, der an Petroleumquellen so reich ist, daß selbst ein Blinder, wenn er nur eine Nase hätte, sie an ihrem widerlichen Geruche erkennen müßte. Hier kann man fürchten, daß die ganze Luft anbrennt, wenn einer nur ein Zündhölzchen anstreicht. Und dann, welches Land! So weit das Auge reicht, nichts als Pumpengerüste und überbaute Quellenmündungen, selbst auf den Hügelabhängen und den Ufern der Creeks. Alles das sind Lampen, Lampen von fünfzehn bis zwanzig Fuß Höhe, denen es nur an einem Dochte fehlt.
Du siehst, liebe Mutter, das Land hier hält mit unseren poesievollen Prairien des Fernen Westens keinen Vergleich aus, noch weniger mit dem wilden Thalgelände von Wyoming, den ausgedehnten Fernsichten von den Felsenbergen und nicht mit den tiefen Horizonten der großen Seen und der Oceane. Industrielle Schönheiten… recht gut; künstlerische Schönheiten… noch besser, natürliche Schönheiten aber gehen doch über alles!
Ich gestehe Dir jetzt, liebe Mutter, daß ich, hätte mich beim letzten Auswürfeln das Glück begünstigt… begünstigt durch die Wahl des Landes… Dich so gern mitgenommen hätte. Ja, verehrte Frau Real, zum Beispiel nach dem Far West. Ich sage nicht, daß mir die Alleghanykette nicht das und jenes hübsche Bild vor Augen geführt hätte, doch vom Standpunkte des Malers betrachtet, läßt sich das nicht mit Montana, mit Colorado, Oregon oder Californien vergleichen.
Ja, wir wären zusammen gereist, und wenn wir unterwegs zufällig – wer kann das wissen? – Lissy Wag getroffen hätten… Nun, Du hättest sie wenigstens kennen gelernt. Freilich sitzt das arme Mädchen jetzt im Gefängnisse oder ist wenigstens dahin auf dem Wege.
O, wenn sie doch schon beim nächsten Auswürfeln ein Titbury, ein Crabbe oder ein Urrican entsetzen müßte! Müßte der schreckliche Commodore nach so vielen Prüfungen gar noch das zweiundfünfzigste Feld einnehmen… ich glaube, sogar den getreuen Turk verschonte er nicht in seiner Tigerwildheit!… Eine Lissy Wag, liebe Mutter, hätte doch – und auch das wäre noch schlimm genug – höchstens nach dem Gasthause oder dem Labyrinth verwiesen werden sollen, jedoch der Schacht, der schreckliche Schacht… das Gefängniß, das entsetzliche Gefängniß, solche Plätze schickten sich blos für das stärkere Geschlecht! Nein, das Schicksal hat ihr gegenüber entschieden alle Galanterie vergessen.
Doch wir wollen nicht umherirren und nicht abschweifen, sondern weiterfahren. Von Warren sind wir längs des Ring River und nach Ueberschreitung der Grenze von Ohio in Pennsylvanien angelangt. Die erste bedeutende Stadt war hier Pittsburg am Ohio mit ihrem Nebenorte Alleghany, der Eisen– oder wie man sie zu nennen pflegt – der Rauchstadt, trotz der Tausende von Meilen unterirdischer Rohre, durch die ihr Naturgas zugeführt wird. Sie ist nämlich erschreckend schmutzig. In wenigen Minuten bekommt man daselbst sein schwarzes Gesicht und schwarze Hände… Hände und Gesicht eines Negers!… O, die frischen, klaren und sauberen Landschaften von Kansas!
Ich habe ein Glas mit etwas Wasser vor mein Fenster gestellt, und am nächsten Tage hatte ich darin… Tinte, dieselbe chemische Brühe, womit ich Dir, liebe Mutter, heute schreibe.
Aus einer Zeitung ersehe ich, daß das Auswürfeln für Urrican am 8. unseren Blitze schleudernden Commodore nur nach Wisconsin verweist. Leider kann er durch den nächsten Wurf, selbst wenn dabei zwölf Augen herauskämen und diese obendrein zu verdoppeln wären, noch nicht bis zum zweiundfünfzigsten Felde gelangen, wo die junge Gefangene schmachtet…
Nun, ich bin also weiter südöstlich gefahren. An jeder Seite der Bahnlinie lagen zahlreiche Stationen… Städte, Flecken und Dörfer, in der ganzen Gegend aber kein Stückchen Erde, wo die liebe Natur allein geherrscht hätte. Ueberall die Hand des Menschen und seine geräuschvolle Werkstatt! In unserem Illinois ist das ja nicht viel besser, und selbst Canada leidet keine Ausnahme. Es wird noch die Zeit kommen, wo die Bäume aus Metall, die Wiesen aus Filz und der Sand am Meere aus… Feilspänen besteht. Das nennt man dann ‘Fortschritt’.
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