Von hier aus verzweigen sich die vielfachen Seitengänge, deren gewundenen Verlauf man kennen muß, um nicht in die Gefahr zu kommen, sich zu verirren, wenn man etwa aus Sparsamkeit auf die Begleitung eines Führers verzichtet hatte. Es giebt nirgends ein verwickelteres Labyrinth, auch die von Lemnos und Kreta nicht ausgenommen.
Durch einen langen, schmalen Gang erreichten die Touristen hierauf einen der ausgedehntesten unterirdischen Räume der Mammuthhöhlen, der den Namen der Gothischen Kirche erhalten hat.
Der gothischen?… Zeigt dieses unterirdische Bauwerk wirklich den charakteristischen Spitzbogenstil der Gothik? – Damit ist es zwar nicht so genau zu nehmen, doch bleibt es trotzdem wunderbar schön mit den Stalagmiten und Stalaktiten, die von seinem Deckengewölbe herabhängen, durch die merkwürdig gewundenen Säulen, die das Dach tragen, durch die Gestaltung der aufeinandergeschichteten Felslager, deren Krystallgebilde im Lichte flimmern, und durch die natürliche und doch so phantastische Vertheilung des Gesteins, das hier einen Altar mit allem liturgischen Schmucke, dort eine Empore mit einer Orgel darstellt, deren Pfeifen bis zu den Rippen der Deckenwölbung hinausreichen, und dort wieder einen Balkon oder eine Art Kanzel bildet, von wo aus schon mehrfach zufällig anwesende Geistliche vor einer Gemeinde von fünf-bis sechstausend Gläubigen gepredigt haben.
Selbstverständlich theilte die Gesellschaft von Ausflüglern das Entzücken Jovita Foley’s, und überall wurden unwillkürliche Ausrufe der Bewunderung laut.
»Nun, Lissy, bedauerst Du unsere Reise?
– Nein, Jovita, hier ist es überraschend schön!
– Sagst Du Dir aber auch, daß alles das das Werk der Natur ist, daß keine Menschenhand diese Grotten hätte aushöhlen können, daß wir uns tief in den Eingeweiden des Erdbodens befinden?
– Ja – und ich erschrecke nur, antwortete Lissy Wag, bei dem Gedanken, daß man sich hier verirren könnte.
– O, das glaub ich Dir gern, mein Herzchen, Du siehst uns schon beide in den Mammuthhöhlen verloren, so daß wir das Eintreffen des Telegramms von dem guten Herrn Tornbrock verfehlen, nicht wahr, Schatz?…«
Eine halbe Lieue war schon von der Eingangsöffnung bis zur Gothischen Kirche zurückzulegen gewesen. Im weiteren Verlaufe des Besuches wurde es sehr häufig nöthig, sich zu bücken, zuweilen sogar durch die engen und niedrigen Gänge, die nach dem Saale der Gespenster führen, fast zu kriechen. Hier fühlte sich Jovita Foley aber schwer enttäuscht, da sie keine der geisterhaften Erscheinungen sah, die ihre Phantasie dieser tiefen, finsteren Höhle angedichtet hatte.
Der Saal der Gespenster dient in Wirklichkeit als ein Platz zum Ausruhen. Er ist durch Fackelschein gut erleuchtet und enthält ein wohlversorgtes Büffet, wo schon das für die Bewohner des Mammoth Hotel bestimmte Frühstück bereit stand.
Dieser Saal sollte eigentlich das Sanatorium heißen, denn hierher begeben sich nicht selten Kranke, die der Atmosphäre der kentuckyschen Grotten eine besondere Heilkraft zuschreiben. Auch heute hatten sich deren wohl zwanzig versammelt, die sich jetzt an Tischen vor dem riesigen Skelet eines Mastodons niederließen, von dem die weiten Erdhöhlen jedenfalls den Namen Mammuth erhalten haben.
Hier endete der erste Theil der Besichtigung der Grotten, deren Besuch fortgesetzt werden sollte, wenn die Touristen erst noch in einer kleinen Kapelle, gleichsam einer Miniaturnachbildung der Gothischen Kirche, Halt gemacht hätten. Der Besuch endigt vor einem bodenlosen Abgrunde, in den die Führer angezündetes Papier zu werfen pflegen, um die schauerliche Tiefe zu beleuchten, vor dem Bottomleß-Pit, dessen ausgehöhlte Wand den sogenannten Teufelsstuhl bildet, an den sich – das Gegentheil wäre weit merkwürdiger – so manche Sage knüpft.
Nach dem immerhin ermüdenden Wege ließen sich die Touristen gar nicht bitten, wieder nach der Galerie zurückzukehren, die nach dem Eingange zu den Grotten führt, und hierher noch lieber, als nach einem anderen Ausgange durch den Dom von Ammath, der zwar auch ziemlich in der Nähe des Hotels liegt, doch nur auf langem Umwege zu erreichen ist.
Eine vorzügliche Mahlzeit und eine Nacht ungestörter Ruhe gaben den beiden Freundinnen für den morgigen Ausflug die nöthigen Kräfte wieder.
Der Besuch dieser wunderbaren Höhlen – ein Spaziergang durch die verzauberte Welt von Tausend und einer Nacht – ohne dabei Dämonen oder Gnomen zu begegnen, lohnt übrigens reichlich die damit verbundene Anstrengung, und Jovita Foley gestand auch gerne zu, daß das sich hier bietende Schauspiel die Grenzen der menschlichen Phantasie überschreite.
Die energische kleine Person legte denn auch fünf Tage hintereinander Proben einer Ausdauer ab, woran die der anderen Touristen, selbst die der Führer, nicht heranreichte; sie bestand darauf, alles zu sehen, was man bisher von den berühmten Grotten kannte, und bedauerte nur, nicht auch bis zu deren unbekanntem Theile vordringen zu können. Was sie aber that, konnte Lissy Wag nicht ausführen, und diese mußte deshalb schon am dritten Tage bitten, sie mit weiterer Anstrengung zu verschonen. Sie war ja auch erst unlängst ernstlich krank gewesen und durfte sich nicht zu viel zumuthen, um an der Fortsetzung der Reise nicht gehindert zu werden.
Die letzten Ausflüge machte Jovita Foley also ohne die Begleitung Lissy Wag’s.
So besuchte sie noch die Höhle des Riesendomes, deren Decke sich in einer Höhe von fünfundsiebzig Toisen (146 1/ 4, Meter) ausspannt, das Sternenzimmer, dessen Wände mit Diamanten und anderen Edelsteinen, die im Fackelscheine erglänzen, besetzt zu sein scheinen, ferner die Clevelandallee, deren Seiten wie mit seinen Spitzen und mineralischen Blüthen verziert sind, den Ballsaal mit seinen von einer weißlichen Ausschwitzung schneeähnlichen Mauern, die Felsenberge, eine Anhäufung von Felsblöcken und hohen Pics bei deren Anblick man glauben möchte, daß die Bergketten von Utah und Colorado sich bis ins Innere der Erde fortsetzten, und endlich die Feengrotte mit ihren reichen, von unterirdischen Quellen gebildeten sedimentären Formationen, mit Bogen, Pfeilern, selbst einem riesenhaften Baume, einer Palme aus Stein, die bis zur Deckenwölbung dieses vier Lieues vom Haupteingange der Mammuthhöhlen gelegenen Saales emporragt.
Und welche nie verblassende Erinnerung mußte die unermüdliche Besucherin davon mitnehmen, als sie nach Durchschreitung des Portals des Domes von Goran in einem Boote den Lauf des Styx hinunterglitt, der sich wie ein Jordan der Unterwelt zuletzt in das Todte Meer ergießt.
Wenn es wahr ist, daß im Wasser des biblischen Flusses kein Fisch leben kann, so liegt das anders bezüglich dieses unterirdischen Sees. Hier fängt man massenhaft Siredonen und Cypronidonen, deren optischer Apparat völlig verkümmert ist, wie der einzelner augenloser Arten, die in mehreren Gewässern Mexikos vorkommen.
Das sind die unvergleichlichen Wunder dieser Grotten, die bis jetzt nur einen Theil ihrer Geheimnisse enthüllt haben. Wer weiß, welche Merkwürdigkeiten sie noch enthalten, und vielleicht entdeckt man dereinst gar eine ganze, nie geträumte Welt in den Eingeweiden der Erde.
Endlich schlugen die letzten Stunden der fünf Tage, die Jovita Foley und ihre Gefährtin bei den Mammuthhöhlen zubringen sollten. Am 6. Juni mußte die Depesche im Comptoir des Hôtels selbst eintreffen.
Bei dem Interesse, das die hier wohnenden Touristen der fünften Partnerin entgegenbrachten, verging der Vormittag des nächsten Tages gewiß unter fieberhafter Spannung… einer Ungeduld, von der Lissy Wag vielleicht als einzige nicht gar viel empfand.
Bei der Tafel am heutigen Abend wiederholten sich die Toaste des ersten Tages nur umso lauter und wärmer. Urkräftig erschallten die Hurrahs, als John Hamilton, entsprechend der von den Gouverneuren geübten Gepflogenheit, Frauen in ihren Generalstab aufzunehmen, Lissy Wag zum Oberst und Jovita Foley zum Oberstlieutenant in der Miliz von Illinois ernannte.
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