Dann flog die Waggonschlange mit Windeseile dahin und führte die Passagiere schnell durch den südlichen Theil von Illinois. Von Kairo, fast an der Grenze von Tennessee, aus hatte Tom Crabbe dann die nach New Orleans führende Linie benutzt, während der sechste Partner und sein Begleiter auf die übergingen, die der Grenze von Mississippi und Alabama folgt und in Mobile endigt. Die bedeutendste Stadt, die sie dabei berührten, war Jackson in Tennessee, das nicht mit den gleichnamigen Städten in den Staaten Mississippi, Ohio, Californien und Michigan zu verwechseln ist. Jenseits der Station State Line überschritt hierauf der Zug am Nachmittag des 12. die Grenze von Alabama, etwa hundert Meilen (160 Kilometer) von seinem Endziele.
Der Leser kann sich ja denken, daß der Commodore Urrican nicht reiste, um zu reisen, sondern um in kürzester Frist und wenigstens zum bestimmten Zeitpunkte an dem ihm vorgeschriebenen Platze einzutreffen. Jede Anwandlung, die einen Touristen unterwegs aufhält, war ihm also fremd. Die Merkwürdigkeiten des Landes, die sich bietenden Aussichten, die Dörfer, Städte und alles dergleichen, hatten für einen alten Seebären auch wirklich keinen Reiz – und mit Turk lag das nicht anders.
Um zehn Uhr abends hielt der Zug im Bahnhof von Mobile; er hatte die lange Strecke ohne den geringsten Unfall zurückgelegt. Es verdient hier hervorgehoben zu werden, daß Hodge Urrican auch nicht ein einzigesmal Gelegenheit gefunden hatte, auf die Maschinenführer, die Heizer, die Conducteure oder sonstige Bahnbeamte, ja nicht einmal auf seine Reisegenossen zu schelten.
Uebrigens verheimlichte er gar nicht, wer er wäre, und der ganze Zug wußte, daß er in der aufbrausenden Persönlichkeit den sechsten Partner des Match Hypperbone beförderte.
Der Commodore ließ sich nach einem nahe dem Hafen gelegenen Hôtel führen. Heute war es zu spät, nach einem Schiffe Umschau zu halten. Morgen wollten Hodge Urrican mit Tagesanbruch sein Zimmer und Turk das seinige verlassen, und wenn sich ein Schiff fand, das zur Abfahrt nach der Straße von Florida fertig war, wollten sie noch am nämlichen Tage weiterreisen.
Beim Sonnenaufgang am nächsten Tage trotteten beide zusammen schon über die Quais von Mobile..
Montgomery ist die officielle Hauptstadt von Alabama, des Staates, der seinen Namen dem gleichnamigen Strome entlehnt hat. Er zerfällt in zwei Gebiete, ein gebirgiges, wo die letzten Verzweigungen der Appalachenberge nach Südwesten zu auslaufen, und eines mit weiten Ebenen, das im südlichen Theile viele Sümpfe aufweist. Früher betrieben die Bewohner hier fast ausschließlich den Anbau von Baumwolle; jetzt werden, dank den bequemen Verkehrswegen, auch viele Kohlen-und Eisengruben ausgebeutet.
Doch weder Montgomery noch Birmingham, eine gewerbfleißige Stadt im Innern, können einen Vergleich mit dem zweiunddreißigtausend Einwohner zählenden Mobile aushalten. Dieses erhebt sich auf einer Terrasse im Hintergrunde der für Seeschiffe jederzeit bequem zugänglichen Bai, nach der es den Namen angenommen hat.
Die Stadt selbst mit ihren niedrigen, im Handelsviertel besonders dicht stehenden Häusern erscheint selbst bezüglich ihrer Einrichtungen für die Schifffahrt, für ihre Ausfuhr von Cigarren, Baumwolle und Gemüsen, etwas beengt. Sie hat aber Vorstädte, die sich weitläufig zwischen üppigem Grün ausdehnen.
Der Commodore Urrican hatte nicht ohne Grund angenommen, daß es ihm an Gelegenheit, zur See nach Key West zu gelangen, hier gar nicht mangeln könne. Im Hafen von Mobile laufen ja jährlich wenigstens fünfhundert Schiffe ein. Es giebt aber Menschen, die das Verhängniß nirgends schont, die ihrem schlimmen Geschick niemals entgehen können, und diesmal hatte Hodge Urrican alle Ursache, in hellem Zorn aufzulodern.
In Mobile herrschte bei seiner Ankunft gerade ein Ausstand, ein allgemeiner Ausstand der Hafenarbeiter, der am Tage vorher ausgebrochen war und wenigstens mehrere Tage anzudauern drohte. Von den zum Auslaufen daliegenden Schiffen konnte keines in See gehen, ehe nicht eine Verständigung mit den Rhedern erzielt war, und diese zeigten sich fest entschlossen, die Forderungen der Ausständigen abzuweisen.
So wartete denn der Commodore am 13., 14. und 15. Mai vergeblich, daß ein Schiff seine Ladung beendigt hätte und abfahren könnte. Die Frachtstücke lagerten auf den Quais, die Kesselfeuer waren gelöscht, die Baumwollenballen füllten die Docks, kurz, die Schifffahrt hätte nicht schlimmer gehemmt sein können, wenn die Bai von Mobile plötzlich fest zugefroren wäre. Dieser abnorme Zustand konnte die ganze Woche, vielleicht noch länger anhalten… Was war nun zu thun?…
Die Parteigänger des Commodore Urrican riethen ihm sehr vernünftigerweise, sich nach Pensacola, einer der wichtigsten Städte des an Alabama grenzenden Staates Florida zu begeben. Fuhr er mit dem Schnellzuge nach der Nordgrenze von Alabama zurück und von da wieder hinunter nach der Küste, so konnte er Pensacola in etwa zwölf Stunden erreichen.
Hodge Urrican – die eine gute Seite mußte man ihm lassen – war ein Mann des schnellen Entschlusses, der keiner langen Ueberlegung bedurfte und dann. ein Schwanken kannte. Am Morgen des 16. bestieg er also mit Turk aufs neue die Bahn und kam am Abend in Pensacola an.
Noch blieben ihm neun Tage, mehr Zeit, als es bedurfte, sogar mit einem Segelschiffe von Pensacola nach Key West überzufahren.
Florida, eine in den Golf von Mexiko vorspringende Halbinsel, mißt etwa vierhundert Meilen (644 Kilometer) in der Breite und dreihundertfünfzig Meilen (564 Kilometer) in der Länge. Diese größte Breite findet sich im nördlichen Theile am Fuße der Halbinsel, wo diese dicht unterhalb Alabamas und Georgias bis zum Atlantischen Ocean reicht. Wenn Thallahassee die Hauptstadt, der Sitz der Regierung ist, so hält Pensacola wieder Jacksonville, der bedeutendsten Stadt, so ziemlich die Wage. Durch ein Netz von Schienenwegen mit dem Innern der Union verbunden, ist Pensacola mit seinen zwölftausend Einwohnern in erfreulichstem Aufschwunge begriffen. Von größter Bedeutung für den nach einer Fahrgelegenheit spähenden Commodore Urrican war es aber, daß hier im Jahre gegen zwölfhundert Seeschiffe verkehren.
Dennoch verfolgte ihn das Unglück weiter. Ein Ausstand herrschte zwar in Pensacola nicht, dafür war aber kein einziges Schiff segelfertig, den Hafen – wenigstens nach Südosten hin – weder nach den Antillen noch nach dem Atlantischen Ocean zu verlassen und folglich war auch an ein Anlaufen Key Wests nicht zu denken.
»Nein, murrte Hodge Urrican, die Lippen zusammenbeißend, nein, entschieden, das geht so nicht weiter!
– Und da ist keiner, den man dafür am Kragen nehmen könnte, antwortete sein Begleiter, der sich wüthend rings umsah.
– Wir können aber unmöglich hier eine Woche vor Anker liegen!
– Nein, wir müssen um jeden Preis absegeln, Herr Commodore!« erklärte Turk.
Ja, das war wohl richtig, doch wie war von Pensacola nach Key West zu kommen?
Hodge Urrican verlor keine Minute; er ging von Schiff zu Schiff, von Dampfer zu Segler, erhielt aber immer nur unbestimmte Versprechungen… Man werde ja abfahren… doch die Zeit, die Waaren einzuladen… alles regelrecht zu verstauen… u. s. w., also keine bestimmte Zusage, trotz des hohen Preises, den der Commodore für die Ueberfahrt bot. Da konnte er sich nicht enthalten, den verwünschten Schiffern und sogar dem Hafencapitän – wie man sagt – den Kopf zurecht zu stutzen, selbst auf die Gefahr hin, hier regelrecht hinter geschlossene Thüren zu kommen.
Kurz, es verliefen zwei Tage, bis zum Abend des 18., und jetzt blieb nur noch übrig, zu Lande zu versuchen, was sich zu Wasser nicht ausführen ließ. Doch welche Beschwerden – die mochten wohl noch angehen – welche Verzögerungen waren da zu fürchten!
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