»Das ist ja der ehrwürdige Herr Humphry Weldon!« setzte sie, die Arme ausstreckend, hinzu.
Ja, der ehrwürdige Humphry Weldon, doch in weniger ehrwürdigem Alter, als gelegentlich seines Besuches bei Lissy Wag. Dieser Herr und William I. Hypperbone waren ein und dieselbe Person… Wir lassen hier auszugsweise den Bericht folgen, den die Zeitungen der ganzen Welt brachten, und der alles erklärte, was bei diesem wunderbaren Abenteuer unerklärlich erschien.
Am 1. April und in dem Hôtel der Mohawk Street war es gewesen, wo William I. Hypperbone während einer Partie des Edlen Gänsespieles von einer heftigen Congestion befallen worden war. Nach seinem Hôtel in der La Salle Street gebracht, starb er dort nach wenigen Stunden oder wurde wenigstens von den herbeigeholten Aerzten für todt erklärt.
Trotz der Aussage von »Sachverständigen« befand sich William I. Hypperbone aber nur in einem kataleptischen Zustande, freilich völlig mit dem Aussehen eines Mannes, der das Zeitliche gesegnet hat. Es war ein Glück für ihn, in seinem Testamente nicht bestimmt zu haben, daß er einbalsamiert werden sollte, denn wenn das einmal geschehen war, kam er gewiß nicht wieder zur Besinnung. Da sieht man’s ja, wenn ein Mensch einmal Glück haben soll…
Das prachtvolle Begräbniß ging in der uns bekannten Weise vor sich; danach schlossen sich am 3. April die Thüren des Mausoleums für das hervorragendste Mitglied des Excentric Club.
Am Abend aber, als der Wärter eben die letzten Lampen in der Halle löschen wollte, hörte er, wie sich etwas im Innern des Katafalks bewegte. Schwache Seufzer drangen daraus hervor und eine halb erstickte Stimme rief nach ihm. Der Wärter verlor den Kopf darüber nicht. Er holte eiligst seine Werkzeuge, schraubte den Sargdeckel auf, und das erste Wort des aus seinem lethargischen Schlummer erwachten William I. Hypperbone lautete:
»Nicht ein Wort… und Dein Glück ist gemacht!«
Dann setzte er mit einer für einen aus dem Jenseits zurückgekehrten Mann außerordentlichen Geistesgegenwart hinzu:
»Du allein, Du allein wirst also wissen, daß ich noch lebe… Du allein, nebst meinem Notar, dem Meister Tornbrock. Jetzt eile zu diesem und sage ihm, er möge augenblicklich hierherkommen.«
Ohne weitere Erklärungen abzuwarten, verließ der Wärter die Halle und lief, was er konnte, zu dem Notar.
Wie erstaunte, und wie freudig erstaunte aber Meister Tornbrock, als er eine halbe Stunde später seinen Clienten wieder wohl und munter vor sich stehen sah.
William I. Hypperbone hatte seit seiner Auferstehung über so mancherlei nachgedacht und war, was bei einem Manne seines Schlages nicht wundernehmen kann, zu folgendem Entschlusse gekommen:
Da er einmal testamentarisch die berühmte Partie eingeleitet hatte, die zu so vieler Aufregung, zu so vielen Enttäuschungen und Ueberraschungen Anlaß geben sollte, wollte er diese auch von den durch das Los bestimmten Theilnehmern gespielt sehen, sich aber allen, für ihn etwa daraus hervorgehenden Folgen unterwerfen.
»Dann werden Sie aber, wendete Meister Tornbrock ein, ganz sicherlich ruiniert sein, denn einer von den Sechsen muß sie doch gewinnen. Freilich wird Ihr Testament, da Sie nicht todt sind – wozu ich Sie aufrichtig beglückwünsche – an sich hinfällig und die Anordnungen darin werden wirkungslos. Warum wollen Sie die Partie also noch spielen lassen?
– Weil ich daran selbst theilnehmen will.
– Sie?…
– Ja wohl… ich selbst.

Und jetzt… welches Wunder! Da stand ein Mann durch und durch lebendig. (S. 470)
– Und wie soll das möglich sein?
– Ich werde meinem Testamente ein Codicill anfügen und darin einen siebenten Partner bestimmen, der William I. Hypperbone unter der Chiffre X. K. Z. sein wird.
– Und Sie wollen wirklich mitspielen?
– Ganz wie die Anderen.
– Sie werden sich aber allen aufgestellten Spielregeln unterwerfen müssen…
– Das versteht sich von selbst.
– Und wenn Sie verlieren?…
– Nun so verliere ich eben, und mein ganzes Vermögen geht auf den Gewinnenden über.
– Das ist Ihr Entschluß?…
– Mein fester Entschluß. Da ich mich bisher durch keinerlei Excentricität hervorgethan habe, will ich mich wenigstens unter dem Deckmantel meines Todes einmal excentrisch erweisen.«
Das Weitere ist leicht zu errathen. Der gutbelohnte Wärter der Oakswoods, dem eine noch reichlichere Belohnung zugesichert wurde, wenn er bis zum Ausgang dieses Abenteuers reinen Mund hielte, hatte das Geheimniß bewahrt. William I. Hypperbone verließ – noch vor dem Jüngsten Gericht – den Friedhof, begab sich verkleidet zum Meister Tornbrock, errichtete hier das uns bekannte Codicill und bezeichnete für den Fall, daß ihm der Notar etwas mitzutheilen hätte, die Oertlichkeit, wohin er sich vorläufig zurückziehen wollte.
Dann verabschiedete er sich von dem braven Manne in vollem Vertrauen auf das außerordentliche Glück, das ihm im Laufe seines Lebens stets hold gewesen war und ihm auch jetzt, man könnte sagen: nach seinem Ableben, treu bleiben werde.

»Das stimmt auffallend!« (S. 477.)
Das Uebrige ist bekannt.
Als die Partie den aufgestellten Bedingungen gemäß angefangen worden war, konnte sich William I. Hypperbone einigermaßen ein Urtheil über jeden der »Sechs« bilden. Der abscheuliche Bramarbas Hodge Urrican, der Geizhals Hermann Titbury und der ungeschlachte Tom Crabbe interessirten ihn nicht und konnten ihn nicht interessiren. Vielleicht brachte er Harris T. Kymbale einige Sympathie entgegen, doch wenn er, abgesehen von sich selbst, für irgend jemand fromme Wünsche hegen sollte, so konnte das nur für Max Real, Lissy Wag und deren getreue Jovita sein. Damit erklärt sich der von ihm gethane Schritt, die fünfte Partnerin, als diese krank lag, unter dem Namen Humphry Weldon aufzusuchen, damit auch die Einsendung jener dreitausend Dollars nach dem Gefängnisse in Missouri. Und wie befriedigte es den edelmüthigen Mann zuerst, daß das junge Mädchen durch Max Real erlöst wurde, und dann zur zweit, daß Tom Crabbe wieder und so bald an dessen Stelle trat!
Er selbst war mit sicherem und regelmäßigem Schritte dem Spiele des Zufalls im Match gefolgt, immer im Vertrauen auf seinen Glücksstern, der sich niemals trübte, und er war auch als erster am Pfosten angelangt, er, der »Outsider«, der die verschiedenen Favoriten auf dem nationalen Hippodrom glänzend besiegte.
Das war der Hergang der Sache gewesen, das sagte und wiederholte ich fast sofort die ganze Zuschauermenge; eben darum drückten die Collegen dem excentrischen Manne wärmstens die Hand, eben darum that Max Real desgleichen und erntete er den Dank Lissy Wag’s und Jovita Foley’s – die ihn auf ihre Bitte sogar umarmen durfte – und eben darum wurde er von der Menge fast getragen, in demselben Triumphe jetzt durch die große Stadt Chicago, wie vor dreiundeinhalb Monaten nach seiner Ruhestätte, geleitet.
Nun gab es in der Metropole von Illinois niemand mehr, der nicht gewußt hätte, woran er sich bezüglich der endlichen Lösung der alle Welt bewegenden Geschichte zu halten hatte.
Hermann Titbury wollte jedoch nicht so viel Geld hinausgeworfen haben, um nur von einem Ende der Union zum andern zu rennen. Er grübelte sofort darüber nach, es wieder einzubringen. In Uebereinstimmung mit Frau Titbury, die ihn dazu sogar noch antrieb, beschloß er, sein Geschäft wieder aufzunehmen, das heißt, wieder den Pfandleiher und Wucherer zu spielen, und wehe den armen Teufeln, die jetzt in die Klauen dieses Blutsaugers fielen.
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