Jetzt hörte Frau Real, die von dem Anschlag gegen Lissy Wag bereits Kenntniß hatte, erst den Namen des jungen Mannes, dem das junge Mädchen ihre Rettung verdankte.
»Ach, mein Kind… mein Kind! rief sie, Max in die Arme drückend, Du… Du bist es gewesen…
– Da ich aber völlig hergestellt bin, weine nur nicht, Mütterchen! Was ich gethan habe, ist ja für sie geschehen… verstehst Du?… für sie, die Du baldigst kennen lernen sollst und die Du lieben wirst, wie sie schon Dich ebenso liebt, wie ich sie!«
Noch an demselben Tage stattete Lissy Wag in Begleitung Jovita Foley’s bei Frau Real einen ersten Besuch ab. Das junge Mädchen gefiel der vortrefflichen Dame nicht weniger, wie diese der Besucherin. Frau Real überhäufte sie mit Zärtlichkeiten, ohne Jovita Foley zu vernachlässigen, die ja so ganz anders wie jene, in ihrer Art aber doch höchst liebenswürdig war.
Auf diese Weise wurden die drei Personen mit einander bekannt; wegen dessen, was davon die Folge war, müssen wir uns, es zu erfahren, schon noch einige Tage gedulden.
Nach der Abreise Max Real’s war bekanntlich Tom Crabbe in Saint-Louis eingetroffen. Wie wüthend John Milner war und wie entehrt er sich fühlte, das bedarf keiner weiteren Schilderung. So viel Geld rein auf die Straße geworfen zu haben, wobei nicht nur die Ausgaben für die Reisen, sondern auch die dreitausend Dollars Einsatz in dem Gefängnißstaate Missouri zu rechnen waren. Dann die Erschütterung des Ansehens des Champions der Neuen Welt gelegentlich des Zusammentreffens mit dem nicht minder unwilligen Cavanaugh, dessen wirklicher Besieger der Reverend Hugh Hunter von Arondale gewesen war. Tom Crabbe freilich verstand nach wie vor nichts von der traurigen Rolle, die er spielte, und ging einfach dahin, wohin sein Traineur ihn führte. Das »Thier in ihm« war völlig befriedigt, wenn es nur täglich seiner sechsmaligen Fütterung sicher sein konnte.
John Milner fragte sich, wie viele Wochen er wohl in dieser Stadt (Saint-Louis) zurückgehalten sein sollte; doch schon am anderen Tag erhielt er darauf Antwort: Die Partie war zu Ende und ihm blieb nichts übrig, als nach dem Hause der Calumet Street in Chicago zurückzukehren.
Dasselbe that natürlich auch Hermann Titbury. Vierzehn Tage bewohnte das Ehepaar bereits die prächtige Zimmerflucht, die dem Partner des Match Hypperbone im Excelsior Hotel von New Orleans reservirt worden war. Vierzehn Tage, in denen es wenigstens gut gegessen und getrunken, eine Equipage eine Dampfyacht und eine Theaterloge zu seiner Verfügung gehabt und überhaupt das bequeme, freudenreiche Leben der Leute geführt hatte, die sich ein solches infolge ihrer großen Einkünfte bieten können. Dieses Leben kostete ihnen freilich täglich zweihundert Dollars. und die schließliche Ueberreichung der Hôtelrechnung wirkte auf sie wie ein Keulenschlag. Sie betrug zweitausendachthundert Dollars, und rechnete man dazu die Einsätze in Louisiana, die Geldbuße in Maine, den Verlust durch Diebstahl in Utah und außerdem die unumgänglichen und stets hohen Kosten für die zu durchfahrenden weiten Strecken, so ergab sich ein Gesammtaufwand von nahezu achttausend Dollars.
Ins Herz, das heißt in den Geldbeutel getroffen, wurden Herr und Frau Titbury von dem Schlage ganz ernüchtert, und nach der Rückkehr in das Haus der Robey Street kam es zwischen ihnen zu den heftigsten Streitigkeiten, wobei die Gattin dem Gatten vorwarf, sich in dieses ruinöse Abenteuer, trotz allem, was sie dagegen eingewendet hätte, eingelassen zu haben, und wobei sie ihm haark lein bewies, daß alles Unrecht auf seiner Seite liege. Seiner Gewohnheit gemäß gewann Herr Titbury diese Ueberzeugung schließlich auch selbst, zumal da das schreckliche Hausmädchen, auch ihrer Gewohnheit nach, für die Herrin Partei nahm. Man kam deshalb überein, die Ausgaben für den Haushalt aufs neue zu beschränken. Das hinderte das würdige Paar indeß nicht, in der Erinnerung an die köstlichen, im Excelsior Hotel verlebten Tage zu schwelgen… Doch welches Entsetzen, als sie sich aus ihren Träumen wieder in die traurige Wirklichkeit versetzt sahen!
»Ein Ungeheuer, dieser Hypperbone… ein abscheuliches Ungeheuer! rief wiederholt Frau Titbury.
– Sie hätten seine Millionen gewinnen oder sich gar nicht in die Sache mengen sollen! bemerkte die Hausmagd.
– Natürlich… sich gar nicht hineinmengen, rief die Matrone, und das hab’ ich meinem Manne ja tausendmal gesagt!… Einem solchen Dickschädel soll aber einer Vernunft beibringen!«
Die Welt wird leider niemals erfahren, wie der Eheherr der Frau Titbury an diesem Tage noch weiter titulirt wurde.
Harris T. Kymbale?… Nun, Harris T. Kymbale war aus der künstlichen, zur Eröffnungsfeier der Eisenbahn zwischen Medary und Sioux Falls City veranstalteten Collision mit heiler Haut hervorgegangen. Noch vor dem Stoße hatte er auf die Bahnstrecke hinausspringen können und war nach mehrfachen Purzelbäumen, als bestände er aus Kautschuk, ohnmächtig am Fuße der Böschung und geschützt gegen die Explosion der beiden Locomotiven liegen geblieben. Ohne Zweifel kommt es ja auch in Amerika vor, daß zwei Locomotiven einander kitzeln und sich durcheinander schieben, es ist aber selten, daß man davon vorher benachrichtigt wird, während die in genügender Entfernung zu beiden Seiten der Bahn harrenden Zuschauer in diesem Falle sich dieses Schauspiel ohnegleichen hatten leisten können.
Leider hatte es Harris T. Kymbale in seinem augenblicklichen Zustande nicht mitgenießen können.
Erst drei Stunden später, als eine Arbeitercolonne die Strecke aufräumte, fand man einen bewußtlosen Menschen am Fuße des Bahndammes. Die Leute hoben ihn auf, trugen ihn nach dem nächsten Hause und besorgten einen Arzt, der bald feststellte, daß der Unbekannte nicht tödlich verletzt sei. Dann brachte man ihn auch wieder zu sich, fragte ihn aus, erfuhr, daß er der vierte Partner in Match Hypperbone und wie es ihm gelungen war, in diesem zu vollständiger Zerstörung bestimmten Zuge Platz zu nehmen. Dafür bekam er die verdienten Vorwürfe, doch verurtheilte man ihn nur zur Entrichtung der gewöhnlichen Fahrtaxe, da man auf den amerikanischen Bahnen sein Billet noch unterwegs oder gar erst am Reiseziele bezahlen kann. Man telegraphierte das Vorkommniß an den Director der »Tribune« und schickte den unklugen Reporter auf kürzestem Wege nach Chicago, wo er am 25. in seiner Wohnung in der Milwaukee Avenue eintraf. Natürlich war der unerschrockene Harris T. Kymbale bereit, sofort wieder abzufahren, den Match fortzusetzen und wenn es sein mußte, von einem Ende der Vereinigten Staaten zum anderen zu fliegen. Auf die Nachricht hin, daß die Partie am Tage vorher zu Gunsten des X. K. Z. beendigt worden sei, blieb ihm nichts anderes übrig, als sich in Ruhe zu fügen und interessante Schilderungen der letzten Ereignisse, an denen er persönlich betheiligt gewesen war, abzufassen. Jedenfalls hatte er bei der Sache weder Zeit noch Mühe verloren, und welch unverlöschliche Eindrücke behielt er von seinem Besuche Neumexikos, Südcarolinas, Nebraskas, Washingtons nebst Süddakotas, abgesehen von der originellen Weise, in der er allein die Bahnstrecke zwischen Medary und Sioux Falls City eingeweiht hatte.
Seine Eigenliebe als wohlunterrichteter Reporter erlitt aber an empfindlichster Stelle einen argen Stoß durch eine Enthüllung, die ihm manche Scherzrede und Spöttelei der kleinen Presse einbrachte. Diese betraf den Bären, den er in den Schluchten von Idaho gesehen hatte, den Grizzly, der sich bei jedem Donnerschlage bekreuzigte, jenen Ursus christianus, für den er damals die so treffende Bezeichnung erfand. Es hatte sich dabei aber ganz einfach um einen braven Landmann gehandelt, der von einem Rauchwaarenhändler das Fell eines prächtigen Plautigraden nach Hause trug. Weil es da gerade in Strömen regnete, hatte der Mann sich in das Fell eingehüllt, und da er Angst hatte, bekreuzigte er sich als guter Christ bei jedem Blitzstrahl.
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