– Du übertreibst, Jovita…
– Ich bitte Dich, Lissy, sei doch offen… gestehe, daß Du ihn liebst!…«
Das junge Mädchen erwiderte gar nichts… und das war ja auch eine Antwort.
Am 22. verkündeten die Zeitungen den neuen Wurf für den Commodore Urrican.
Der Leser wird sich erinnern, daß die orangefarbene Flagge nach Besetzung des Death Valley die Partie von vorn anfangen mußte, und ein glücklicher Wurf deren Träger nach dem sechsundzwanzigsten Felde, dem Staate Wisconsin, gewiesen hatte. Das lieferte den Beweis, daß – wie die Tage – die Würfe einander zwar folgen, doch nicht einander gleichen. Nachher hatte Meister Tornbrock offenbar eine unglückliche Hand gehabt, denn der Wurf von fünf, durch eins und vier Augen, brachte Hodge Urrican nach dem einunddreißigsten Felde, dem Staate Nevada. Hierher hatte William I. Hypperbone aber den Schacht verlegt, worin der unglückliche Commodore nun wieder ausharren mußte, bis ein anderer Partner ihn daraus befreite.
»Wahrlich, das sieht aus, als ob dieser Tornbrock mir alles zum Possen thäte!« hatte Hodge Urrican in einem lodernden Zornesausbruch gerufen.
Als Turk darauf versicherte, er werde dem unseligen Actenwurm bei der nächsten Gelegenheit den Hals umdrehen, suchte ihn sein Herr auch gar nicht zu besänftigen. Entging hier der Tasche des sechsten Partners doch der dreifache Einsatz im Betrage von dreitausend Dollars, die der »Sparbüchse« zufielen.
Lissy Wag’s gutes Herz fühlte wirklich Mitleid mit dem unglücklichen Seebären.
»Ja, ja, bedauere ihn nur, sagte Jovita Foley, vorzüglich weil ich niemand anders als jenen Herrn Titbury sehe, der ihn befreien könnte, wenn für ihn, nach Beendigung seines Aufenthaltes im Hôtel, zwölf Augen fallen. Das Wichtigste ist doch, daß Herr Real nicht mehr gefangen sitzt, und mir ahnt immer, daß wir ihn früher oder später wiedersehen werden.«

Indianapolis. – Court-House (Handelsbörse).
Das junge Mädchen ahnte aber wohl kaum, wie bald sich das erfüllen sollte.
Als die beiden Freundinnen nämlich an diesem Morgen von einem Spaziergange nach dem Sherman Hotel zurückkamen, konnte Lissy Wag einen Ausruf der Ueberraschung nicht unterdrücken.
»O, was ist Dir denn?« fragte Jovita Foley.
Dann aber rief sie selbst plötzlich:

Sie ließen sich auf einem Prahm nach dem anderen Ufer des White River übersetzen. (S. 453.)
»Ah… Sie hier… Herr Real!«
Wirklich stand der junge Maler vor der Thür des Hauses, an der auch Tommy wartete.
»Meine Damen, sagte er, ich begab mich nach meinem Posten in Philadelphia, und da Indiana zufällig auf meinem Wege lag…
– Ein rein geographischer Zufall, fiel Jovita Foley lachend ein, na, wenigstens ein glücklicher Zufall!
– Und da sich meine Reise dadurch nicht verlängerte…
– Denn, wenn das der Fall gewesen wäre, würden Sie sich doch nicht der Gefahr ausgesetzt haben, den bestimmten Termin zu verpassen…
– O, ich habe Zeit bis zum 28., Miß Wag… noch sechs volle Tage… und…
– Und wenn man sechs Tage übrig hat und nicht weiß, was man beginnen soll, ist es am besten, man verbringt sie mit den Personen, für die man Interesse… ein lebhaftes Interesse hat…
– Jovita! sagte Lissy Wag halblaut.
– Und der Zufall. immer der glückliche Zufall, hat es gefügt, daß Sie hier gerade das Sherman Hotel aufsuchten?…
– Nein, weil die Zeitungen meldeten, daß die fünfte Partnerin hier mit ihrer allezeit getreuen Begleiterin abgestiegen sei.
– Ja freilich, fuhr die getreue Begleiterin fort, denn wenn die fünfte Partnerin im Sherman Hotel abgestiegen war, ist es ja ganz natürlich, daß der erste Partner da ebenfalls Quartier nimmt… Freilich, wenn’s der zweite, der dritte Partner gewesen wäre… doch nein!… es war eben die fünfte Partnerin… in dem allen spielte der Zufall…
– Gar keine Rolle, das wissen Sie wohl auch, Miß Wag, gestand Max Real, der die ihm dargebotene Hand des jungen Mädchens drückte.
– Sapperment, das ist offenherzig! rief Jovita Foley, darum Offenheit für Offenheit… wir fühlen uns sehr beglückt durch Ihren Besuch, Herr Real… ich sage Ihnen aber im voraus, daß Sie keine Stunde länger als nöthig hier bleiben und wir es nicht zugeben werden, daß Sie den Zug nach Philadelphia verfehlen!«
Es bedarf wohl kaum des Hinweises, daß Max Real in Saint-Louis gewartet hatte, bis die Zeitungen die Ankunft Lissy Wag’s und Jovita Foley’s in der Hauptstadt von Indiana meldeten, sowie, daß er von Anfang herein ihnen seine verfügbare Zeit widmen wollte.
So plauderten die Drei denn »wie langjährige Freunde«, wenn man Jovita Foley glauben darf. Man verabredete Spaziergänge durch die Stadt, die sich dank der Anwesenheit Real’s weit interessanter gestalten mußten, als ohne ihn. Dabei konnte aber auch, die getreue Begleiterin bestand darauf. die Partie nicht unerwähnt bleiben. Lissy Wag befand sich jetzt an der Spitze und auch X. K. Z. drängte Sie jedenfalls nicht, wieder auf die zweite Stelle herunter. Um mit dem nächsten Wurfe als Erster anzukommen, mußten für den bisher allerdings begünstigten Mann zwölf Augen fallen, was doch nur in einer Weise – durch sechs und sechs – möglich ist, während man sieben Augen, die es ermöglichen würden, die gelbe Flagge Lissy Wag’s im dreiundsechzigsten Felde aufzupflanzen, auf dreierlei Weise – durch drei und vier, fünf und zwei sowie durch sechs und eins – erhalten kann. Das ergab ein Verhältniß von drei zu eins zu Gunsten Lissy Wag’s, wie Jovita Foley behauptete.
Ob ihre Beweisführung richtig sei oder nicht, darum kümmerte sich Max Real nicht. Zwischen Lissy Wag und ihm war von dem Match kaum die Rede. Diese beiden sprachen von Chicago, von der hoffentlich baldigen Heimkehr, von der Freude, die es Frau Real gewähren werde, die beiden Freundinnen zu empfangen, was ein Brief der vortrefflichen Dame – zweifelsohne nach eingezogener Erkundigung – schon im voraus in warmen Ausdrücken bestätigte.
»O, Sie haben eine gute Mutter, Herr Real, sagte Lissy Wag, deren Augen nach Einsichtnahme dieses Briefes etwas feucht wurden.
– Die beste aller Mütter, Miß Wag, deren Zuneigung auch allen sicher ist, die ich liebe…
– Und die eine ebensogute Schwiegermutter sein wird!« rief Jovita Foley laut auflachend.
Der zweite Theil des Tages verlief unter Spaziergängen durch die schönsten Viertel der Stadt, vorzüglich längs der Ufer des White River. Es war zur unumgänglichen Nothwendigkeit geworden, den das Sherman Hotel belagernden Zudringlichen zu entfliehen, die alle – Jovita Foley glaubte steif und fest daran – die zukünftige Erbin William I. Hypperbone’s heiraten wollten. Die Straße wurde gar nicht mehr leer. Vorsichtigerweise hatte der schon gewitzigte Max Real gar nicht verlauten lassen, wer er war, sonst wäre der Zulauf noch größer geworden.
Max Real wartete auch die Dunkelheit ab, ehe sie ins Hôtel zurückkehrten, und nach Einnahme einer letzten Mahlzeit – mehr eines Abend-als eines regelrechten Mittagessens – trennten sich die Drei, um von der Anstrengung eines so angenehm verlebten Tages auszuruhen.
Um zehn Uhr betraten Lissy Wag und Jovita Foley ihr Zimmer, und Max Real zog sich in das seinige zurück. Tommy schlief in einer Kammer daneben. Und während die eine sich »von Silber und Gold gleißenden« Träumen überließ, begegneten sich die beiden anderen vielleicht in ganz gleichen Gedanken, ohne den Schlummer zu finden. Ja, beide dachten nur an die Heimkehr nach Chicago, an die Verwirklichung ihrer innigsten Wünsche. Sie sagten sich, daß diese Partie hiermit noch nicht endigen werde… daß sie schon sieben Wochen dauere… daß vielleicht in wenigen Tagen die Koffer wieder gepackt werden müßten… daß noch Hunderte von Meilen sie trennten… daß es wohl am besten sei, zu verzichten u. dgl. m. Zum Glück konnte weder Jovita Foley noch Frau Real diese ketzerischen Gedanken hören.
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