Dadurch entstand der Beruf des Zutreibers und Zeugen vor dem Manne des Gesetzes und für ihn. Diese Leute spüren die Clienten auf, zeugen zu ihren Gunsten, beschaffen für sie Stellvertreter, wenn sie nicht selbst erscheinen wollen und es vorziehen, die Sache durch Procuration abzumachen… kurz, sie sorgen für alle möglichen Erleichterungen. Uebrigens ist es mehr der Flecken Sioux Falls als Yankton selbst, der in dieser Hinsicht den Record hält.
»O mein Herr, erwiderte auf jene letzten Worte Herr Hoggarth ausnehmend höflich, ich bedauere unendlich, daß Sie nicht verheiratet sind!
– Ich ebenfalls, antwortete Harris T. Kymbale, da ich hier eine so schöne Gelegenheit gehabt hätte, das Ehejoch wieder abzuschütteln.
– Da Sie aber nach Yankton gehen, versäumen Sie ja nicht, sich dort vor drei Uhr einzufinden, um einem dann stattfindenden großen Meeting beizuwohnen.
– Einem Meeting… zu welchem Zwecke?
– Es handelt sich darum, die gesetzlich vorgeschriebene Aufenthaltsdauer auf drei Monate zu verkürzen, wie in Oklohama, das uns eine recht schlimme Concurrenz macht. Das Meeting wird der ehrenwerthe Herr Heldreth leiten.
– Wirklich… Herr Hoggarth?… Wer ist denn dieser Herr Heldreth?
– Ein hochachtbarer Kaufmann, der sich schon siebzehnmal hat scheiden lassen, und man raunt sich zu, es werde auch noch öfter geschehen.
– Herr Hoggarth, ich werde nicht verfehlen, rechtzeitig in Yankton zu sein.
– Ich verlasse Sie also, mein Herr, und halte mich für die Zukunft zu Ihrer Verfügung.
– Sehr schön, Herr Hoggarth, auch ich werde ein so verbindliches Angebot nicht vergessen.
– Ja, man weiß doch nicht, was noch geschehen kann…
– Gewiß nicht, Herr Hoggarth!« antwortete Harris T. Kymbale.
Damit verabschiedete er sich von dem Zeugen und gleichzeitigen Zutreiber für die Rechtsanwälte Dakotas.
Jetzt verlangte es ihn nur noch zu erfahren, ob das von dem »hochachtbaren« Herrn Heldreth geleitete Meeting sich für die unschätzbaren Erleichterungen, deren sich Oklohama erfreute, entscheiden und damit auch Erfolg haben werde.
Am nächsten Tage, am 24., um sechs Uhr des Morgens bestieg der Hauptberichterstatter der »Tribune« den Zug, der nach Süddakota abging.
Zwischen den beiden Staaten spannt sich ein sehr verwickeltes Netz von Schienenstraßen aus. Da es von Fargo bis Yankton aber nur zweihundertfünfzig Meilen weit ist, durfte Harris T. Kymbale jedenfalls darauf rechnen, vor der für das Meeting angesetzten Stunde in letzterer Stadt einzutreffen.
Zum Glück war die letzte Theilstrecke der Bahn zwischen der Station Medary und Sioux Falls eben fertig geworden und wurde heute dem Verkehr übergeben. Harris T. Kymbale sah sich infolgedessen nicht genöthigt, einen Theil des Weges zu Wagen oder zu Pferde zurückzulegen, wie bei seiner Reise nach Neumexiko und in Californien.
Er überschritt also die nur gedachte Grenze zwischen beiden Staaten, und es war elf Uhr, als er, nachdem der Zug nahe dem kleinen Flecken Medary am Ufer des Big Sioux River zum Stehen gekommen war, alle Passagiere aussteigen sah.
Da wendete er sich an einen auf dem Bahnsteige dienstthuenden Beamten.
»Bleibt der Zug hier stehen? fragte er.
– Ja, er geht nicht weiter, belehrte ihn der Beamte.
– Wird denn die Strecke zwischen Medary und Sioux Falls City nicht heute eröffnet?
– Nein, mein Herr
– Wann denn?
– Morgen.«
Das paßte Harris T. Kymbale freilich gar nicht, denn jene beiden Stationen liegen gegen sechzig Meilen von einander, und wenn er einen Wagen miethete, kam er doch zu spät, um das Meeting unter dem Vorsitze des Herrn Heldreth zu besuchen.
Da bemerkte er auf dem Bahnhofe von Medary einen Zug, der zum Ablaufen in der Richtung nach Yankton bereit zu stehen schien.
»Nun… und der Zug dort? fragte er.
– O, dieser Zug… antwortete der Beamte in ganz eigenthümlichem Tone.
– Wird der nicht abgehen?
– Ja wohl… zwölf Uhr dreizehn.
– Nach Yankton?
– O… Yankton!« erwiderte der Beamte achselzuckend.
In demselben Augenblicke wurde der Mann aber vom Bahnhofsvorsteher abgerufen und konnte Harris T. Kymbale also keine weitere Aufklärung geben.
Uebrigens war das gar kein Personenzug, sondern er bestand nur aus zwei Gepäckwagen hinter einer Locomotive, die schon volle Dampfspannung zu haben schien.
»Meiner Treu, sagte Harris T. Kymbale für sich, das kommt mir gelegen, da die Strecke erst morgen eröffnet werden soll. Ein Güterzug… meinetwegen, wenn ich damit nur von Medary bis nach Sioux Falls komme. Kann ich mich in einen der Güterwagen unbemerkt einschleichen, so werde ich mich bei der Ankunft schon über die Sache erklären…«
Der vertrauensselige Reporter bezweifelte gar nicht, daß man seine Erklärungen mit großer Zuvorkommenheit aufnehmen werde, wenn er sich unter Angabe seines Namens und Standes als einer der berühmten Partner des Matches Hypperbone entpuppte und sich erbot, den Fahrpreis für die reglementswidrige Beförderung zu erlegen.
Harris T. Kymbale’s Absicht wurde nicht wenig dadurch begünstigt, daß der Bahnhof von Medary jetzt fast menschenleer war. Alle Reisenden schienen es eilig gehabt zu haben, ihn zu verlassen. Auf dem Perron befand sich nur ein einziger Beamter, und blos der Maschinenführer und Heizer schaufelten ruhig große Mengen von Steinkohle in die Feuerbüchse der Locomotive.
Ohne bemerkt zu werden, konnte Harris T. Kymbale in den zweiten Güterwagen schlüpfen und sich in Erwartung der Abfahrt in einer Ecke verbergen.
Um zwölf Uhr dreizehn setzte sich der Zug mit einem sehr starken Ruck in Bewegung.
Zehn Minuten lang rollte der Zug, immer an Geschwindigkeit zunehmend, dahin und erlangte schließlich eine wahrhaft unheimliche Schnelligkeit.
Merkwürdigerweise gab der Locomotivführer beim Passieren von Stationen nicht einmal ein Signal mit der Dampfpfeife.
Harris T. Kymbale erhob sich und guckte vorsichtig durch ein kleines Fenster hinaus.
Auf der Locomotive, die mächtige Rauch-und Dampfwolken ausstieß, sah er weder Führer noch Heizer.
»Was hat denn das zu bedeuten? fragte er sich. Sollten beide gar heruntergestürzt sein… oder wäre die verwünschte Locomotive wie ein Pferd aus dem Stalle allein davongelaufen?«
Plötzlich stieß der Reporter einen Schreckensruf aus.
Auf dem nämlichen Geleise brauste, jetzt kaum noch eine Viertelmeile entfernt, ein anderer Zug mit gleicher entsetzlicher Schnelligkeit heran…
Wenige Secunden später erfolgte ein fürchterlicher Zusammenstoß. Die beiden Locomotiven hatten sich mit unbeschreiblicher Gewalt ineinander eingekeilt, die Güterwagen waren zertrümmert, und sofort trat auch noch eine grauenerregende Explosion ein, die die Reste der beiden Dampfkessel in alle Winde verstreute.
Das Krachen dieser Explosion begleiteten aber tausendstimmige Hipps und Hurrahs einer Menge von Personen, die zu beiden Seiten der Bahnlinie, doch in genügender Entfernung standen, um durch den furchtbaren Zusammenstoß nicht gefährdet zu werden.
Es waren Neugierige, die sich das auf ihre Kosten veranstaltete Schauspiel des Zusammenprallens zweier in vollster Schnelligkeit dahinsausender Bahnzüge geleistet hatten… gewiß eine echt amerikanische Unterhaltung!
Auf diese Weise also wurde die Theilstrecke der Bahnlinie zwischen Medary und Sioux Falls City, dem amerikanischen Ehescheidungsparadiese, mit einem Knalleffect ohnegleichen eingeweiht.
Fußnoten
1 Dieser Fluß trägt denselben Namen wie der Nebenfluß des Unteren Mississippi, der schon früher erwähnt wurde.
Dreizehntes Capitel.
Die letzten Wechselfälle im Match Hypperbone.
Wir brauchen wohl kaum die Gemüthsverfassung Lissy Wag’s zu schildern, als das junge Mädchen sich von Max Real verabschiedet hatte, um dessen Platz in Richmond einzunehmen. Als sie am Abend des 13. abgereist war, konnte sie ja nicht ahnen, daß schon am nächsten Tage das Schicksal für Max Real dasselbe wie für sie thun, das heißt, ihn schon befreien und ihm Gelegenheit geben sollte, auf dem weiten Rennfelde der Vereinigten Staaten »wieder in die Linie einzurücken«.
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