Palliser schloß sein Notizbuch mit einem Knall.»Empfehlung an Mr. Timbrell, und sagen Sie ihm, er möchte eine Gräting zur Bestrafung vorbereiten. «Dann kam er auf Bolithos Seite herüber.»Nun, was gab es?»
Bolitho berichtete:»Der Kommandant hat mir von seinem Heim in Norfolk erzählt, Sir.»
Palliser schien irgendwie enttäuscht.»Verstehe.»
«Warum trägt er eigentlich eine rote Weste, Sir?»
Palliser bemerkte, daß der Wachtmeister mit dem Bootsmann zurückkam.»Ich bin überrascht, daß er Sie nicht auch in diesem Punkt ins Vertrauen gezogen hat. «Bolitho verbarg ein Lächeln, als Palliser sich entfernte. Also wußte der's offenbar auch nicht. Nach drei Jahren gemeinsamer Seefahrt war das immerhin erstaunlich.
Bolitho stand neben Rhodes an der Heckreling und betrachtete das farbenfrohe Bild im Hafen und an der Pier von Funchal. Die Destiny lag vor Anker, nur die Gig des Kommandanten und ein Kutter waren bisher ausgesetzt und schaukelten an der Backspier. Es sah nicht so aus, als ob es Landurlaub für alle geben würde, dachte Bolitho.
Einheimische Boote mit seltsam geschwungenen Vor- und Achtersteven umruderten die Fregatte, und die Insassen hielten Früchte und bunte Schals, große Weinflaschen und viele andere Dinge hoch, um die Seeleute, die auf den Laufbrücken oder in den Wanten herumlungerten, zum Kauf zu animieren.
Die Destiny hatte sich am frühen Nachmittag ihrem Ankerplatz genähert, und alle Leute waren an Deck, um sich nichts von dem Anblick der Insel, die Dumaresq mit Recht» zauberhaft «genannt hatte, entgehen zu lassen. Die Hügel hinter den weißen Häusern bedeckten wunderschöne Blumen und Büsche, ein Anblick, der nach der wilden Fahrt durch die Biskaya den Augen besonders wohl tat. Diese Strapazen waren nun ebenso wie die beiden Auspeitschungen auf dem letzten Schlag vor dem Einlaufen vergessen.
Rhodes zeigte lächelnd auf ein Boot mit drei dunkelhaarigen Mädchen, die sich in ihre Kissen zurücklehnten und auffordernd zu den jungen Offizieren hinaufschauten. Es war klar, was sie zum Verkauf boten.
Kapitän Dumaresq war an Land gegangen, kaum daß sich der Pulverqualm ihrer Salutschüsse für den portugiesischen Gouverneur verzogen hatte. Palliser gegenüber hatte er geäußert, daß er zum Gouverneur gehe, um den üblichen Höflichkeitsbesuch abzustatten: aber Rhodes sagte später:»Für einen rein gesellschaftlichen Besuch war er viel zu aufgeregt, Dick. Da lag Verschwörung in der Luft oder ähnliches.»
Die Gig war mit dem Befehl zurückgekehrt, daß Lockyer, der Schreiber des Kommandanten, mit einigen Papieren aus dem Safe nachkommen solle. Jetzt stand er am Schanzkleid und machte sich mit seiner Dokumententasche wichtig, während die Fallreepsgasten einen Bootsmannsstuhl an der Nock der Großrah befestigten, mit dem sie ihn in die Gig hinunterlassen wollten.
Palliser trat zu ihnen und sagte verächtlich:»Schaut euch den alten Narren an. Geht nie an Land, aber wenn doch, dann muß erst ein Fahrstuhl für ihn aufgeriggt werden, damit er nicht vom Fallreep fällt und ertrinkt.»
Rhodes grinste, als es endlich gelungen war, den Schreiber ins Boot zu fieren.»Er ist offenbar der Älteste an Bord.»
Über den Satz dachte Bolitho nach. Das war nämlich eine der Entdeckungen, die er gemacht hatte: Sie waren eine sehr junge Besatzung, mit nur wenigen von den älteren Leuten dazwischen, wie er sie auf den großen Linienschiffen gewohnt gewesen war. Der Sailing Master eines Linienschiffs zum Beispiel war üblicherweise schon bejahrt, wenn er solch einen verantwortungsvollen Posten erreichte; aber ihr Gulliver war noch keine dreißig.
Die meisten Männer, die an den Netzen lehnten oder an Deck herumlungerten, sahen gesund aus: hauptsächlich ein Verdienst ihres Schiffsarztes, hatte Rhodes behauptet. Darin zeigte sich der Wert eines Arztes, der sich um die Leute kümmerte und wußte, wie man dem gefürchteten Skorbut und anderen Krankheiten vorbeugte, die ein ganzes Schiff lahmen konnten.
Bulkley war einer der wenigen Bevorzugten, die an Land gehen durften. Der Kommandant hatte ihm befohlen, so viel frisches Obst und Fruchtsäfte einzukaufen, wie er für erforderlich hielt; Codd, der Zahlmeister, hatte ähnliche Anweisungen für alles erreichbare Gemüse.
Bolitho nahm den Hut ab und ließ die Sonne sein Gesicht wärmen. Es wäre schön gewesen, Funchal zu durchstreifen und dann in einer der schattigen Tavernen auszuruhen, von denen ihm Bulkley und andere erzählt hatten.
Die Gig hatte jetzt die Landungsbrücke erreicht, und einige Seesoldaten der Destiny bahnten dem alten Lockyer einen Weg durch die gaffende Menge.
Palliser sagte:»Wie ich sehe, ist Ihr Schatten nicht fern.»
Bolitho wandte den Kopf und sah Stockdale auf dem Batteriedeck neben einem Zwölfpfünder knien. Er hörte Vallance, dem Oberfeuerwerker, aufmerksam zu und zeigte dann auf die Lafette. Bolitho sah, daß Vallance nickte und dann Stockdale anerkennend auf die Schulter klopfte.
Das war ungewöhnlich. Bolitho hatte schon mitbekommen, daß Val-lance nicht gerade der umgänglichste Deckoffizier an Bord war. Er wachte eifersüchtig über seinen Bereich, der von der Pulverkammer bis zur Geschützbedienung reichte. Jetzt kam er nach achtern und tippte vor Palliser grüßend an den Hut.
«Dieser neue Mann Stockdale, Sir, hat ein Problem an der Kanone gelöst, mit dem ich mich schon seit Monaten herumschlug. Es handelte sich um eine Neuerung, mit der ich bisher nicht glücklich war. «Er lächelte, was bei ihm selten vorkam.»Stockdale meint, wir könnten die Lafette so umsetzen, daß…»
Palliser hob beide Hände.»Sie überraschen mich, Mr. Vallance. Aber tun Sie, was Sie für richtig halten. «Er warf Bolitho einen Blick zu.»Ihr Stockdale ist zwar ziemlich schweigsam, scheint sich aber hier an Bord wohl zu fühlen.»
Bolitho bemerkte, daß Stockdale vorn Batteriedeck zu ihm heraufschaute. Als er ihm zunickte, leuchtete das zerschlagene Gesicht des Mannes im Sonnenlicht auf und warf ein Lächeln zurück.
Jury, der Midshipman der Wache, rief:»Gig stößt von Land ab, Sir!»
«Das ging aber schnell. «Rhodes griff nach einem Fernrohr.»Wenn der Kommandant schon zurückkommt, lasse ich am besten. «Er schnappte nach Luft und setzte schnell hinzu:»Sir, sie bringen Lok-kyer zurück!»
Palliser nahm ein zweites Glas und richtete es auf die grüngestrichene Gig. Dann sagte er ruhig:»Der Schreiber ist tot. Sergeant Bar-mouth hält ihn.»
Bolitho ließ sich das Teleskop von Rhodes geben. Im ersten Augenblick bemerkte er nichts Ungewöhnliches. Die schlanke Gig näherte sich schnell, die weißen Riemenblätter hoben und senkten sich in flottem Takt, denn die Männer in ihren rot-weiß-karierten Hemden und mit den geteerten Hüten legten sich kräftig ins Zeug.
Als die Gig einen Bogen fuhr, um einem treibenden Baumstamm auszuweichen, sah Bolitho, daß Barmouth, der Sergeant der Seesoldaten, den spärlich behaarten Kopf des Schreibers so hielt, daß er nicht auf die Kissen des Hecksitzes fiel. Eine schreckliche Wunde lief quer über Lockyers Kehle; im Sonnenlicht hatte sie die gleiche rote Farbe wie der Waffenrock des Soldaten.
Rhodes murmelte:»Ausgerechnet jetzt ist der Schiffsarzt an Land. Mein Gott, das wird eine schöne Bescherung!»
Palliser schnippte mit den Fingern.»Wo ist dieser Mann, den Sie mit den anderen Neuen an Bord brachten? Dieser Apothekergehilfe, Mr. Bolitho!»
Rhodes antwortete schnell:»Ich hole ihn, Sir. Er hat schon Aushilfsdienst im Krankenrevier gemacht.»
Palliser sah Jury an.»Sagen Sie dem Bootsmannsmaat der Wache, er soll Leute zum Bootsheißen holen!«Er rieb sich das Kinn.»Das war kein Unfall.»
Die Boote der Einheimischen machten Platz, damit die Gig an den Großrüsten anlegen konnte.
Als die schlanke, unaufgeklärte Gig hochgeheißt und über die Laufbrücke eingeschwungen wurde, ging es wie ein Aufstöhnen durchs Schiff. Blut rann aus dem Boot an Deck, und Bolitho sah, wie der Apothekergehilfe mit Rhodes herbeieilte, um den leblosen Körper in Empfang zu nehmen.
Читать дальше