Herrick forschte nach einem Zeichen von Mitleid oder Triumph in Vibarts schweren Zügen. Doch sie zeigten lediglich steinerne Gleichmütigkeit. Captain Pomfret hatte Auspeitschungen zugesehen, als wären sie ein brutaler Sport. Der blutige Abschluß erregte ihn stets auf eine Weise, als hätte er einen perversen Sexualakt erlebt. Nichts davon bei Vibart. Vibart sah man überhaupt kein Gefühl an, ganz gleich welcher Art.
Herrick wandte sich hastig ab, als Vibart im Kajütsniedergang auftauchte und in den Wind schnüffelte. Vibart musterte den seltsam kupferfarbenen Himmel und sagte gedehnt:»Der Wind hat aufgefrischt. Wir werden in zehn Minuten die Segel bergen. «Sein Blick streifte Proby.»Haben Sie unsere Position? Unsere genaue Position?»
Proby nickte mürrisch.»Aye, Sir. Nevis liegt in Nordost voraus, etwa fünfzehn Meilen entfernt.»
Vibart musterte ihn durchdringend.»Ich hoffe um Ihretwillen, daß es stimmt, Mr. Proby. «Dann bellte er den Rudergänger an:»Paß auf, du Tölpel. Bleib hart am Wind.»
Herrick blickte hinauf. Das Schiff lief perfekt. Vibart wurde offenbar um so nervöser, je näher sie der Insel kamen. Nicht furchtsam. Er hatte bei keiner Gelegenheit irgendwelche
Zeichen von Furcht gezeigt. Nein, das lag tiefer, hatte mit der lauernden Möglichkeit eines Fehlschlags zu tun.
Vibart bemerkte, daß Herrick ihn ansah, und fauchte:»Haben Sie die Enterkommandos eingeteilt?»
«Aye, Sir. Alle Boote außer der Gig sind klar. Die Gig ist für diese Aufgabe nicht geeignet.»
«Das weiß ich selber, Mr. Herrick. «Vibarts Augen waren rot unterlaufen.»Sie übernehmen den Gesamtbefehl. Maynard, Packwood und Parker befehligen die anderen drei Boote. «Seine Blicke glitten finster über die an Deck beschäftigten Leute.»Als Steuermannsmaat ist Parker der ideale Mann, die Andiron unter Segel zu bringen, wenn Ihr Angriff Erfolg hat.»
«Ja, Sir. «Herrick wußte das alles. Er hatte jeden einzelnen Mann persönlich instruiert und dem festgelegten Plan gemäß eingeteilt.»Erwarten Sie starke Gegenwehr, Sir?»
«Wir sind jetzt drin. Es kommt nicht darauf an, was ich erwarte.»
Proby befragte seine große Taschenuhr und sagte:»Pfeifen Sie alle Mann an Deck. Klar zum Segelbergen.»
Herrick fragte sich, warum Vibart das so lange hinausgeschoben hatte. In der Ferne hatte er mehrmals Fischerboote gesehen. Es lag wirklich kein Sinn darin, die Eile der Phalarope noch durch Vollzeug anzuzeigen.
Die Matrosen kletterten die Wanten hinauf und zogen sich die schwankenden Rahen entlang. Bei der unbehaglichen Bewegung des Schiffs war das Segelbergen eine gefährliche Arbeit.
Vibart sagte mürrisch:»Auf diese Weise sind wir weniger leicht auszumachen. Und da der Wind ständig auffrischt, erspart es uns die Mühe, später Segelbergen zu müssen. «Er schien laut zu denken.
Proby legte die Hände um den Mund und rief heiser:»Marssegel und Klüver, mehr brauchen wir nicht. Schnell!»
Gefolgt von Vibarts Blicken und angetrieben durch die Rufe ihrer Maate, kämpften die Männer mit der schlagenden Leinwand und verfluchten den Wind und die tückischen Segel, die alles daransetzten, die Männer von den Rahen zu schleudern. Als sich Bramsegel und Großsegel schließlich den kämpfenden Matrosen ergaben und sich die Leinwandfläche verringerte, spürte Herrick, wie die Phalarope an Fahrt verlor.
Er beobachtete die langen Wellenberge und schätzte die Entfernung zwischen ihnen ab. In Lee von Nevis würde es geschützter sein, überlegte er, aber selbst dann würde es schwerfallen, die zum Angriff abgesetzten Boote zusammenzuhalten. Er sah Okes an der Leereling stehen und fragte sich, warum Vibart nicht Okes für das Kommando ausgewählt hatte. Wenn Okes sich gewandelt hatte und nun verläßlich war, hätte die Wahl eigentlich auf ihn fallen müssen.
Hauptmann Rennie schlenderte über das Achterdeck heran und sagte:»Meinen Glückwunsch, Herrick. Und Erfolg heute nacht! Ich käme gern mit, aber Seesoldaten sind dafür kaum geeignet.»
«Danke. «Herrick lächelte.
Rennie deutete auf Okes.»Man möchte meinen, unser kommandierender Offizier weiß mehr, als wir dachten, hm? Diese Attacke vertraut er einem Mann, der so weich wie Butter ist, nicht an.»
«Leise!«Herrick blickte flüchtig zum offenen Oberlicht.»Ihre Bemerkungen könnten ernstgenommen werden.»
Rennie zuckte mit den Schultern, senkte aber die Stimme.»Zum Henker mit der Vorsicht! Ich komme mir wie ein Mann auf einer dünnen Eisfläche vor.»
Er ging davon, und Herrick sah die Matrosen hinabklettern. Wenn bloß Bolitho hier wäre, um sie alle zu inspirieren und zu führen, dachte er. Er sah schon die Phalarope nach Antigua hineinsegeln — unter einem Vibart, der sich vor Selbstgefälligkeit aufblähte, während Hurrarufe und Glückwünsche ihre Rückkehr zur Flotte und zum Ruhm unterstrichen. Doch er würde Bitterkeit empfinden, dachte Herrick. Denn ohne Bolitho wäre die Phalarope nie so weit gekommen, und falls Vibart das Kommando behielt, sah er in der Tat für sich keine Zukunft.
Tobias Ellice kam den Niedergang herauf. Er führte die Hand an seinen schäbigen Hut und rülpste.»Kirk ist tot«, grunzte er dann abrupt.»Ich habe ihn fein säuberlich einnähen lassen.»
«Gut«, erwiderte Herrick.»Ich werde es im Logbuch eintragen. «Der Atem des Wundarztes roch nach Rum, und Herrick fragte sich, wie der Mann seinen Pflichten nachkommen konnte.
«Sie können auch eintragen, daß mir dieses Schiff und ihr alle bis hier steht. «Ellice schwankte betrunken und wäre gefallen, hätte Herrick ihn nicht gestützt.»Ihr behandelt sie wie Hunde«, murmelte er und schüttelte dann den Kopf.»Nein, nicht wie Hunde, die leben im Vergleich dazu wie Könige.»
Herrick betrachtete ihn verdrossen.»Sind Sie fertig?»
Ellice zog ein riesiges rotes Taschentuch aus dem Schoß seines Rockes und schnaubte laut.»Sie haben gut spotten, Mr. Herrick. Sie legen heute nacht ab, um Ruhm zu erlangen und zu kämpfen. «Er bleckte die Zähne und versuchte, Herrick mit seinen wäßrigen Augen klar zu erkennen.»Aber Sie werden ein anderes Lied singen, wenn Sie unten bei mir darauf warten, daß die Säge Ihren hübschen Arm, ein Bein oder gar zwei abtrennt.»
«Nur zwei?«Herrick musterte ihn mit bitterem Humor.
Ellice wurde plötzlich ernst, sein vom Rum umnebelter Verstand hakte sich an Herricks Frage fest.»Man kann ohne sie leben, mein Junge. Ich habe es oft gesehen.»
Herrick sah ihm nach, als er zur Heckreling ging. Wieder war ein Mann gestorben. Wer kam als nächster an die Reihe?
Bryan Ferguson nahm noch ein Entermesser aus der tiefen Lade und reichte es Old Ben Strachan. Strachan prüfte die Klinge, beugte sich über den Schleifstein und zog das Entermesser über den rotierenden Stein. Seine Augen blitzten hell in den fliegenden Funken.
Ferguson blickte durch das Zwischendeck. Das Schiff rollte und stampfte, und die schaukelnden Laternen warfen hüpfende Schatten. Merkwürdig, wie es ihm jetzt gelang, das Gleichgewicht zu halten, ja selbst sein Magen widerstand nun der lauernden Qual der Seekrankheit. Im Vergleich zu dem sonstigen Leben war das niedrige Zwischendeck heute merkwürdig menschenleer. Bis auf die Männer, die zum Enterkommando gehörten, waren alle an Deck, um das Schiff für die Aktion vorzubereiten. Old Strachan konzentrierte sich auf sein Messerschleifen. Während Ferguson ihn beobachtete, hörte er das drohende Rumpeln der Lafetten. Offenbar wurden die Kanonen sorgfältig geladen und dann wieder hinter den geschlossenen Stückpforten verlascht. Die Decks waren bereits mit Sand bestreut, und er hörte Mr. Brock seinem Magazinkommando letzte Instruktionen erteilen.
Starker Rumgeruch drang in das Zwischendeck, und Ferguson drehte sich zu den unten verbliebenen, eng beieinander sitzenden Leuten um, die sich eine kurze Ruhepause gönnen durften, ehe sie in die Boote mußten.»Wie wird es ablaufen?«fragte er Strachan.»Was meinst du?»
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