Noch einmal brandete Hurrageschrei auf, und Bolitho sah Soames mit seiner Entermannschaft in den Großmastwanten des Gegners; Musketen feuerten auf kürzeste Entfernung in das Gewimmel unter ihm; Soames kreuzte die Klinge mit der eines großen schlanken Offiziers — Le Chaumareys' Erstem Leutnant, wie sich Bolitho erinnerte.
Soames rutschte aus und fiel auf eine umgestürzte Kanone, und der Franzose holte zum tödlichen Stich aus. Aber ein Seesoldat hatte es gesehen; seine Musketenkugel riß den Hinterkopf des Franzosen weg und warf ihn wie eine Stoffpuppe über die Reling.
Bolitho merkte, daß Allday ihn am Arm schüttelte, um ihm etwas begreiflich zu machen.»Der Laderaum, Captain!«brüllte er und stieß seinen Entersäbel in Richtung der Hauptluke.»Die Hunde haben Feuer gelegt!»
Bolitho starrte hin; der Kopf schwirrte ihm von Kampf- und Siegesgeschrei, dem wahnwitzigen Wüten des Nahkampfes. Schon verdichtete sich der Rauch. Vielleicht hatte Allday recht, vielleicht hatte aber auch nur ein brennender Stopfen aus einem Geschütz der Undine mit Soames' letzter Breitseite seinen Weg in den Rumpf der Fregatte gefunden. So oder so, wenn er nicht sofort handelte, würden beide Schiffe vernichtet werden.
Er schrie:»Hauptmann Bellairs! Zurück!»
Bellairs glotzte ihn verständnislos an; Blut tropfte ihm aus einer Stirnwunde. Dann aber schien er sich wieder unter Kontrolle zu bekommen und rief:»Zur Retraite!«Er sah sich nach seinem Sergeanten um, dessen Riesenkörper irgendwie von Stahl und Kugeln verschont geblieben war.»Coaker! Schreiben Sie den Kerl auf, wenn er nicht gehorcht!»
Coaker griff nach einem Trommelbub der Marineinfanterie, aber er war tot; blicklos starrten seine Augen den Sergeanten an, der ihm die Trompete aus den schlaffen Fingern wand und mit aller Kraft das Rückzugsignal blies.
Den Kampf abzubrechen, fiel ihnen beinahe schwerer als vorher das Entern. Schritt für Schritt wichen sie zurück; hier und dort starb noch ein Mann oder sprang in den Raum zwischen den beiden Schiffsrümpfen, um nicht niedergemacht zu werden. Die Piraten hatten mittlerweile gemerkt, in welcher Gefahr ihr eigenes Schiff war, und schienen nur darauf bedacht, so schnell wie möglich von Bord zu kommen.
Die ersten Flammenzungen leckten bereits durch eine Luke. Die liegengelassenen Verwundeten schrien im Chor auf, aber in Sekundenschnelle brannten die Grätings und das nächste Bootslager lichterloh.
Bolitho packte die Webeleinen und warf einen letzten Blick auf die Fregatte. Seine Männer sprangen bereits auf den Decksgang der Undine hinüber. Vorn waren Shellabeer und seine Gehilfen schon dabei, die Taue zu kappen, welche die beiden Schiffe aneinanderfesselten, die vollen Bramrahen schon rundgebraßt, das Ruder gelegt, begann die Undine sich zu lösen, glücklicherweise hielt der Wind Rauch und Funken von ihren Segeln und dem verwundbaren Rigg fern.
«Was jetzt, Sir?«keuchte Mudge.
Bolitho sah die gegnerische Fregatte nach achtern gleiten. Immer noch schössen ein paar Verrückte über den sich schnell vergrößernden Zwischenraum hinweg.
«Eine letzte Breitseite, Mr. Soames!«rief er.
Aber es war schon zu spät. Eine riesige Flammenwand barst durch das Geschützdeck der Fregatte, wuchs gen Himmel und entzündete den Vormaststumpf mit den restlichen Segeln; wie ein Waldbrand sprang sie auf die Rahen des Großmastes über.
Wie aus weiter Entfernung hörte Bolitho seine eigene Stimme:»Das Fockreff raus, und zwar schnell! Den Weg, den wir gekommen sind, können wir nicht zurück, ihr Bordmagazin muß jeden Moment hochgehen. Also probieren wie lieber die östliche Durchfahrt!»
«Ist vielleicht zu flach, Sir«, wandte Mudge ein.
«Wollen Sie lieber verbrennen, Mr. Mudge?»
Er ging zur Heckreling, um die Fregatte zu beobachten, deren Kampanje jetzt in hellen Flammen stand: immerhin ein englisches Schiff — aber so war es wohl besser.
Er drehte sich um und sagte schroff:»Mr. Davy, ich brauche einen genauen Schadensbericht. «Er sah an Davys Augen, daß die Trunkenheit des Kampfes bereits von ihm gewichen war.»Und die Verlustliste!»
Die Rahen schwangen herum, die Segel, durchlöchert und rauchgeschwärzt, füllten sich in der Brise. Die Durchfahrt war anscheinend breit genug: sie hatten eine Kabellänge Raum an Steuerbord, etwas mehr an Backbord. Er hatte schon Schwierigeres geschafft.
«Boot voraus, Sir!«Keen stand mit dem Fernrohr in den Wanten.»Mit bloß zwei Mann an Bord!»
Mudge rief:»Ich halte sie stetig, Sir. Wir steuern beinahe wieder Nordost, aber ich weiß nicht… »
Der Rest seiner Worte ging in Keens Kreischen unter:»Sir! Sir!«Ungläubig starrte er auf Bolitho herab.
«Nehmen Sie sich zusammen, Mr. Keen!«blaffte Davy.
Aber Keen schien ihn nicht zu hören.»Das ist Mr. Herrick!»
Bolitho sprang neben ihn in die Wanten. Das Boot war nur ein Wrack, und die hagere Gestalt, die jetzt einen Fetzen Tuch überm Kopf schwenkte, sah wie eine Vogelscheuche aus. Halb im Wasser, lag auf dem Boden des vollgeschlagenen Bootes tatsächlich Herrick.
Bolithos Hand mit dem Teleskop zitterte. Er sah jetzt Herricks Gesicht, aschgrau unter Verbänden. Dann öffneten sich seine Augen, denn der andere Mann schien ihm die Neuigkeit zuzurufen — es kam Bolitho vor, als verstünde er jedes
Wort.
Er befahl:»Weitergeben an Bootsmann! Er soll das Boot mit dem Draggen längsseits holen. «Er faßte den Midshipman am Arm.»Und sagen Sie ihm, er soll sich Mühe geben, sonst… Eine zweite Chance bekommt er nicht!»
Allday war unter Deck gegangen, um irgend etwas zu holen. Jetzt war er wieder da und sah sich erstaunt um, bis Bolitho gelassen sagte:»Der Erste Leutnant kommt an Bord. Gehen Sie nach vorn, und heißen Sie ihn in meinem Namen willkommen,
ja?»
Als die Fregatte einen flachen Landbuckel passierte, kam die Sonne hervor, um sie zu grüßen, ihnen die schmerzenden Glieder zu wärmen und den Schock der überstandenen Schlacht ein wenig zu lindern. Das Krachen einer dumpfen Explosion tönte von der Hauptdurchfahrt herüber, und noch mehr Rauch stieg über dem nächstliegenden Land empor: er verkündete ihnen den Wind, der sie auf dem offenen Meer erwartete, und die endgültige Vernichtung der feindlichen Fregatte. Aber ob Muljadi an Bord gewesen war, das wußte Bolitho nicht, und der entscheidende Kampf stand ihnen noch bevor.
Er hörte Rufe vom Vorschiff und dann ein Hurra, als einige Matrosen in das sinkende Boot kletterten, um Herrick und seinen Gefährten an Bord zu holen.
Nun, dachte Bolitho, was uns auch hinter jenen grünen Hügeln erwartet — Sieg oder Niederlage — , wir sind jedenfalls wieder zusammen.
XVIII Im Namen des Köni gs
«Zwei Strich Backbord!»
Bolitho versuchte, an Deck auf und ab zu gehen, aber er konnte seiner Nervosität nicht Herr werden. Noch waren die Spuren der Schlacht an Bord nicht beseitigt. Vor einigen Stunden waren sie in die östliche Durchfahrt eingebogen; unter einem Minimum an Leinwand tasteten sie sich zum offenen Meer; zwei Mann hingen im Wasserstag und loteten ständig.
Seit einer Stunde antwortete er auf Fragen, hörte sich Berichte und Meldungen an: zehn Tote, fünfzehn Verwundete, die Hälfte davon schwerverwundet. Eine ziemlich kleine Verlustliste in
Anbetracht dessen, was sie geleistet hatten; aber das tröstete ihn wenig, wenn er die Reihe der an Deck liegenden vernähten Hängematten ansah — ein nicht ungewohnter Anblick — , oder wenn wilde Schmerzensschreie aus der Hauptluke gellten.
Wenn nur Allday endlich kommen und ihm berichten würde, was mit Herrick war! Er hatte den überlebenden Matrosen schon befragt, es war Lincoln mit der grotesken Narbe im Gesicht, durch die er aussah, als grinse er ständig.
Bolitho hatte bemerkt, daß Lincoln alles noch einmal durchlebte, als er stotternd berichtete; er schien sich gar nicht bewußt zu sein, daß sein Kapitän und die Offiziere um ihn herumstanden — ja, er schien noch gar nicht richtig begriffen zu haben, daß er tatsächlich lebte.
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