»Hier? Jetzt?«
»Ganz genau, Commander.« Hacklett wankte volltrunken durch den Raum und schlug dem Soldaten klatschend auf die Schulter. »Und ich werde dabei zuschauen und mich amüsieren.«
»Nein!«, kreischte Mrs Hacklett.
Ihre Stimme war gellend laut, doch keiner der beiden Männer schien sie wahrzunehmen. Sie stierten einander betrunken an.
»Auf Ehre«, sagte Scott. »Ich weiß nicht, ob das klug ist.«
»Unsinn«, sagte Hacklett. »Ihr habt einen Ruf zu verteidigen. Immerhin ist sie eine Gespielin, die eines Königs würdig ist – oder zumindest eines Königs würdig war. Nehmt sie Euch, Mann.«
»Verdammt«, sagte Commander Scott und kam unsicher auf die Beine. »Verdammt, Sir, ich mach’s. Was gut genug für einen König war, ist gut genug für mich. Ich mach’s.« Und damit begann er, an der Gürtelschnalle seiner Kniehose zu nesteln.
Commander Scott war stockbetrunken, und seine Gürtelschnalle bereitete ihm Schwierigkeiten. Mrs Hacklett kreischte los. Ihr Mann durchquerte die Bibliothek und ohrfeigte sie erneut. Ihr platzte die Lippe auf, und Blut sickerte ihr aufs Kinn.
»Die Hure eines Piraten – oder eines König – sollte sich nicht so zieren. Commander Scott, verlustiert Euch.«
Und Scott wankte auf die Frau zu.
»Bring mich hier raus«, flüsterte Gouverneur Almont seiner Nichte zu.
»Aber Onkel, wie?«
»Töte den Wachposten«, sagte er und reichte ihr eine Pistole.
Lady Sarah Almont nahm die Pistole, die sich in ihren Händen völlig ungewohnt anfühlte.
»So wird sie gespannt«, sagte Almont und zeigte es ihr. »Jetzt sei schön vorsichtig! Geh zur Tür, bitte den Wachmann, dich rauszulassen, und schieß –«
»Schießen? Wie denn?«
»Direkt ins Gesicht. Du darfst keinen Fehler machen, meine Liebe.«
»Aber Onkel …«
Er funkelte sie an. »Ich bin ein kranker Mann«, sagte er. »Hilf mir.«
Sie machte ein paar Schritte auf die Tür zu.
»Jag ihm die Kugel in den Rachen«, sagte Almont mit einer gewissen Genugtuung. »Er hat’s verdient, der verräterische Hund.«
Sie klopfte an die Tür.
»Was ist, Miss?«, fragte der Wachmann.
»Aufmachen«, sagte sie. »Ich möchte gehen.«
Ein Schaben und ein metallisches Klicken ertönte, als sich der Schlüssel im Schloss drehte. Die Tür öffnete sich. Lady Sarah sah den Wachmann, einen Jungen von neunzehn Jahren, frisch und arglos, mit einem verwunderten Ausdruck im Gesicht. »Wie Eure Ladyschaft wünschen …«
Sie feuerte auf seinen Mund. Die Explosion riss ihr den Arm hoch und schleuderte den Jungen nach hinten, als hätte ihn ein Faustschlag ins Gesicht getroffen. Im Fallen drehte er sich, und als er auf dem Boden lag, rollte er auf den Rücken. Entsetzt sah sie, dass er kein Gesicht mehr hatte, bloß eine blutige breiige Masse über den Schultern. Der hingestreckte Körper zuckte noch einige Augenblicke. Urin durchnässte den Stoff seiner Hose, und Kotgeruch breitete sich aus. Dann rührte der Körper sich nicht mehr.
»Hilf mir hoch«, krächzte ihr Onkel, der Gouverneur von Jamaika, und setzte sich schwerfällig im Bett auf.
Hunter versammelte seine Männer am Nordrand von Port Royal, unweit des Festlandes. Seine wichtigste Aufgabe war rein politischer Natur: Er musste erreichen, dass das gegen ihn gefällte Urteil aufgehoben wurde.
Drängender war jedoch die Frage, wie er auf die ungerechte Behandlung reagieren sollte, denn Hunters Ruf in der Stadt stand auf dem Spiel.
Im Geiste sah er acht Namen vor sich:
Hacklett
Scott
Lewisham, der Richter der Admiralität
Foster und Poorman, die Kaufleute
Lieutenant Dodson
James Phips, Handelskapitän
Und vor allem Sanson
Jeder Einzelne dieser Männer hatte gewusst, dass er Unrecht tat. Jeder Einzelne hatte sich aus der Beschlagnahmung der Galeone einen Gewinn erhofft.
Die Gesetze der Freibeuter waren da unmissverständlich; Betrug und Verrat wurden mit Tod und Beschlagnahmung der Anteile bestraft. Doch das bedeutete zugleich, dass er etliche angesehene Bürger der Stadt töten musste. Er wusste, er war dazu in der Lage, doch falls Sir James nicht unbeschadet überlebte, könnte das später schlimme Folgen für ihn haben.
Falls Sir James noch bei Verstand war, hatte er sich längst in Sicherheit gebracht. Darauf musste Hunter vertrauen, beschloss er. Und jetzt war es seine Aufgabe, alle zu töten, die ihm in den Rücken gefallen waren.
Kurz vor Tagesanbruch befahl er seinen Leuten, sich in die Blue Hills im Norden Jamaikas zurückzuziehen und zwei Tage dortzubleiben.
Dann kehrte er allein in die Stadt zurück.
Foster, ein wohlhabender Seidenhändler, besaß ein großes Haus auf der Pembroke Street, nordöstlich der Werften. Hunter schlich sich an der Außenküche vorbei durch die Hintertür ins Haus und stieg die Treppe hoch zum Schlafgemach im ersten Stock.
Foster und seine Frau lagen schlafend im Bett. Hunter weckte ihn, indem er ihm eine Pistole leicht gegen die Nasenlöcher drückte.
Foster, ein dicklicher Mann um die fünfzig, schnaubte und schniefte und rollte sich weg. Hunter schob ihm die Pistolenmündung in ein Nasenloch.
Foster blinzelte und öffnete die Augen. Er setzte sich im Bett auf, ohne ein Wort zu sagen.
»Lieg doch mal still«, murmelte seine Frau verschlafen. »Du bist so unruhig.« Doch sie wachte nicht auf. Hunter und Foster starrten einander an. Foster blickte von der Pistole zu Hunter und wieder zurück.
Schließlich hob Foster einen Finger in die Luft und schob sich vorsichtig aus dem Bett. Seine Frau schlief noch immer. Im Nachthemd tappte Foster durch den Raum zu einer Truhe.
»Ich werde Euch gut bezahlen«, wisperte er. »Da, seht.« Er öffnete ein Geheimfach und holte einen Beutel Gold hervor, der sehr schwer war. »Ich habe noch mehr, Hunter. Ich zahle Euch, so viel Ihr wollt.«
Hunter sagte nichts. Foster, im Nachthemd, streckte den Arm mit dem Beutel Gold aus. Sein Arm zitterte.
»Bitte«, flüsterte er. »Bitte, bitte …«
Er fiel auf die Knie.
»Bitte, Hunter, ich flehe Euch an, bitte …«
Hunter schoss ihm ins Gesicht. Der Körper wurde nach hinten geworfen, die Beine flogen hoch und die nackten Füße strampelten in der Luft. Seine Frau im Bett wurde nicht mal wach, sondern drehte sich mit einem verschlafenen Stöhnen auf die andere Seite.
Hunter nahm den Beutel Gold und verschwand so lautlos, wie er gekommen war.
Poorman, der seinen Namen – »armer Mann« – Lügen strafte, war ein reicher Kaufmann, der mit Silber und Zinn handelte. Sein Haus lag an der High Street. Er saß schlafend am Küchentisch, vor sich eine halb leere Flasche Wein.
Hunter nahm ein Küchenmesser und schlitzte Poorman die Handgelenke auf. Poorman erwachte verwirrt, sah Hunter und dann sah er das Blut, das über den Tisch lief. Er hob die blutenden Hände, konnte sie aber nicht bewegen; die Sehnen waren durchtrennt, und die Hände hingen schlaff herab, Stoffpuppenfinger, die bereits gräulich weiß wurden.
Er ließ die Arme wieder auf den Tisch fallen und glotzte auf das Blut, das Lachen auf dem Holz bildete und durch die Ritzen auf den Boden tropfte. Er sah Hunter an. Sein Gesicht war neugierig, seine Miene verwundert.
»Ich hätte bezahlt«, sagte er heiser. »Ich hätte getan, was Ihr … was Ihr …«
Er stand vom Tisch auf und blieb schwankend stehen, die verletzten Arme angewinkelt. In der Stille des Raumes plätscherte das Blut mit sonderbarer Lautstärke auf den Boden.
»Ich hätte …«, setzte Poorman an und dann taumelte er nach hinten und kippte der Länge nach hin.
»Ihr, Ihr, Ih, Ih«, sagte er, schwächer und schwächer. Hunter wandte sich ab, ohne abzuwarten, bis der Mann tot war. Er tauchte wieder in die Nachtluft und schlich lautlos durch die dunklen Straßen von Port Royal.
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