»Aye, Lady, und das gilt auch für den Schlüssel.«
»Na, den Schlüssel habt Ihr ja schon«, sagte sie. »Aber das mit dem Schloss wird noch etwas warten müssen. Lasst mir ein paar Minuten Zeit, um den hungrigen Hund da drin zu füttern, dann können wir uns um Schlüssel und Schloss kümmern, wie Ihr es nicht mehr vergessen werdet.«
Der Wärter lachte und entriegelte die Tür. Sie betrat die Zelle, die Tür hinter ihr schloss sich, doch der Wärter war mit hereingekommen.
»Lasst mich doch kurz mit dem Mann allein«, sagte sie, »wie es der Anstand gebührt.«
»Ist nicht erlaubt.«
»Wen kümmert das?«, sagte sie, sah den Wärter an und fuhr sich langsam mit der Zunge über die Lippen.
Er grinste und ging hinaus.
Sobald er die Tür von außen geschlossen hatte, stellte sie den Topf auf die Erde und musterte Hunter. Der erkannte sie nicht, aber er war hungrig, und vom Duft des Schildkrötenragouts lief ihm das Wasser im Munde zusammen.
»Ihr seid überaus freundlich«, sagte er.
»Ich habe Euch noch mehr mitgebracht«, sagte sie und zog sich mit einer flinken Bewegung die Röcke hoch bis zur Taille. Es war eine erstaunlich unzüchtige Geste, doch noch erstaunlicher war, was zum Vorschein kam.
Sie hatte ein wahres Waffenarsenal an Waden und Oberschenkel geschnallt – zwei Messer, zwei Pistolen.
»Man sagt, ich sei ein gefährliches Weibsbild«, erklärte sie. »Jetzt wisst Ihr, warum.«
Rasch nahm Hunter die Waffen an sich und steckte sie sich in den Gürtel.
»Seid vorsichtig, Sir, nicht dass Eure Waffe vorzeitig losgeht.«
»Seid unbesorgt, ich komme stets erst im rechten Moment zum Schuss.«
»Kann ich mich darauf verlassen?«
»Das könnt Ihr«, erwiderte Hunter. »Mein Wort darauf.«
Sie blickte zur Tür.
»Ich werde Euch ein anderes Mal beim Wort nehmen«, sagte sie. »Bis dahin, werde ich geschändet?«
»Das halte ich für das Beste«, sagte Hunter und warf sie zu Boden.
Sie schrie und kreischte, und der Wärter kam angerannt. Er erkannte sofort, was sich da abspielte, entriegelte hastig die Tür und stürzte in die Zelle.
»Du verdammter Pirat«, knurrte er, doch da bohrte sich schon Hunters Messer in seinen Hals, und er taumelte rückwärts, fasste nach der Klinge unter seinem Kinn. Als er sie herauszog, spritzte Blut heraus, eine gurgelnde Fontäne, dann brach er zusammen und starb.
»Rasch, Lady«, sagte Hunter und half Anne Sharpe auf die Beine. Aus den übrigen Zellen ringsherum drang kein Laut. Die Männer hatten alles mit angehört und waren mucksmäuschenstill. Hunter öffnete rasch ein paar Zellentüren. Dann gab er den Freigelassenen die Schlüssel und ließ sie weitermachen.
»Wie viele Wachen stehen an den Toren?«, fragte er Anne Sharpe.
»Ich habe vier gesehen«, sagte sie, »und ein weiteres Dutzend oben auf den Mauern.«
Das stellte Hunter vor ein Problem. Die Wachen waren Engländer, und er wollte nicht mehr töten als unbedingt notwendig.
»Wir müssen uns etwas einfallen lassen«, sagte er. »Ruft den Hauptmann zu Euch.«
Sie nickte und eilte hinaus auf den Hof. Hunter blieb zurück, im Schatten. Die Kaltblütigkeit der Frau, die doch eben erst mit angesehen hatte, wie ein Mann brutal erstochen wurde, verwunderte ihn nicht. Ihr war die Furchtsamkeit fremd, die von Frauen am französischen und spanischen Hofe gepflegt wurde. Englische Frauen waren dagegen zäh, mitunter gar zäher als so mancher Mann, und das galt gleichermaßen für Frauen von niedriger wie von hoher Geburt.
Der Hauptmann der Wache von Marshallsea kam zu Anne Sharpe herüber und sah erst im letzten Augenblick den Lauf von Hunters Pistole aus dem Schatten ragen. Hunter winkte ihn zu sich.
»Jetzt hört gut zu«, sagte Hunter. »Ruft Eure Männer nach unten und sagt Ihnen, sie sollen ihre Musketen fallen lassen, dann wird keiner sein Leben verlieren. Wenn Ihr es dagegen auf einen Kampf ankommen lasst, werden sie alle mit Sicherheit sterben.«
Der Hauptmann sagte: »Ich habe mit Eurer Flucht gerechnet, Sir, und ich hoffe, Ihr denkt in Zukunft an mich.«
»Wir werden sehen«, sagte Hunter, ohne etwas zu versprechen.
Mit förmlicher Stimme fragte der Hauptmann: »Werdet Ihr Euch morgen um Commander Scott kümmern?«
»Commander Scott«, sagte Hunter, »wird den morgigen Tag nicht mehr erleben. Jetzt tut, was ich Euch gesagt habe.«
»Ich hoffe, Ihr denkt an mich –«
»Vielleicht«, sagte Hunter, »werde ich daran denken, Euch nicht die Kehle durchzuschneiden.«
Der Hauptmann rief seine Männer nach unten, und Hunter sah zu, wie sie von den Freigelassenen in die Zellen gesperrt wurden.
Sobald Mrs Hacklett Richards ihre Anweisungen erteilt hatte, kehrte sie an die Seite ihres Gemahls zurück. Er war zusammen mit Commander Scott in der Bibliothek und trank Wein. In den letzten Tagen hatte es der Weinkeller des Gouverneurs den beiden Männern angetan, und sie genossen ihn in vollen Zügen.
Auch an diesem Abend hatten beide bereits viel zu tief ins Glas geschaut.
»Meine Teuerste«, sagte ihr Mann, als sie den Raum betrat, »du kommst wie gerufen.«
»Ach ja?«
»Ja«, sagte Robert Hacklett. »Ich habe Commander Scott nämlich soeben erläutert, dass der Pirat Hunter dich geschwängert hat. Wie dir natürlich klar ist, wird er bald am Galgen baumeln, bis ihm das Fleisch von den Knochen fault. Mir wurde gesagt, dass das in diesem bestialischen Klima sehr schnell geht. Aber dass hier so manches schnell geht, hast du ja bereits am eigenen Leibe erfahren, nicht wahr? Übrigens, wo wir gerade von deiner Verführung sprechen, über die Einzelheiten des Ereignisses war Commander Scott gar nicht im Bilde. Ich habe ihn in Kenntnis gesetzt.«
Mrs Hacklett wurde puterrot.
»So züchtig«, sagte Hacklett, mit einem gehässigen Unterton in der Stimme. »Niemand würde in ihr eine gemeine Hure vermuten. Und doch ist sie genau das. Was, glaubt Ihr, würden ihre Gefälligkeiten einbringen?«
Commander Scott schnupperte an seinem parfümierten Taschentuch. »Darf ich freimütig sein?«
»Unbedingt, seid freimütig. Seid freimütig.«
»Sie ist zu mager für den üblichen Geschmack.«
»Seiner Majestät hat sie durchaus gefallen –«
»Mag sein, mag sein, aber sein Geschmack ist schließlich nicht üblich, oder? Unser König hat eine Vorliebe für heißblütige exotische Frauen –«
»Wie auch immer«, sagte Hacklett gereizt. »Was würde sie einbringen?«
»Ich würde meinen, nicht mehr als – na ja, wenn man berücksichtigt, dass sie in den Genuss der königlichen Lanze gekommen ist –, auf keinen Fall mehr als hundert Reales.«
Mrs Hacklett, die noch dunkler angelaufen war, wandte sich zum Gehen. »Das höre ich mir nicht länger an.«
»Oh doch«, sagte ihr Mann, sprang aus seinem Sessel hoch und versperrte ihr den Weg. »Du hörst dir noch einiges mehr an. Commander Scott, Ihr seid ein welterfahrener Mann. Würdet Ihr hundert Reales bezahlen?«
Scott verschluckte sich an seinem Wein und hustete. »Ich nicht, Sir«, sagte er.
Hacklett packte den Arm seiner Frau. »Welchen Preis würdet Ihr zahlen?«
»Fünfzig Reales.«
»Abgemacht!«, sagte Hacklett.
»Robert!«, sagte seine Frau entrüstet. »Um Himmels willen, Robert –«
Robert Hacklett ohrfeigte seine Frau so heftig, dass sie durch den Raum taumelte und benommen in einen Sessel sank.
»Wohlan, Commander«, sagte Hacklett. »Ihr seid ein Ehrenmann. Ich gewähre Euch Kredit.«
Scott spähte über den Rand seines Glases. »Wie meinen?«
»Ich sagte, ich gewähre Euch Kredit. Nehmt Euch, was Euch zusteht.«
»Wie? Ihr meint, ähm …« Er deutete auf Mrs Hacklett, die ihn mit vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen anstarrte.
»Allerdings meine ich das, und zwar sofort.«
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