Ein Schrei veranlasste ihn, seine Aufmerksamkeit wieder dem Platz zuzuwenden, wo sich ein widerspenstiger Gefangener gegen die Hände zur Wehr setzte, die ihn auf das Podest hoben. Der Widerstand des Mannes war vergebens. Er wurde auf die Garotte gezwungen und auf dem Stuhl festgeschnallt. Das Eisen wurde um seinen Hals gebogen und die Zunge des Kragens in den Schlitz eingeführt, wo die Schraube ansetzen würde. Alzaga bekreuzigte sich. »Pax et misericordia et tranquillitas!«
Der Körper des Gefangenen in der gelben Robe zuckte krampfhaft, als sich der eiserne Kragen um seinen Hals schloss, um ihm das Rückgrat zu brechen und ihm den Atem zu rauben. Seine mageren Hände kratzten über die Armlehnen des Stuhls, dann erschlaffte er.
Sharpe ging davon aus, dass dieser rasche Tod Graf von Mouromortos Schicksal gewesen wäre, wenn er sich nicht in dem französisch besetzten Palast in Sicherheit gebracht hätte.
»Warum«, fragte er Louisa unvermittelt, »ist der Graf in der Stadt geblieben?«
»Ich weiß es nicht. Kommt es darauf an?«
Sharpe zuckte mit den Schultern. »Ich habe ihn noch nie ohne de l'Eclin gesehen. Und dieser Oberst ist ein kluger Mann.«
»Sie sind auch klug«, sagte Louisa warmherzig. »Wie viele Soldaten kennen sich mit Fußangeln aus?«
Vivar drängte sich durch die Menge und kletterte die Stufen empor. »Die Essen werden aufgeheizt. Gegen sechs Uhr werden Sie ein paar Hundert dieser Dinger haben. Wo sollen sie hingebracht werden?«
»Schicken Sie sie einfach zu mir«, sagte Sharpe.»Wenn Sie das nächste Mal die Glocken läuten hören, werden Sie wissen, dass das Gonfalon entfaltet wurde. Dann können Sie den Rückzug antreten.« »Das ist hoffentlich bald!«
»Kurz nach sechs«, sagte Vivar. »Früher geht es nicht. Haben Sie gesehen, was die Franzosen in der Kathedrale angerichtet haben?«
»Nein.« Und Sharpe wollte es auch nicht wissen. Ihm ging es nur um einen gerissenen französischen Oberst, einen Jäger der Kaiserlichen Garde. Dann erklang aus südwestlicher Richtung ein vereinzelter Gewehrschuss, und er rannte los.
Der Schuss kündete nicht vom Eintreffen de l'Eclins, sondern vom Herannahen einer Patrouille der Cazadores. Ihre Pferde waren in Blut und Schweiß gebadet, so heftig hatten sie von der Peitsche Gebrauch gemacht. Vivar, der Sharpe begleitet hatte, übersetzte die Nachricht der Patrouille. »Sie haben französische Dragoner gesehen.«
»Wo?«
»Etwa zwei Meilen in Richtung Südwest.«
»Wie viele?«
»Hunderte.« Vivar übersetzte den eifrigen Bericht seiner Patrouille. »Die Franzosen haben sie verfolgt, und es war reines Glück, dass sie entkommen sind.« Er hörte zu, als weitere aufgeregte Worte fielen. »Und sie haben den Gardejäger gesehen.« Vivar lächelte. »So! Wir wissen, wo sie im Augenblick sind. Nun müssen wir sie nur noch von der Stadt fernhalten.«
»Ja.« Die Nachricht, dass der Feind endlich nahte, lenkte Sharpe von seinen bösen Vorahnungen ab. Seine Nervosität hatte sich hauptsächlich auf Oberst de l'Eclins Gerissenheit konzentriert, doch das prosaische Wissen, auf welcher Straße der Feind herankam und wie weit seine Streitmacht noch entfernt war, ließ ihn als eine weniger dämonische Macht erscheinen.
Vivar folgte den erschöpften Reitern durch die Bresche in der Barrikade. »Hören Sie die Hämmer?«, rief er zurück.
»Hämmer?« Sharpe runzelte die Stirn, dann hörte er tatsächlich das Echo von Hammerschlägen auf Ambossen. »Fußangeln?«
»Ich werde sie Ihnen schicken, Lieutenant.« Vivar machte sich bergan auf den Weg. »Viel Spaß!«
Sharpe sah dem Major nach, dann folgte er einer Eingebung, schlängelte sich um die Barrikade herum und rannte ihm die gepflasterte Straße entlang nach. »Sir?«
»Lieutenant?«
Sharpe vergewisserte sich, dass seine Männer ihn nicht hören konnten. »Ich möchte mich dafür entschuldigen, was in der Taverne vorgefallen ist, Sir. Ich ...«
»Was für eine Taverne? Ich war den ganzen Tag noch nicht in einer Taverne. Morgen vielleicht, wenn wir diesen Hundesöhnen entkommen sind, werden wir uns eine Taverne suchen. Aber heute?« Vivars Gesicht war todernst. »Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen, Lieutenant.«
»Jawohl, Sir. Danke, Sir.«
»Es gefällt mir nicht, wenn Sie mich ›Sir‹ nennen«, sagte Vivar lächelnd. »Das bedeutet, dass Sie nicht streitlustig sind. Aber ich brauche Sie in streitlustiger Stimmung, Lieutenant. Ich muss sicher sein, dass die Franzosen sterben werden.«
»Sie werden sterben, Sir.«
»Sie haben Männer in den Häusern postiert?« Vivar meinte die Häuser an der Straße außerhalb der Stadtgrenzen.
»Jawohl, Sir.«
»Sie können uns dort nicht vor einem Angriff aus dem Westen verteidigen, oder?«
»Er wird nicht von Westen her erfolgen, Sir. Wir werden den Feind als Erstes im Westen zu sehen bekommen, aber angreifen wird er von Süden her.«
Es war nicht zu übersehen, dass Vivar über Sharpes Vorkehrungen nicht glücklich war, aber er hatte Vertrauen in das Können des Schützen, und dieses Vertrauen veranlasste ihn, seinen Protest herunterzuschlucken.
»Sie sind der typische britische Soldat«, sagte er, »sprechen von Tavernen, wenn Sie zu arbeiten haben.« Er lachte und wandte sich ab.
Mit dem Gefühl, dass ihm verziehen sei, kehrte Sharpe auf die befestigte Hügelkuppe zurück, wo hinter einer Brustwehr aus Gestrüpp, das zwischen drei Baumstümpfen verteilt worden war, zwei Dutzend Schützen warteten. Sie hatten von der Hügelkuppe eine schöne Aussicht, aber Sharpe war überzeugt, dass dieser stark besetzte Wachtposten, sobald der Feind zum Angriff übergegangen war, hinunter in die Häuser beordert werden musste, wo die übrigen Rifles warteten. Der Angriff würde im Süden erfolgen, nicht im Westen.
»Ihr habt den Major gehört!«, ermahnte er die Schützen. »Die Schweinehunde sind im Anmarsch! Noch eine Stunde, dann sind sie da.«
Tatsächlich sollte es fast noch drei Stunden dauern. Drei Stunden wachsender Besorgnis, dass die Dragoner etwas Gemeines im Schilde führen könnten, drei Stunden, während deren die ersten klirrenden Säcke voller Fußangeln auf die Hügelkuppe gebracht wurden. Erst dann gaben die beiden Cazadores, die am Rand der Senke postiert waren, ihren Pferden die Sporen und kamen zurück in die Stadt geritten. »Dragóns! Dragóns!« Sie hoben die Hände über den Kopf, um die Form französischer Helme nachzuzeichnen, und zeigten gen Westen in die Senke.
»Sí!«, rief Sharpe. »Gracias!«
Die Rifles, von denen sich einige über die bösartigen kleinen Dorne der Fußangeln amüsiert hatten, bezogen wieder hinter den Barrikaden Stellung. Die Landschaft blieb leer. Sharpe hielt Ausschau nach Süden, erwartete den Rückzug der anderen nahen Patrouille zu sehen, doch die Cazadores, die abgeordnet worden waren, den südlichen Zugang zur Stadt zu bewachen, ließen sich nicht blicken.
»Himmeldonnerwetter!« Hagman spuckte bei dem plötzlichen Gestank, der über das Grasland heranzog, angewidert aus. Es war der ranzige Geruch wund geriebener Stellen an Sattel und Schwanzriemen, der mit dem kalten Westwind aus der Senke herüberdrang. Die Schützen rümpften die Nasen über diesen grässlichen Gestank.
Sharpe ließ seinen Blick über die unschuldig leere Landschaft schweifen, die jetzt irgendwo die Angreifer verbergen musste. Und umgekehrt würden in diesem Moment auch die französischen Offiziere aus ihrem Versteck hinter den Dornbüschen am Rand des Tals die Stadt beobachten. Und hinter diesen Offizieren bereiteten sich die Dragoner auf die Schlacht vor.
Er stellte sich vor, wie Helme auf die Schädel gestülpt und lange Säbel aus metallenen Scheiden gezogen wurden. Die Pferde würden wissen, was ihnen bevorstand, und ungeduldig scharren. Ihre Reiter würden mit fahrigen Bewegungen Sattelgurte fester ziehen oder Schweiß von ihren Zügeln wischen.
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