Karl May - Hinter feindlichen Linien
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- Название:Hinter feindlichen Linien
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ERSTES KAPITEL
Findelkinder
Haller und Schneffke machten sich auf den Weg. Sie mußten an dem Haus vorüber, in welchem die Familie Königsau wohnte. Die Straße war sehr belebt, und auf dem Trottoir gingen viele Menschen. Kurz vor dem erwähnten Haus wollten sie an einem Tor vorüber, gerade als eine Equipage aus demselben kam. Der Dicke schritt voran. Er hatte alle die Bilder unter dem Arm. Er keuchte und schwitzte, nicht etwa, weil die Bilder zu schwer gewesen wären, sondern weil seine kurzen, dicken Arme sie nicht zu umspannen vermochten. Alle Augenblicke wollte das eine oder andere ihm entrutschen.
Er sah die Pferde, welche im Begriff standen, ihn umzureißen. Zurück konnte er nicht mehr; darum machte er einen gewaltigen Sprung vorwärts. Die Equipage fuhr hinter ihm vorüber – er war der ihm drohenden Gefahr glücklich entgangen, hatte sich aber in eine andere gestürzt, buchstäblich gestürzt.
Seine kurze, dicke Gestalt eignete sich nämlich ganz und gar nicht zu einem solchen Riesensprung; er brauchte dabei unbedingt die Arme, um sich im Gleichgewicht zu erhalten. Daher streckte er dieselben während des Sprungs ganz unwillkürlich und naturgemäß weit auseinander, ohne daran zu denken, daß er die Bilder trug. Diese flogen mit ihm fort und fielen rechts, links und vor ihm zur Erde. Als seine Beine den Boden berührten, bekam er eins der Bilder zwischen die Füße, verlor dadurch das Gleichgewicht und stürzte, so lang und dick er war, zu Boden.
„Himmeldonnerwetter! Die verdammten Kolibris“, fluchte er.
Die Passanten, welche zugegen waren, blieben stehen und lachten laut über das komische Intermezzo.
„Was gibt es da zu lachen, ihr Esel!“ rief er.
Dabei blickte er, noch immer am Boden liegend, zornig empor. Wen sah er da gerade vor sich stehen, mit dem einen Fuß auf seinem Kalabreser, der ihm vom Kopf gefallen war? Emma von Königsau, die vermeintliche Gouvernante. Sie war im Begriff, Madelon zu besuchen, um ihr zu sagen, daß sie gestern von der Reise zurückgekehrt sei.
Mit schneller Geistesgegenwart sagte er im verbindlichsten Ton:
„Entschuldigung, mein Fräulein, daß ich es gewagt habe, die Gelegenheit zu benutzen, mich Ihnen zum dritten Mal zu Füßen zu legen. Es ist dies das allergrößte Glück, welches es für mich gibt.“
„Darum benutzen Sie diese Gelegenheit so eifrig“, lachte sie.
Dieses Lachen klang so golden, so freundlich, daß auch er in ein lustiges Gelächter ausbrach. Er erhob sich von der Erde, wischte sich Rock und Hose ab und sagte:
„Erlauben Sie mir gütigst meinen Hut. Es ist für ihn die größte Seligkeit, von diesem Füßchen berührt worden zu sein.“
„Hat er ein so gefühlvolles Herz?“
„Fast so empfänglich für die Schönheit wie das meinige.“
„Nun, wenn ich ihn so glücklich mache, so habe ich mich nicht zu entschuldigen, daß ich ihn aus Versehen mit Füßen trat?“
„Sapperment, ich wollte, ich würde ebenso getreten. Aber was stehen Sie da und halten Maulaffen feil, Kollege. Ich habe mit dieser Dame zu sprechen. Es ist die bewußte Gouvernante. Heben Sie unterdessen die Bilder auf, damit wir die Kolibris nicht zum zweiten Mal waschen müssen.“
Haller hatte vor Emma seinen Hut gezogen. Jetzt zuckte er bei der nicht sehr freundlich ausgesprochenen Aufforderung des Kleinen die Achseln, gab einem nahestehenden Dienstmann einen Wink und schritt langsam weiter, um dann auf den Kollegen zu warten.
Dieser hatte seinen Hut aufgehoben, behielt ihn höflich in der Hand und sagte, während der Dienstmann sich mit den Bildern zu schaffen machte, zu der Dame:
„Ja, ich habe mit Ihnen zu sprechen, und zwar sehr notwendig.“
Sie war bisher, festgehalten durch die Komik der Situation, stehen geblieben. Jetzt machte sie ein ernsthaftes Gesicht und antwortete:
„Ich habe keine Ahnung, welche Veranlassung Sie zu einem Gespräch mit mir haben könnten.“
Er blickte sich um. Die vorher stehengebliebenen Passanten waren weitergegangen. Es gab niemanden, der hören konnte, was hier gesprochen wurde. Der Dicke machte ein sehr erstauntes Gesicht und sagte:
„Das wissen Sie nicht? Das denken Sie sich nicht? Das ahnen Sie nicht einmal? Ein Herr, welcher sich dreimal, unter Gottes freiem Himmel sogar, einer Dame in aller Ehrfurcht und Ergebenheit zu Füßen wirft, kann doch nur ein einziges Thema haben, über welches zu sprechen ist.“
Es zuckte ein schalkhaftes Lächeln über ihr Gesicht, als sie mit einem kleinen Nicken ihres Köpfchens antwortete:
„Ah, ja; ich begreife. Ich errate dieses Thema.“
„Wirklich?“ fragte er erfreut. „Nun, worüber kann ich denn beabsichtigen, mit Ihnen zu sprechen?“
„Über Ihr Pech; über Ihr schauderhaftes Pech, welches Sie fatalerweise immer gerade dann zu haben scheinen, wenn Sie mir begegnen.“
„Pech?“ fragte er, indem er eine höchst enttäuschte Miene machte. „Pech soll das sein? O nein! Es ist im Gegenteil Glück. Diese Episoden müssen Ihnen doch sagen und beweisen, wie gern ich lebenslang unter Ihren Füßen liegen möchte.“
„Gerade wie Ihr Hut?“
„Ja, gerade wie mein Kalabreser, den ich außerordentlich beneide. Ein Tritt mit Ihren Füßen muß einen mit himmlischer Seligkeit durchsäuseln. Von Ihnen gestoßen und getrampelt zu werden muß die beglückendste Tändelei der Erde sein.“
„Ah, Sie sind Poet.“
„Ich bin Hieronymus Aurelius Schneffke. Damit ist alles gesagt. Ich habe mich Ihnen bereits vorgestellt; aber ich habe noch nicht das Glück gehabt, Ihren Namen zu erfahren.“
„Sie haben ihn ja bereits im Coupé gehört.“
„Den Vornamen nur. Ich entsinne mich, daß Sie von der Dame, bei welcher Sie sich befanden, Emma genannt wurden.“
„Allerdings. Das ist mein Vorname.“
„Und der andere, der Familienname?“
„König“, antwortete sie zurückhaltend. „Genügt Ihnen das?“
„Und ob! Warum sollte mir dieser Name nicht genügen. Er klingt ja ebenso poetisch wie der meinige, Schneffke, nur daß der letztere noch germanischer, noch teutonischer ist. König! Nomen est omen! Könnte ich Ihr König sein und Sie meine Königin! Unser Reich würde ich nicht mit demjenigen des großen Moguls vertauschen. Aber, darf ich erfahren, wo Sie wohnen?“
„Ist das nicht etwas neugierig gefragt?“
„Nein, denn es gehört zur Sache. Wer war die Dame, mit welcher Sie in Tharandts heiligen Hallen saßen?“
„Die Frau Gräfin von Goldberg. Das haben Sie wohl bereits gehört.“
„Allerdings; aber ich habe mir den Namen der alten Dame nicht sehr genau gemerkt. Den Ihrigen hätte ich aber sicherlich nicht vergessen. Und Sie sind Gouvernante in ihrem Dienst?“
„Wenn Sie es so nennen wollen, ja.“
„Bei den Kindern der Gräfin?“
„Nein, bei ihr selber. Adieu, Herr Hieronymus Aurelius Schneffke.“
Sie wendete sich schnell um und setzte ihren Weg fort.
„Adieu!“ rief er hinter ihr her. „Wir sprechen uns schon wieder.“
Und, indem nun auch er weiterging, fügte er zu sich selbst hinzu: „Ein verdammtes Mädel. Schön, mit vornehmem Getue, freundlich und dabei gerade wie ein wenig herablassend und schnippisch. Das ist pikant wie russischer Salat oder Ziegenkäse. Die muß ich kriegen, auf alle Fälle kriegen.“
Er eilte dem Kollegen nach, welcher, den die Bilder tragenden Dienstmann neben sich, auf ihn wartete.
„Sind die Kolibris lädiert?“ frage er bereits von weitem.
„Nein; aber Sie etwa?“
„Körperlich nicht, aber tiefer.“
„Ah! Wo?“
„Im Herzen. Diese Emma König ist ein Hauptgeschöpf. Der liebe Gott kann stolz darauf sein, sie geschaffen zu haben.“
„Und Sie können sich ebenso viel darauf einbilden, sie bei einem jeden Zusammentreffen parterre angebetet zu haben.“
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