- Warum kenne ich denn dann meine Mutter nicht?
- Warum?. Ja, weil. antwortete Miß Anna Walston verlegen, weil. das. seine Gründe hat. Später einmal. ja, das glaub' ich bestimmt. wirst Du sie schon zu sehen bekommen..
- Ich habe Sie doch sagen hören, daß es eine schöne Dame sei, nicht wahr?
- Ja, ganz gewiß!. Eine schöne Dame!
- Und warum denn gerade eine schöne Dame?
- Nun weil. nun ja, Deine Gestalt. Dein Gesichtchen. Ist er doch drollig, der liebe Kleine, mit seinen Fragen!. Uebrigens. die Situation. ja, die Situation in dem Drama erfordert, daß sie schön sei. vornehm. doch, das verstehst Du nicht..
- Nein, das versteh' ich auch nicht! versicherte der kleine Knabe traurig. Mir kommt es manchmal vor, als wäre meine Mama schon todt..
- Todt?. O nein!. Mach' Dir nicht solche Gedanken!. Wenn sie todt wäre, dann gäb's ja kein Stück mehr..
- Was für ein Stück?.«
Miß Anna Walston umarmte den Kleinen, und das war am Ende die beste Antwort, die sie ihm augenblicklich geben konnte.
»Wenn sie aber nicht todt ist, fuhr der kleine Bursche mit der seinem Alter eignen Zähigkeit fort, wenn sie eine schöne Dame ist, warum hat sie mich denn verlassen?.
- Sie wird dazu gezwungen gewesen sein, mein Babery. gewiß ganz wider Willen. doch. bei der Lösung des Knotens.
- Miß Anna?.
- Was willst Du noch?
- Meine Mama.
- Nun, weiter!
- Das sind Sie doch nicht?.
- Wie. ich. Deine Mama?
- Weil Sie mich »mein Kind« nennen.
- Das sagt man so, mein Cherub, so nennt man Kinder Deines Alters immer.. Das arme Würmchen, so etwas glauben zu können!. Nein, ich bin Deine Mama nicht!. Wärst Du mein eignes Söhnchen, ich hätte Dich nicht verlassen, Dich nicht dem Elend preisgegeben!. O, gewiß nicht!«
Mit einer neuen Umarmung beendete Miß Anna Walston das Gespräch, nach dem der Findling recht betrübt davonschlich.
Armes Kind! Ob reicher oder armer Herkunft, höchst wahrscheinlich sollte es seine Angehörigen niemals kennen lernen, wie so viele aufgelesene Findlinge.
Als Miß Anna Walston ihn mit sich nahm, hatte sie freilich nicht daran gedacht, welche Pflichten ihr das für die Zukunft auferlegen würde. Ja sie hatte sich nicht einmal vorgestellt, daß dieses Baby wachsen könnte, daß sie für seinen Unterricht, für seine Erziehung zu sorgen haben werde. Es ist ja recht gut und schön, ein kleines Wesen zu liebkosen, besser aber doch noch, auch seinem Geiste die nöthige Nahrung zu gewähren. Ein Kind zu adoptieren, schließt auch die Verpflichtung ein, es zum Menschen zu machen. Diese Pflicht hatte die Schauspielerin gar nicht bedacht. Freilich zählte der Findling jetzt kaum fünfeinhalb Jahre, in diesem Alter beginnt aber das Erwachen der geistigen Fähigkeiten. Was sollte nun aus ihm werden? Er konnte ihr doch nicht bei ihren Gastspielreisen von
Theater zu Theater, von Stadt zu Stadt folgen, vorzüglich wenn sie ins Ausland ging. So würde sie sich also genöthigt sehen, ihn einer Pension anzuvertrauen. natürlich nur einer ganz guten. Auf jeden Fall würde sie ihn niemals verlassen.
Eines Tages bemerkte sie gegen Elisa:
»Er entwickelt sich alle Tage besser. Hast Du das nicht beobachtet? Welch' empfindsame Natur! O, seine Liebe wird mir lohnen, was ich für ihn that!. Und dann. wie frühreif! Alles will er wissen. Ich finde sogar, er ist überlegter, als er es bei seiner Jugend sein sollte. und er hat sich für meinen Sohn halten können! Der arme Kleine! Ich dürfte doch seiner Mutter schwerlich ähnlich sein!. Das war gewiß eine sinnende, ernste Frau. Sprich doch, Elisa, wir werden ja einmal daran denken müssen..
- Woran denn?
- Was aus ihm werden soll.
- Aus ihm werden?. Jetzt schon?.
- Nein, jetzt noch nicht, meine Liebe; jetzt mag er noch wie eine Blume freudig aufwachsen. Nein, später. später, wenn er sieben bis acht Jahre zählt. Ist das nicht das Alter, mit dem die Kinder gewöhnlich in eine Pension kommen?«
Elisa wollte ihr schon entgegenhalten, daß der Junge doch an die Lebensweise in einer Pension schon gewöhnt sein müsse -sie hatte ja Recht, freilich nur in Bezug auf die Lebensweise in der Lumpenschule - und ihrer Meinung nach wäre es am besten, wenn er baldigst wieder einer, natürlich besseren Anstalt übergeben würde. Miß Anna Walston ließ sie darüber gar nicht zu Worte kommen.
»Sag' einmal Elisa.?
- Was denn, Miß Anna?
- Glaubst Du, daß unser Cherub Lust zum Theater haben könnte?
- Er?.
- Ja. Betrachte ihn nur genau. Er hat ein hübsches Gesicht, prächtige Augen und tadellose Haltung. Das erkennt man schon, und ich bin überzeugt, daß er einen entzückenden Liebhaber abgeben würde..
- Halt. halt. halt, Miß Anna! Sie lassen Ihren Gedanken die Zügel schießen!
- Ei, ich werde ihm Komödie spielen lehren. Der Schüler der Miß Anna Walston!. Ahnst Du den Effect?
- In fünfzehn Jahren..
- Zugegeben, Elisa, in fünfzehn Jahren, doch ich sage Dir, in fünfzehn Jahren wird er der reizendste junge Mann sein. Alle Frauen werden.
- Vor Eifersucht umkommen, fiel Elisa ein. Das kenne ich schon. Doch, Miß Anna, wollen Sie meine aufrichtige Meinung hören?
- Nun, und die wäre?.
- Aus diesem Kinde wird im Leben kein Schauspieler werden.
- Ja, warum denn nicht?
- Weil der Junge zu ernsthaft ist.
- Das ist wohl wahr, gab Miß Anna Walston zu, doch. wir werden ja sehen..
- Und Zeit genug haben wir dazu, Miß Anna!«
Gewiß war's dazu Zeit genug, und wenn der Findling dann, trotz der Vermuthung Elisas, Neigung für das Theater zeigte, war ja alles gut.
Inzwischen kam der Miß Anna Walston ein herrlicher Gedanke, wie solche ihr ganz ausschließlich eigen zu sein schienen: sie wollte das Kind baldigst auf der Bühne von Limerick einmal auftreten lassen.
Wenn der und jener das auch als eine wahnsinnige Idee verurtheilen mochte, so zeigte sich doch, daß dieses »einzige
Auftreten«, wie die Placate ankündigten, von ganz bedeutender Wirkung zu sein versprach.
Miß Anna Walston studierte jetzt aufs neue ein »Rührstück mit Knalleffecten« ein, wie solche im englischen Repertoire gar nicht selten sind. Dieses Drama, richtiger Melodrama, mit dem Titel »Die Reue einer Mutter«, hatte bereits einer ganzen Generation Thränen genug entlockt, um die Flüsse des Vereinigten Königreichs damit speisen zu können.
In diesem Stücke des Dramaturgen Furpill kam, wie allemal, eine Kinderrolle vor - ein Kind, das die Mutter nicht hatte behalten können, das sie ein Jahr nach seiner Geburt verlassen mußte, während sie es später elend wiederfand und man es ihr aufs neue rauben wollte u. s. w.
Selbstverständlich war das eine stumme Rolle. Der kleine Figurant, der sie spielte, hatte nur alles mit sich geschehen, sich umarmen, küssen, an einen Mutterbusen drücken und sich hierhin und dorthin zerren zu lassen, ohne je ein Wort zu sprechen.
Unser Held schien zu einer solchen Rolle ja wie geschaffen. Er hatte das richtige Alter und die passende Größe, dazu ein bleiches Gesichtchen mit Augen, die gar oft geweint hatten. Welcher Effect, wenn man ihn auf der Bühne sähe und hier gerade mit seiner Adoptivmutter! Mit welcher Begeisterung, welchem Feuer würde diese die fünfte Scene des dritten Actes spielen, die große Scene, in der sie das Kind vertheidigt, das man ihr wieder entreißen will! Hier kamen ja die thatsächlichen Verhältnisse den erdichteten zu Hilfe. Dabei entrang sich der Künstlerin unzweifelhaft ein aufrichtiger Schmerzensschrei und vergoß sie gewiß wirkliche Thränen. kurz, es winkte ihr ein Triumph ohne Gleichen.
Die Vorbereitungen nahmen ihren Anfang und der kleine Knabe mußte den letzten Proben beiwohnen.
Das erste Mal erstaunte er ungemein über alles, was er da sah und hörte. Miß Anna Walston nannte ihn wohl, gemäß dem Texte der Rolle, »mein Kind«, es schien ihm aber, als ob sie ihn nicht so innig wie sonst umschlänge und keine Thränen vergösse, wenn sie ihn an ihr Herz zog. Wozu auch weinen bei Theaterproben? Wozu die Augen abnutzen? Dazu war's bei der Aufführung Zeit genug.
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