1 ...6 7 8 10 11 12 ...21 “Als du auftauchtest”, fuhr Maya fort, ihre Stimme jetzt leiser, “als du uns endlich fandest, da warst du für uns wie ein Superheld oder so. Zu Beginn. Doch dann… als wir etwas Zeit hatten, um darüber nachzudenken… da ist uns bewusst geworden, dass wir nicht wissen, was du sonst noch vor uns versteckst. Wir sind uns nicht sicher, wer du wirklich bist. Weißt du, wie viel Angst uns das macht?”
“Maya”, antwortete er sanft, “ihr müsst niemals Angst vor mir haben —”
“Du hast Leute umgebracht.” Sie zuckte mit einer Schulter. “Einen ganzen Haufen. Stimmt’s?”
“Ich…” Reid musste sich daran erinnern, sie nicht anzulügen. Er hatte versprochen, dass er es nicht mehr täte, soweit das möglich wäre. Stattdessen nickte er nur.
“Du bist nicht die Person, die wir dachten, die du seist. Es wird ein Weilchen dauern, bis wir uns daran gewöhnen. Das musst du akzeptieren.”
“Du sagst ständig,wir’”, murmelte Reid. “Spricht sie mit dir?”
“Ja. Manchmal. Seit der letzten Woche schläft sie in meinem Bett. Alpträume.”
Reid seufzte traurig. Vorbei mit der sorglosen, freudigen Dynamik, die ihre kleine Familie einst genoss. Er wusste, dass die Dinge sich für alle und zwischen allen geändert hatten – vielleicht für immer.
“Ich weiß nicht, was tun”, gab er leise zu. “Ich will für sie da sein, für euch beide. Ich will euch unterstützen, wenn ihr es braucht. Doch das kann ich nicht, wenn sie nicht mit mir darüber spricht, was in ihr vorgeht.” Er blickt zu Maya auf und fügte hinzu: “Sie hat dich immer bewundert. Vielleicht kannst du jetzt ihr Vorbild sein. Ich glaube, dass es euch beiden guttäte, wenn ihr wieder eine Routine aufnehmt, versucht, ein normales Leben zu führen. Beende zumindest deinen Unterricht in Georgetown. Die lassen dich vermutlich auch nicht dort studieren, wenn du ein ganzes Semester nicht bestehst.”
Maya war für einen langen Moment still. Schließlich sagte sie: “Ich glaube, ich will gar nicht mehr an der Uni Georgetown studieren.”
Reid runzelte die Stirn. Georgetown war ihr erste Wahl von Universitäten, seit sie nach Virginia gezogen waren. “Wo denn dann? Die Universität von New York?
Sie schüttelte den Kopf. “Nein. Ich will nach West Point.”
“West Point”, wiederholte er verdutzt, komplett überrascht von ihrer Aussage. “Du willst auf eine Militärakademie?”
“Ja”, sagte sie. “Ich werde eine CIA Agentin.”
Reid sträubte sich. Er war sich sicher, dass er richtig gehört hatte, doch die Kombination von Worten, die ihrem Mund entsprang, ergab für ihn nur wenig Sinn.
Die will mich provozieren, dachte er. Sie erwartete einen Streit und ich habe mich im Zaum gehalten. Das war nur jugendliche Existenzangst. Musste es sein.
“Du… willst eine CIA Agentin werden”, sagte er langsam.
“Ja”, antwortete Maya. Genauer gesagt will ich an der nationalen Geheimdienst-Universität in Bethesda studieren. Doch um das zu erreichen, muss ich zuerst ein Mitglied der Streitkräfte werden. Anstatt mich zum Militärdienst zu verpflichten, werde ich nach West Point gehen,wo ich als zweiter Lieutenant abschließen kann und somit an der Geheimdienst-Uni in Bethesda studieren kann. Dort kann ich einen Master in strategischem Geheimdienst erlangen. Zu diesem Zeitpunkt wäre ich dann schon über einundzwanzig und könnte mich beim Einsatz-Trainingsprogramm der Agentur anmelden.”
Reids Beine fühlten sich taub an. Nicht nur war es ihr ganz offensichtlich ernst damit, doch sie hatte sich auch schon reichlich darüber informiert, wie sie am besten vorginge und welche Bildung sie bräuchte.
Doch er ließe es niemals zu, dass seine Tochter diesen Weg wählte.
“Nein”, sagte er schlichtweg. Alle anderen Worte schienen ihm auszubleiben. “Nein. Auf keinen Fall. Daraus wird nichts.”
Mayas Augenbrauen schossen gleichzeitig hoch. “Wie bitte?” sagte sie scharf.
Reid atmete tief ein. Sie war willensstark, weshalb er es ihr vorsichtiger verbieten müsste. Doch seine Antwort war klar und deutlich,nein’. Nicht nach all dem, was er gesehen und getan hatte.
“Es ist noch nicht so viel Zeit vergangen… seit dem… dem Vorfall”, erklärte er. “Das ist noch alles frisch in deiner Erinnerung. Bevor du eine solche Entscheidung schließt, solltest du alle Standpunkte betrachten. Beende deine Kurse, die High School. Bewerbe dich bei Colleges. Und wir können das alles später noch mal besprechen.” Er lächelte so freundlich, wie er es konnte.
Das tat Maya nicht. “Du hast kein Recht, mein Leben so zu bestimmen”, antwortete sie erhitzt.
“Doch das habe ich”, gab Reid zurück. Er wurde jetzt selbst schnell ärgerlich. “Du bist immer noch minderjährig.”
“Nicht mehr lange”, schoss sie zurück. “Lass mich dir erklären, was geschehen wird. Ich gehe nicht wieder zu den Kursen an die Uni Georgetown. Ich gehe nicht wieder zur Schule bis September. Ich werde durch mein Frühjahrssemester durchfallen und muss diese Kurse dann neu belegen. Nächsten Monat werde ich siebzehn, was bedeutet, dass ich achtzehn bin, bis ich die Schule beende. Und dann kannst du mir nicht mehr vorschreiben, wo ich hin kann oder was ich studiere.” Sie verschränkte ihre Arme, um ihren Standpunkt zu festigen.
Reid drückte sich mit den Fingern auf den Nasenrücken. “Du kannst nicht einfach drei Monate Schule ausfallen lassen. Und was ist mit den ganzen Lernsessions, die du gemacht hast? Die ganze Zeit wäre dann vergeudet.”
“Ich bin nicht zu den Lernsessions gegangen”, gab sie zu.
Er sah sie scharf an. “Du hast mich also angelogen? Nach allem, was geschehen ist?” Er schnaubte verärgert. “Und wo bist du hin?”
“Nachdem du mich absetzt, gehe ich ins Freizeitzentrum”, erklärte sie ihm nüchtern. “Dort gibt es ein paar Mal pro Woche Selbstverteidigungsunterricht. Der wird von einem ehemaligen Marine gegeben. Außerdem habe ich auch über Spionageabwehr und Spionagetaktiken nachgelesen.”
Er schüttelte seinen Kopf. “Ich kann es nicht fassen. Ich dachte, es gäbe keine Geheimnisse mehr zwischen uns.” Sobald er es gesagt hatte, schoss ihm eine schmerzhafte Erinnerung durch das Gedächtnis – Kates Mord, die Wahrheit über ihre Mutter. Er hatte es ihnen immer noch nicht mitgeteilt, trotz des Versprechens, das er sich selbst gegeben hatte, dass er mit dem Lügen und der List aufhören würde. Es brachte ihn um, ihnen dies zu enthalten. Doch nach dem Vorfall war noch nicht genug Zeit vergangen, um etwas so Fürchterliches so bald schon zu enthüllen. Jetzt, vier Wochen später, hatte er Angst, dass es schon zu spät war und dass sie wütend auf ihn wären, dass er die Wahrheit so lange geheimgehalten hatte.
“Ich wusste, dass du so reagieren würdest”, sagte Maya. “Deshalb habe ich dir nicht die Wahrheit gesagt. Doch jetzt rücke ich damit raus. Das ist es, was ich machen will. Was ich machen werde.”
“Als du sieben warst, wolltest du Balletttänzerin werden”, erklärte ihr Reid. “Erinnerst du dich daran? Als du zehn warst, da wolltest du Tierärztin werden. Mit dreizehn wolltest du Rechtsanwältin werden, nur weil du einen Film über einen Mordprozess geschaut hattest —”
“Bevormunde mich nicht!” Maya sprang von ihrem Stuhl auf, stand vor ihm, zeigte mit einem warnenden Finger auf ihn und hatte einen zornigen Ausdruck auf dem Gesicht.
Reid lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, schockiert von ihrem Ausbruch. Er war so überrascht von dem Ausmaß ihrer Reaktion, dass er kaum ärgerlich auf sie sein konnte.
“Das ist nicht der Traum eines kleinen Mädchens”, sagte sie schnell, ihre Stimme gedämpft. “Ich will das. Ich weiß das jetzt. Genauso wie ich weiß, warum Sara nachts nicht schlafen kann. Sie hat Alpträume über ihre Erfahrung, über das, was sie mitgemacht hat. Was sie überlebt hat. Doch das traumatisiert mich nicht. Ich kann nachts nicht schlafen, weil ich weiß, dass es immer noch vor sich geht. Was ich gesehen habe und mitgemacht habe, ist das Leben einer anderen Person. Während ich in meinem warmen Bett liege, Pizza esse oder zur Schule gehe, gibt es da draußen Frauen und Kinder, die jeden Tag so leben – bis sie sterben.”
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